Nach der Ausbildung erst einmal durch die Welt reisen und in einer Reihe von Praktika von den besten ihres Faches lernen – diesen Traum erfüllt sich Agnes Karrasch. Die besten ihres Faches sind in diesem Fall europäische Spitzenköche wie Joachim Wissler, Küchenchef im Restaurant Vendôme in Bergisch Gladbach, der ersten Station von Agnes’ Reise. Schon immer war der 25-jährigen klar, dass sie Köchin werden wollte. Im Vendôme und weiteren Sternerestaurants möchte sie nun nach ihrer Ausbildung unterschiedliche Küchenstile kennenlernen und ihr kulinarisches Handwerk verfeinern. Die Filmemacher Melanie Liebheit und Gereon Wetzel begleiten sie auf dieser Reise, die sie nach Bergisch Gladbach auch für längere Aufenthalte nach Barcelona und auf die Färöer-Inseln führt. In der noch immer männerdominierten Domäne der Spitzengastronomie muss sich Agnes dabei auf ganz unterschiedliche Gegebenheiten und Teams einstellen. Gleichzeitig muss sie sich mit der Frage ihrer beruflichen Zukunft auseinandersetzen.
Essen müssen wir alle tagtäglich, so gut wie jeder kocht auch, zumindest hin und wieder mal, und Restaurants haben wir auch alle schon besucht. Zum Essen und zur Gastronomie haben wir also alle einen Bezug, womit She Chef für jeden Zuschauer Anknüpfungspunkte bietet. Mit der Spitzengastronomie ist allerdings noch längst nicht jeder persönlich in Berührung gekommen. Sie übt aber auf viele Menschen eine große Faszination aus. Anfangs beeindrucken im Film auch vor allem die Bilder liebevoll und gekonnt hergerichteter Desserts und perfekt gedeckter Tische in edlen Räumlichkeiten – und zwar eben besonders dann, wenn man nicht in der Welt der Michelin-Sterne zuhause ist. Um solche oberflächlichen Bilder geht es hier zum Glück aber nicht durchgehend. Schmecken oder riechen kann man einen Film sowieso nicht, womit einem die größten Vorzüge der mit viel Geschicklichkeit und Liebe zum Detail angerichteten Speisen verwehrt bleiben.
Kein Platz für Fehler
Die noch größere Faszination liegt bei She Chef dann auch nicht in den Gerichten der Sterneküche, sondern darin, wie in den Küchen zusammengearbeitet wird. Zurückhaltend, aber mit Blick für Details beobachten die Regisseure dort das auf den ersten Blick chaotisch wirkende Treiben. Da sitzt jeder Handgriff, alle Mitarbeiter haben ihren festen Platz im Team, es herrschen eindeutige Hierarchien und der Chef muss all seine Untergebenen fest im Griff haben, um durchgehend Spitzenqualität bieten zu können. Für Fehler ist kein Platz und das Arbeitstempo hoch. Wenn Joachim Wissler seinen Köchen und Köchinnen „Vier Enten, drei Hasen!“ oder „Alles nicht salzen!“ zuruft, erwartet er, dass sie seine knappen Anweisungen sofort verstehen und umsetzen. Erklärende Kommentare oder eingestreute Interviewsequenzen hat der Film gar nicht nötig. Anfangs beobachtet er Agnes noch dabei, wie sie selbst dem eingespielten Team in der Küche zusieht, von dem sie jedoch schnell ein Teil wird. Dank ihrer Professionalität und Auffassungsgabe gelingt ihr das nicht nur im Vendôme, sondern auch im Disfrutar in Barcelona und im Koks auf den Färöer-Inseln.
Wie ein Dokument aus einer zwar nicht längst vergangenen, aber rückblickend doch seltsam unwirklich erscheinenden Zeit wirkt der Film, als während Agnes‘ Aufenthalt in Barcelona die Covid-Pandemie ausbricht. Mehrmals kommt es zum Lockdown und der Schließung des Restaurants; jedes Mal muss sich Agnes entscheiden, ob sie in Barcelona bleibt oder nach Deutschland zurückkehrt. In Videotelefonaten hält sie aus ihrer Wohnung den Kontakt zu Freunden und früheren Kollegen. Als die Angestellten des Disfrutar vor der vorübergehenden Schließung des Restaurants ein letztes Mal die Küche putzen, leidet man als Zuschauer mit ihnen.
Der Blick in die Zukunft
Dass der Beruf der Köchin aus mehr als nur Kochen besteht, wird in mehreren Szenen deutlich. Etwa, wenn sich das versammelte Team vor der Öffnung des Restaurants in einer Besprechung auf die Vorlieben, Eigenheiten und Ernährungsgewohnheiten der Gäste einstellt. Oder auch, wenn Agnes an der Küste der Färöer-Inseln Muscheln von den Felsen schneidet. Die Anforderungen und das Arbeitsumfeld sind in der Sterneküche jedenfalls andere als in einem beliebigen Durchschnittslokal. Zwar sei der Stress größer und die Arbeitszeiten länger, heißt es an einer Stelle im Film. Dafür sei man in der gehobenen Küche aber auch nicht „kulinarisch deprimiert“.
Immer wieder zeigt She Chef Agnes auch in Szenen, in denen sie sich um ihre berufliche Zukunft Gedanken macht. Ihr Traum ist, eines Tages ihr eigenes Restaurant zu eröffnen. Die drei im Film gezeigten Etappen ihrer Reise zeigen jedenfalls drei gänzlich unterschiedliche Arbeitsplätze, die sich allerdings in ihren Anforderungen und dem hohen Grad an Professionalität der Mitarbeiter gleichen. Das Kochen und die Gerichte mögen nicht im Mittelpunkt des Films stehen, sondern eben die Arbeitsabläufe und die enge, professionelle Zusammenarbeit in der Küche. Lust auf ein gutes Essen oder darauf, selbst etwas zu kochen, bekommt man bei She Chef aber trotzdem.
OT: „She Chef“
Land: Deutschland, Österreich
Jahr: 2022
Regie: Melanie Liebheit, Gereon Wetzel
Musik: Wolf-Maximilian Liebich
Kamera: Gereon Wetzel
Mitwirkende: Agnes Karrasch, Dennis Melzer, Joachim Wissler
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