Am 1. Juli 1873 wird Alice Guy in Saint Mandé geboren. Ihre Mutter hatte die beschwerliche Reise von Chile, wo sie zusammen mit ihrem Mann eine Kette von Buchhandlungen betreibt, nach Frankreich auf sich genommen, um ihre Tochter in ihrer Heimat auf die Welt zu bringen. Ihre ersten Lebensjahre verbringt Alice bei ihrer Großmutter in der Schweiz, bis sie alt genug für die lange Überfahrt nach Südamerika ist. Lange bleibt sie aber auch nicht in Chile, denn als sie alt genug ist, um auf die Schule zu gehen, kehrt sie in Begleitung ihres Vaters nach Frankreich zurück. Schon bald geht es der Familie wirtschaftlich nicht mehr so gut, sodass Alice unter großem Protest in ein Internat kommt, wo sie das strenge Reglement der dort arbeitenden Nonnen kennenlernt. Sie lernt doch nicht nur Mathematik und Französisch, sondern auch, wie man im Leben zurechtkommt, sodass sie, als sie ihren Abschluss hat, eine Ausbildung beginnt.
In den Betrieben, in denen sie arbeitet, steigt sie schnell auf und zeigt ein Talent für die technische Seite der Fotografie wie auch der aufblühenden Filmkunst. Während aber die Gebrüder Lumiere, die bei ihrem neuen Arbeitgeber ein und aus gehen, wenig Zukunft für den von ihnen erfundenen Kinematographen sehen, sieht Alice dies ganz anders. Sie wird zur ersten Regisseurin der Filmgeschichte und beweist nicht nur in der Inszenierung großes Geschick, auch bei Details wie der Produktion und dem Marketing beweist sie ein gutes Händchen.
Ein geeignetes Feld für weibliche Aktivitäten
In ihren Graphic Novels wie Kiki de Montparnasse und Josephine Baker haben sich Autor José-Louis Bocquet und Illustrator Catel Muller schon viele Male mit besonderen Frauenfiguren der Geschichte auseinandergesetzt. Dabei geht es ihnen zum einen um die Biografie, doch ebenso um die Zeit, in der ihre Heldinnen leben, wie sie in ihrer Disziplin immer besser wurden und sich langsam aber sicher eine Expertise innerhalb einer Kunstform erarbeiteten. Ihr 2021 in Frankreich erschienener Band zu Alice Guy, der ersten Filmregisseurin der Welt, bildet da keine Ausnahme, denn auf über 400 Seiten bekommt man nicht nur die Geschichte Guys als Comic, sondern zudem Essays über sie, eine Übersicht der Herrschaften, die man in ihrer Biografie antrifft sowie eine Übersicht über ihre Filme.
Gleich zu Anfang sollte man wohl erwähnen, dass der Begriff Biografie in Bezug auf die vorliegende Graphic Novel vielleicht etwas zu hoch gegriffen ist. Vielmehr konzentrieren sich die Autoren auf einige wichtige Stationen des Lebens Guys, wobei natürlich das Hauptaugenmerk auf ihrer Arbeit beim Film liegt sowie auf ihrem Weg dorthin. Alice Guy erzählt dabei aber keineswegs die Geschichte einer Frau, die sich in einer von Männern dominierten Welt durchschlägt, was doppelt falsch ist. Zum einen musste sich auch das Medium an sich noch erst etablieren und zum anderen betreibt Guy keineswegs einen Grabenkrieg gegen das Patriarchat, sondern erarbeitet sich das nötige Know-how über ihre vielen Arbeitsstellen sowie ihre natürlich Neugier für technische Prozesse sowie ihr geschultes Auge. Von daher ist Alice Guy eine wirklich beeindruckende Geschichte eines Menschen, der sich daran macht, die Sprache eines Mediums zu entwickeln.
Die Geburtsstunde des Films
Vor allem für Filmfans interessant ist, wie sich die Autoren der Welt des Films generell annähern. Anhand verschiedener Projekte, an denen Guy im Laufe ihrer langen Karriere arbeitete, wird nachgezeichnet, wie sich das Medium erzählerisch und ästhetisch immer weiter entwickelte. Guy ist dabei eine wahre Pionierin, die ihre Kenntnisse zur Fotografie zeigen kann, doch ebenso ihr Geschick zur Organisation, wenn es beispielsweise um die Planung eines Projekts geht. Als Leser bekommt man einen vereinfachten, aber dafür sehr verständlichen Überblick über die Entwicklung einer Erfindung, der man zunächst keine große Zukunft zusprach, hin zu einem Phänomen, was Karrieren begründete, Star hervorbrachte und mehr wurde als ein einfacher Zeitvertreib. Darüber hinaus ist interessant, wie Guy die ersten Projekte in den USA macht und sich unter anderem mit Aspekten wie Rassismus an einem Filmset auseinandersetzen muss.
OT: „Alice Guy“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Text: José-Louis Bocquet
Zeichnung: Catel Muller
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