Seit Jahrzehnten schon lebt Hüseyin (Vedat Erincin) mit seiner Frau Fatma (Lilay Huser) in Deutschland. Als Gastarbeiter war er damals aus der Türkei gekommen. Kürzlich haben die zwei auch die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Das stürzt den Rest der Familie in einen ziemlichen Zwiespalt. Ohnehin ist das mit der kulturellen Identität so eine Sache. So wagt deren Enkelin Canan (Aylin Tezel) nicht, den anderen von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Sie wissen ja nicht einmal, dass sie seit zwei Jahren mit dem Engländer David (Trystan Pütter) zusammen ist. Ihr Cousin, der sechsjährige Cenk (Rafael Koussouris), weiß ohnehin nicht, wohin er gehört. Sein Vater Ali (Denis Moschitto) wurde als viertes Kind von Hüseyin und Fatma bereits in Deutschland geboren. Seine Mutter Gabi (Petra Schmidt-Schaller) ist eh Deutsche. Cenk selbst schwankt zwischen den beiden Kulturen hin und her. Da verkündet sein Großvater, dass er ein Haus in der Türkei gekauft hat, das die Familie gemeinsam renovieren soll …
Die universelle Geschichte der türkischen Gastarbeiter
Im Rahmen der Wahl zum türkischen Präsidenten waren sie auf einmal wieder ein großes Thema in den deutschen Medien: Türken und Türkinnen, die in Deutschland leben. Schließlich wählten die proportional mehr Erdogan, was zu Reaktionen zwischen Verblüffung und Wut führte. Und auch der Frage, ob diese Leute denn tatsächlich hierzulande integriert sind. Dass dies ein Thema ist, das die Menschen bewegt – Deutsche wie Türken gleichermaßen –, bewies dabei schon vor über zehn Jahren Almanya – Willkommen in Deutschland. Mit viel Humor wurde darin von einer türkischen Gastarbeiterfamilie erzählt, die auch Jahrzehnte nach der Auswanderung nicht genau weiß, wohin sie nun gehört. Beim Publikum traf man damit einen Nerv, mehr als 1,5 Millionen strömten seinerzeit in die Kinos und machten die Komödie zu einem richtigen Überraschungshit.
Aufgezogen wird dies zwar mit dem besagten Phänomen der Gastarbeiter, als in den 1960ern zahlreiche Menschen aus anderen Ländern einwanderten, um hier Jobs zu übernehmen, für die es nicht genügend Deutsche gab. Regisseurin Yasemin Şamdereli (Die Nacht der Nächte), die gemeinsam mit ihrer Schwester Nesrin auch das Drehbuch geschrieben hat, gestaltet das Ganze aber so universell, dass man sich ganz unabhängig von der eigenen Nationalität mit vielem identifizieren kann. Wenn der junge Cenk nach einem Platz für sich in dieser Welt sucht oder Canan nicht weiß, wie sie das mit der Schwangerschaft erklären soll, dann funktioniert das allgemein gut. Das gilt auch für einen Nebenkonflikt in Almanya – Willkommen in Deutschland, wenn sich die Brüder Veli (Aykut Kayacik) und Muhamed (Ercan Karacayli) entfremdet haben und alte Streitigkeiten zu lange vor sich hin gewuchert haben.
Gut gespieltes Wohlfühlkino
Universalität bringt natürlich aber auch immer die Gefahr mit sich, in Beliebigkeit zu verfallen. Tatsächlich gelingt es den zwei Schwestern auch nicht durchgängig, diese Grenze einzuhalten. Zwar gibt es eine Reihe von Szenen, in denen sie mit Stereotypen spielen und genüsslich durch den Kakao ziehen, etwa beim Akt der Einbürgerung. An anderen Stellen wird es aber so konventionell, dass der Film austauschbar wird. Vor allem zum Ende hin wird es in Almanya – Willkommen in Deutschland etwas erzwungen süßlich. Da musste dann unbedingt ein versöhnliches Ende her, ohne dass viel dafür getan wurde. Das fällt auch deshalb negativ auf, weil der Komödie zuvor schon der Schwung ausgeht. Das Feuerwerk, das bei der zweigeteilten Erzählung – parallel geht es um die Einwanderung der Großeltern und die Rückkehr in die alte Heimat – anfangs für gute Unterhaltung sorgt, wird immer spärlicher.
Doch auch wenn Almanya – Willkommen in Deutschland ein wenig mehr Biss und Eigensinn gut getan hätte, ist es nicht schwierig zu erkennen, warum der Film ein solcher Publikumserfolg war. Die Geschichte um eine Familie, die sich mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen muss und zugleich durch eine chaotischen Roadtrip stolpert, ist sympathisch und unterhaltsam. Sie ist auch gut besetzt: Das Ensemble überzeugt sowohl in den überzogenen komischen Momenten wie auch den leiseren, nachdenklichen. Dass nur wenige davon tatsächliche Stars sind, wird dabei nicht zum Nachteil. Schließlich geht es bei dem Film um das Wechselspiel aus Einzelschicksal und Kollektiv, wenn sie alle Einzelgeschichten zu erzählen haben, die sich doch zu einem schlüssigen Gesamtbild zusammensetzen.
OT: „Almanya – Willkommen in Deutschland“
Land: Deutschland
Jahr: 2011
Regie: Yasemin Şamdereli
Drehbuch: Nesrin Şamdereli, Yasemin Şamdereli
Musik: Gerd Baumann
Kamera: Ngo The Chau
Besetzung: Vedat Erincin, Fahri Yardim, Lilay Huser, Demet Gül, Aykut Kayacik, Aycan Vardar, Ercan Karacayli, Kaan Aydogdu, Siir Eloglu, Aliya Artuc, Petra Schmidt-Schaller, Denis Moschitto, Aylin Tezel, Trystan Pütter, Rafael Koussouris
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