Als Damien (Bastien Bouillon) und Nadia (Mouna Soualem) mit ihrer Tochter Chloé (Milla Harbouche) in eine neue Stadt ziehen, wo Nadia eine Stelle als Forschungsbeauftragte angenommen hat, beginnt auch ein völlig neuer Lebensabschnitt für die Familie. Während sich Nadia auf ihre Aufgabe freut, tut sich Damien schwer. Vor allem rauben ihm die ständigen Geräusche in der Wohnung den letzten Nerv. An Schlafen ist nicht zu denken, aber auch sein Home-Office-Job leidet massiv unter dem Lärm. Seltsamerweise scheint diesen außer ihm aber niemand zu hören. Bildet er sich das alles ein? Und was hat es mit der Wasserflasche auf sich, die leer ist, obwohl niemand daraus getrunken haben will?
Klassiker der Schauerliteratur
Guy de Maupassant gilt ohne Zweifel zu den großen französischen Autoren des 19. Jahrhunderts, neben solchen Meistern wie Honoré de Balzac oder Gustave Flaubert. Zudem wurden seine Werke unzählige Male verfilmt. In den letzten Jahren gab es in der Hinsicht jedoch nur wenig Nachschub. Ein Leben ist ein seltenes aktuelles Beispiel. Ein weiteres ist der auf arte ausgestrahlte Fernsehfilm Das unsichtbare Wesen. Vorlage hierfür liefert die 1887 veröffentlichte Novelle Der Horla, die zuvor schon in unterschiedlichen Versionen adaptiert wurde. Die französische Neuauflage verlagert das Geschehen in die Gegenwart. Und auch sonst hat das Drehbuchduo Olivier Fox und Olivier de Plas einiges geändert. Themen wie Home Office gab es vor bald 140 Jahren dann doch nicht.
Die größte Veränderung betrifft dabei den Familienstand des Protagonisten. Bei de Maupassant war dieser noch ledig, hier hat er Frau und Kind. Das ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen sind da Menschen in seinem direkten Umfeld, die eigentlich mitbekommen müssten, was er in der Wohnung wahrnimmt. Während in der Vorlage gar nicht so klar war, ob die Hauptfigur sich etwas einbildet, spricht hier deutlich mehr dafür. Aber auch für die sich daraus ergebende Handlung ist das von Bedeutung. Das unsichtbare Wesen zeigt, wie Damien die eigene Familie vernachlässigt. Es ist dann doch eine Sache, ob man nur sein eigenes Leben erschwert oder auch das anderer Menschen. Gerade beim Umgang mit seiner Tochter Chloé zeigt er bedenkliche Tendenzen.
Gut gespielt, aber nicht sehr spannend
Das Grundprinzip der Geschichte ist dabei aber schon gleich geblieben. Nach wie vor geht es darum, dass ein Mann seltsame Geräusche hört und davon überzeugt ist, dass da noch ein anderes Wesen in seinem Haus umhergeht. Das geht von der Idee her schon in eine Horrorrichtung, umso mehr, wenn sich Damien bedroht fühlt von der unsichtbaren Präsenz. Zahlreiche Genrevertreter arbeiten mit dem Motiv, dass die Hauptfigur etwas erlebt, bei dem die anderen skeptisch sind. The Boogeyman etwa handelt von zwei Schwestern, die sich nach dem Tod der Mutter von einer unheimlichen Kreatur verfolgt fühlen. Zu viel sollte man jedoch nicht davon erwarten. Das unsichtbare Wesen zeigt keine gefährliche Situation, arbeitet mehr mit dem Unbehagen. Wenn Damien im Spiegel eine unerklärliche Beobachtung macht, ist das schon der Gipfel des Schreckens. Nur zum Ende hin nimmt das Ganze noch einmal Fahrt auf.
So richtig spannend ist der Film dann auch nicht. Zwar ist das Ganze gut gespielt. Bastien Bouillon, der dieses Jahr den César als bester Nachwuchsdarsteller für das Krimidrama In der Nacht des 12. erhielt, ist eine passende Besetzung für den liebenden Familienvater, der zunehmend seinem Wahn erliegt. Dennoch funktioniert das Ganze als geschriebener Text dann doch besser, wenn die Leser und Leserinnen selbst in dem Kopf des Protagonisten gefangen sind. Das unsichtbare Wesen reicht für einen netten Abend vor dem Fernseher, bleibt bei der Inszenierung aber zu brav. Da zeigte beispielsweise Berberian Sound Studio über einen Mann, der in einem Tonstudio Geräusche erzeugt und dabei ebenfalls an seinem Verstand zweifelt, spannender umgesetzt.
OT: „Le Horla“
Land: Frankreich
Jahr: 2022
Regie: Marion Desseigne-Ravel
Drehbuch: Olivier Fox, Olivier de Plas
Vorlage: Guy de Maupassant
Musik: Alexandre Lessertisseur
Kamera: Pierre Baboin
Besetzung: Bastien Bouillon, Mouna Soualem, Milla Harbouche, Alix Blumberg dit Fleurmont, Judith Zins, Guillaume Pottier, Miglen Mirtchev, Philippe du Janerand
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