Die elfjährige Schülerin Kikuko lebt gemeinsam mit ihrer Mutter Nikuko in einem kleinen beschaulichen Fischerdorf. Zumindest im Moment. Ob das Ganze eine Zukunft hat, kann niemand so genau sagen, zu oft sind die beiden in den letzten Jahren schon umgezogen. Nikukos diversen Männergeschichten sei Dank, immer wieder lernt die lebensfrohe Frau neue Leute kennen und fällt dabei schon mal auf die Schnauze. Kikuko ist da ganz anders. Sie ist zurückhaltend, traut sich oft nicht die Meinung zu sagen. Als sie in einen Streit an der Schule hineingezogen wird, tut sie sich dann auch schwer damit, für eine von beiden Seiten Position zu beziehen. Dafür kann sie bei Ninomiya richtig aufblühen, einem eigenwilligen Mitschüler, der eine Vorliebe fürs Grimassenschneiden hat …
Aus dem Alltag einer Jugendlichen
Es gehört zum Aufwachsen oft dazu, dass man sich von den Eltern zu emanzipieren versucht, vielleicht ein bisschen rebelliert, mehr machen und mehr erleben will. Was wenn aber die Eltern so exzentrisch sind, dass es nahezu unmöglich ist, bei ihnen noch eins draufzusetzen? Eine solche Geschichte erzählt die japanische Autorin Kanako Nishi in ihrem 2014 veröffentlichten Roman Fortune Favors Lady Nikuko. Dieser erfreute sich seinerzeit größerer Beliebtheit. Aber auch heute scheint das Buch um eine Jugendliche, die mit ihrer schrulligen Mutter zusammenlebt, eine Fangemeinde zu haben. Zumindest wurde es sieben Jahre nach Erscheinen gleich doppelt neu adaptiert. So gab es im Frühjahr eine auf zwei Bände verteilte Manga-Fassung, einige Monate später folgte ein Animefilm. Der war zwar kein nennenswerter Erfolg in Japan, schaffte es aber auch so glücklicherweise zu uns.
Verantwortlich für diesen ist Regisseur Ayumu Watanabe, den manche vielleicht für seinen Film Children of the Sea kennen werden. Auch dort erzählt er von einem jungen Menschen aus einem turbulenten Haushalt, der auf der Suche nach sich selbst ist. Doch während das bei dem besagten Film in eine abenteuerlich-fantastische Richtung ging, da bleibt Fortune Favors Lady Nikuko deutlich geerdeter. Klar, die Titelfigur ist alles andere als alltäglich. Später erfährt das Publikum auch, dass die Konstellation etwas komplizierter ist, als man sich das zunächst vielleicht gedacht hatte. Dennoch spricht der Anime zahlreiche Themen an, mit denen sich gerade ein jugendliches Publikum identifizieren kann. Da geht es um peinliche Szenen mit der Mutter, wird an der Schule Mobbing betrieben, hinzu kommen komplizierte erste romantische Gefühle. Also alles Punkte, die man selbst kennen könnte.
Schöner Geheimtipp
Das klingt alles sehr ernst. Tatsächlich ist der Ton aber deutlich humorvoller. Dafür ist gerade auch Nikuko zuständig, die immer überdreht ist, immer irgendwie mit Essen beschäftigt oder der etwas Peinliches geschieht. Das steht in einem stärkeren Kontrast zu den realistischeren Szenen etwa in der Schule. So als wäre sie aus einem anderen Film. Und doch gelingt es bei Fortune Favors Lady Nikuko sehr gut, die unterschiedlichen Tonalitäten und auch grafischen Stile zusammenzuführen, ohne dass es zu Brüchen kommt. Da sind immer wieder Szenen dabei, bei denen man schmunzeln darf, andere gehen zu Herzen. Einen wirklichen roten Faden hat das jedoch nicht. Beispielsweise spielt zwischendurch die Mitschülerin Maria eine größere Rolle, verschwindet später aber völlig. Die episodenhafte Erzählung sucht sich stellvertretend einzelne Momentaufnahmen heraus, die chronologisch aufeinanderfolgen, aber nicht zwangsläufig aufeinander aufbauen.
Das wird einem Publikum, das eine tatsächliche durchgängige Geschichte braucht, eventuell zu wenig sein. Wer hingegen Slice-of-Life-Einblicke mag, der ist mit dieser Mischung aus skurrilen und alltäglichen Elementen sehr gut bedient. Daran hat auch die Optik ihren Anteil. Studio 4°C (Poupelle und die andere Seite des Himmels) hat ein bezauberndes Küstenstädtchen zusammengebaut, bei dem schon das bloße Herumschlendern Spaß macht. Anime-Fans sollten Fortune Favors Lady Nikuko allein deshalb schon einmal ins Auge fassen. Die sympathischen Figuren tun ihr Übriges und machen den bislang eher weniger beachteten Film zu einem schönen Geheimtipp.
OT: „Gyokō no Nikuko-chan“
Land: Japan
Jahr: 2021
Regie: Ayumu Watanabe
Drehbuch: Satomi Ooshima
Vorlage: Kanako Nishi
Musik: Takatsugu Muramatsu
Animation: Studio 4°C
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