Die englische Krankenschwester Rachel (Aisling Bea) hört immer noch gerne die Lieder der Popgruppe „The Boys“ (Aaron Bryan, Joshua Jung, Mervin Noronha, Mark Samaras, Dalvin Cory), für die sie als 16-jährige Schülerin (Lara McDonnell) schwärmte. Als sie beim Ratespiel eines Radiosenders mitmacht, gewinnt sie prompt Tickets für ein Reunion-Konzert der Band in Athen. Und sie darf auch andere Leute mitnehmen. Zuerst denkt die Vierzigjährige an ihren Lebensgefährten Jeff (Mark Wootton), dessen Heiratsanträge sie routinemäßig ablehnt. Doch je mehr sie in ihre Erinnerungen eintaucht, desto klarer wird ihr, dass sie ihre einstigen Freundinnen mitnehmen muss, die ebenfalls glühende Fans der Boygroup waren: Debbie (Jessie Mae Alonzo), Heather (Eliza Dobson), Claire (Carragon Guest) und Zoe (Nandi Hudson). 25 Jahre gab es keinen Kontakt zu ihnen. Als sich Rachel, Heather (Alice Lowe), Zoe (Amaka Okafor) und Claire (Jayde Adams) auf dem Flughafen treffen, merken sie, wie sehr sie sich verändert haben. Der Aufenthalt in Athen läuft rasch aus dem Ruder. Offenbar liegt das auch daran, dass Debbie fehlt.
Hommage an die Fans von Take That
Ein beliebtes filmisches Motiv sind Retro-Geschichten, die das Lebensgefühl einer bestimmten Ära heraufbeschwören. Das reifere Publikum schwelgt dann in der nostalgischen Erinnerung an die eigene Jugend, die jüngeren Zuschauer*innen können entdecken, dass auch frühere Generationen ihren Spaß hatten – und ihre gute Musik. Denn nichts drückt den Geist eines früheren Jahrzehnts wohl besser aus als seine Musik. Greatest Days ist kein Porträt der 1989 gegründeten englischen Band Take That, die rasch den Pop-Himmel der 1990er Jahre erklomm. Vielmehr werden in diesem sogenannten Jukebox-Musical die Songs der Boygroup von fiktionalen Charakteren vorgetragen, die mit ihnen an ihre Jugendzeit anknüpfen. Auf ähnliche Weise geschah das mit den Hits von ABBA in Mamma Mia! von 2008. Der Musicalfilm Greatest Days der Regisseurin Coky Giedroyc würdigt mit seinen Charakteren gezielt die Fans der ersten Jahre, die Take That ihren kometenhaften Aufstieg bescherten. Er basiert auf dem Bühnenmusical The Band, das inzwischen ebenfalls Greatest Days heißt und dessen Autor Tim Firth auch das Film-Drehbuch schrieb.
Nie ist im Film von Take That oder den fünf ursprünglichen Band-Mitgliedern Robbie Williams, Gary Barlow, Mark Owen, Howard Donald und Jason Orange die Rede. Die Schülerin Rachel und ihre Freundinnen schwärmen um das Jahr 1993 herum für die Band The Boys. Rachel verpasst wegen ihr keine Übertragung der Sendung „Top of the Pops“ im Fernsehen. Die Band begleitet Rachel und ihre Gruppe durch den Teenager-Alltag, der alle paar Minuten eine Extradosis Glücksgefühl benötigt und wird dabei zum Produkt ihrer Tagträume. Man sieht also tatsächlich fünf junge Männer in sexy Outfits die Songs von Take That vortragen. Sie tauchen in Rachels elterlicher Wohnung auf, tanzen und singen im Bus, auf den Straßen, im Schwimmbad mit den Schülerinnen. Greatest Days kreist um zwei Konzerte, die für die Filmfiguren eine zentrale Rolle spielen und löst das Problem, wer dort auf der Bühne stehen soll, auf radikale, ziemlich ernüchternde Weise. Take That, nach der Trennung 1996 und der späteren Wiedervereinigung derzeit aus Gary Barlow, Mark Owen und Howard Donald bestehend, hat im Film lediglich einen wie ein Osterei versteckten winzigen Gastauftritt.
Atmosphärisch durchwachsen
Die erwachsene Rachel und ihre ehemaligen Freundinnen erhalten mit der Reise nach Athen die Gelegenheit, sich im Geiste zu verjüngen und neu zu beleben. In Rückblenden taucht der Film in eine Ära ein, in der es noch Telefonzellen gibt. Die fröhlichen Girls haben damals das Gefühl, dass ihnen die Zukunft gehört. Selbst Rachel lässt sich von der dramatischen Trennung ihrer Eltern nicht aus der Bahn werfen. Für ein Konzert der Boys werfen sie sich in bunte, freche Klamotten, verbringen die Nacht auf einem Hügel über der Stadt und schenken sich Freundschaftsbändchen. Der atmosphärische Zauber der 1990er teilt sich verhalten, unaufdringlich mit. So vermögen einen auch die Songs von Take That – Pray, Relight My Fire, das titelgebende Greatest Day und viele andere – auf sanfte Art zu umgarnen, selbst wenn man nie ausgewiesener Fan der Popgruppe war. Die jungen Freundinnen sind interessante Charaktere aus eher einfachen Verhältnissen, die sich als Gruppe gegenseitig bestärken. Spannende Choreografien, das unvermittelte Auftauchen der Boys geben diesen Rückblenden einen überzeugenden, auch etwas entrückten Charme, wie er für Musicals, die mit einem Bein in der Fantasiewelt stehen, typisch ist.
Die Handlung der Gegenwartsebene wirkt hingegen weniger ansprechend. Anders als in Mamma Mia! sind die erwachsenen Charaktere nicht von großen Stars gespielt. Sie werden auch kaum näher betrachtet, mit Ausnahme der sympathischen Rachel. Die Romantik spielt lange keine Rolle und drängt dann in einem letzten, etwas angeklebt wirkenden Abschnitt umso wuchtiger hinein. Der Besuch in Athen bleibt seltsam leblos, trotz der Szenen in den Straßen und einem albern-überdrehten Abenteuer mit Springbrunnen, das vermutlich auf die ikonische Szene in Fellinis Klassiker Das süße Leben anspielt. Als sich herausstellt, dass ein tragisches Ereignis in ihrer Jugend von den Frauen eher verdrängt, als bewältigt wurde, droht die Stimmung in Traurigkeit zu versinken. Aber die Kraft der Musik, die die Freundinnen prägte, setzt sich durch – filmisch wiederum sehr überzeugend dargestellt in einer Begegnung der Charaktere mit ihren jüngeren Versionen. Dieser Musicalfilm verfügt über einen sanften Charme, der über alle seine Holprigkeiten und Leerstellen hinweg spürbar bleibt.
OT: „Greatest Days“
Land: UK
Jahr: 2023
Regie: Coky Giedroyc
Drehbuch: Tim Firth
Musik: Nick Foster, Oli Julian, Take That
Kamera: Mike Eley
Besetzung: Aisling Bea, Jayde Adams, Amaka Okafor, Alice Lowe, Lara McDonnell, Carragon Guest, Nandi Hudson, Eliza Dobson, Jessie Mae Alonzo, Marc Wootton, Aaron Bryan, Joshua Jung, Mervin Noronha, Mark Samaras, Dalvin Cory
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)