Chevalier – The Untold Story nimmt das Publikum mit ins Frankreich des 18. Jahrhunderts. Dort lernen wir Joseph Bologne kennen, der als Sohn eines weißen Plantagenbesitzers und einer schwarzen Sklavin eine Sonderstellung einnimmt. So genießt er die beste Ausbildung, zeigt sowohl als Komponist wie auch beim Fechten großes Talent. Er wird sogar zum Chevalier ernannt. Doch sein Traum von einer Karriere als Leiter der Pariser Oper droht zu scheitern. Denn der junge Mann wird aufgrund seiner dunklen Haut bestenfalls geduldet. Zum Start des biografischen Dramas am 16. Juni 2023 auf Disney+ haben wir uns mit Hauptdarsteller Kelvin Harrison Jr. unterhalten. Im Interview sprechen wir über Musik, Rassismus und den Spaß am Leben.
Was hat dich an Chevalier – The Unstold Story gereizt? Weshalb wolltest du den Film drehen?
Als ich bei Searchlight war und von Joseph Bologne erfahren habe, hörte sich das nach einem wirklich coolen Typen an. Danach hat mich das Drehbuch umgehauen. Was er alles erreicht hat, wie er sich durch das Leben damals in Frankreich bewegt hat, das war für mich faszinierend. Es war aber auch unterhaltsam. Chevalier ist zwar ein Drama, aber keines dieser ganzen steifen, wo alles ernst sein muss. Joseph ist für mich ein Spaßvogel. Einer, der gerne für Aufruhr sorgt. Das sind Figuren, wie ich sie gerne spiele.
Wie sah deine Vorbereitung für Chevalier und deine Figur aus?
Ich habe ihn am Anfang einfach gegoogelt und wollte sehen, was ich da so finde. Das war ganz interessant, weil jeder seine eigene Interpretation von Joseph hat. Später habe ich aber auch wissenschaftliche Arbeiten über ihn gelesen von Leuten, die klassische Musik studieren. Dabei habe ich mir besonders die Quellen angeschaut, also die Bücher, die in den Arbeiten zitiert wurde, um noch tiefer einsteigen zu können. Dadurch bin ich auf „Virtuoso of the Sword and the Bow“ von Gabriel Banat gestoßen. Das wurde für mich zu einer Art Bibel, um Joseph besser verstehen zu können, aber auch die Zeit, in der er aufgewachsen ist. Das Buch sagte viel über Plantagen und die Wirtschaft der Sklaverei. Ich wollte verstehen, woher sie alle kommen, und was sie dazu angetrieben hat, diese politischen Entscheidungen zu treffen. Warum wurden Joseph die Freiheiten gewährt, die er hatte, während er gleichzeitig lauter Einschränkungen hatte? Die restliche Vorbereitung bestand darin, die ganze Musik von ihm zu hören.
Du hast es schon gesagt, dass seine Situation eine besondere war. Er hatte auf der einen Seite Privilegien, die andere Schwarze damals nicht hatten, gerade im Hinblick auf seine Erziehung. Er musste aber auch gegen den Rassismus ankämpfen. Würdest du insgesamt sagen, dass er Glück oder Pech hatte?
Ich glaube nicht, dass beim Thema Sklaverei etwas ist, das mit Glück zu tun hat. Aber mir gefällt, dass du von Privilegien sprichst. Als Sohn eines Weißen und einer Schwarzen genoss er Möglichkeiten, die ein rein Schwarzer niemals bekommen hätte. Insofern stand er irgendwo dazwischen.
Nachdem du dich so viel mit Joseph beschäftigt hast, wie würdest du ihn beschreiben? Was für ein Mensch war er?
Ich würde sagen, dass er sehr kreativ und einfallsreich war. Er sah Möglichkeiten, die andere nicht sehen konnten. Die meisten waren so sehr mit dem bloßen Überleben beschäftigt, während er mehr mit dem Potenzial beschäftigt war und auch mal etwas Neues ausprobierte. Er war defensiv. Er war aber auch klar ein überheblicher und trotziger Mensch, der Spaß haben wollte, ohne über Konsequenzen groß nachzudenken.
Und kannst du dich mit seiner Art identifizieren?
Zum Teil schon, ja. Ich bin auch jemand, der gern sein eigenes Ding durchzieht, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was andere tun oder von dir halten. Wie Joseph bin ich auch ein neugieriger Mensch und habe gern Spaß. Denn dafür ist das Leben da.
Wie sieht denn Spaß bei dir aus? Was machst du, um Spaß zu haben?
Ich habe tatsächlich Spaß an meiner Arbeit. Klar ist Schauspielern hart. Dafür darf ich aber auch die Welt bereisen. In den letzten zwei Jahren habe ich in Italien gelebt, in Australien, in Prag, demnächst geht es nach Kroatien. Ich flattere umher und treffe die unterschiedlichsten Leute. Ich darf auch ständig etwas Neues lernen, etwa das Geigespielen oder auch Fechten. Rocksongs durfte ich auch singen. Ich bin 28 und habe schon so viel erleben dürfen. Das bedeutet Spaß für mich.
Konntest du vorher schon Geige spielen oder war das völlig neu?
Ich habe tatsächlich schon mit sieben Geige gespielt, das war mein erstes Instrument. Damals war ich in einem Geigenprogramm in New Orleans. Aber dann kam der Hurrikan Katrina und alles war zerstört. Das Programm gab es danach nicht mehr. Also habe ich andere Instrumente ausprobiert und spielte Klavier und Trompete. Als ich für Chevalier wieder mit der Geige anfing, war es das erste Mal seit vielen vielen Jahren.
War es schwierig für dich, wieder damit anzufangen?
Ja, sehr. Klar habe ich die ganze Zeit anderweitig Musik gemacht, was mir sicher geholfen hat. Sonst wäre es noch härter gewesen. Außerdem ist mein Vater ein Lehrer für klassische Musik. Insgesamt hatte ich drei Geigen-Lehrer, die absolut unglaublich waren. Dennoch war es harte Arbeit. Ich habe fünf Monate lange trainiert, sieben Tage die Woche, sechs Stunden pro Tag. Du musst da wirklich dranbleiben, wenn du etwas erreichen willst. Dadurch konnte ich die Stücke spielen, die wir im Film brauchten. Wenn ich jetzt aber ein anderes Stück spielen müsste, das wir eben nicht für Chevalier trainiert haben, wäre ich aufgeschmissen. Zumindest bei so komplizierten Stücken.
Spielst du denn die Stücke noch?
Nein, ich musste das alles hinter mir lassen. Genauso die Geige, die nach wie vor in Prag ist.
Und sonst machst du aber noch Musik?
Ein bisschen. Ich würde gern mehr machen, aber es ist dauernd so viel los, dass ich einfach nicht dazu komme. Wenn du nicht gerade dafür bezahlt wirst, so viel zu trainieren, ist es schwierig, die nötige Zeit zu finden. Aber sobald ich einmal eine Pause einlegen sollte, will ich schon wieder damit anfangen.
Und wenn du die Wahl hättest, welche Art von Musik würdest du spielen?
Ich liebe tatsächlich klassische Musik, vor allem die etwas langsameren Stücke, weil die einfach so schön sind. Da ist etwas Meditatives an ihnen, das mir sehr gefällt. Die schnelleren Sachen sind oft nur dazu da, dass du angeben kannst. Ich will aber lieber Musik spielen, bei der ich mich gut fühle. Da ich aus dem Süden komme, spielte natürlich auch Gospel eine große Rolle in meinem Leben. Oder Jazz. Ich mag Jazz, gerade Jam Sessions.
Und wie sieht es mit Fechten aus? War das neu für dich?
Tatsächlich habe ich schon ein bisschen für Cyrano gelernt. Joe Wright, der Regisseur des Films, wollte, dass ich es lerne. Aber dann hat er diese Szene herausgeschnitten. Das viele Trainieren war also letztendlich für nichts. Die vielen Stunden, in denen ich gefochten habe, ganz umsonst. Insofern war ich ganz glücklich, dass ich bei Chevalier darauf aufbauen konnte. Sonst wäre ich richtig sauer auf Joe gewesen. (lacht)
Wie schwierig war es für dich, dich in das 18. Jahrhundert hineinzuversetzen? Es ist ja offensichtlich, dass du dieses nicht selbst erlebt hast.
Oh, tatsächlich stamme ich aus dem 18. Jahrhundert und bin nur mit der Zeitmaschine in die Gegenwart gereist, damit ich mich mit anderen über Joseph unterhalten kann. Okay, ich höre da besser auf. (lacht)
Nur zu, ich war neugierig, worauf das jetzt hinausläuft.
Ich sehe schon, „erzähle mir von deinen Zeitreise-Abenteuern“. Aber im Ernst, es war schon etwas kompliziert, mich in diese Zeit einzuleben. Wobei mir auch da Cyrano geholfen hat. Der Film war zwar eine Mischung aus verschiedenen Epochen, während Chevalier klar definiert war als Frankreich im 18. Jahrhundert. Als erster Schritt war es aber hilfreich. Vor allem musste ich lernen, was die Regeln und Grenzen waren, innerhalb derer man sich damals bewegt hat. Weil das auch die Grenzen waren, die ich als Schauspieler hatte. Wie weit darf ich bei einer Königin gehen? Wie muss ich mich Weißen gegenüber verhalten? Muss ich eine Strafe befürchten, wenn ich das und das sage? Bin ich bereit, bestraft zu werden, wenn ich so weit gehen möchte? Nur wenn du die Grenzen kennst, kannst du solche Entscheidungen treffen. Ich hatte eigene Trainer nur für die Bewegung, die mir gesagt haben, was ich überhaupt tun darf. „Du musst deine Hände dort behalten!“ „Du darfst das Gesicht nicht berühren!“ „Du darfs die Arme nicht verschränken!“ Auch das richtige Verbeugen musste ich erst noch lernen. Es gab also eine ganze Menge Leute, die mir Sachen gesagt haben. Das war schon anstrengend und irgendwie langweilig. So als müsste ich noch einmal zur Schule gehen.
Stell dir vor, du hättest eine wirkliche Zeitmaschine zur Verfügung: Welche Epoche würdest du gern einmal erleben?
Wahrscheinlich die 80er in New York. Das wäre so cool. Ich mag die Kunstszene aus der Zeit sehr gerne. Zu weit in die Vergangenheit würde ich nicht wollen, weil ich Angst vor dem Rassismus hätte. Aber ich glaube, die 80er wären eine gute Zeit.
Wir hatten es vorhin schon mit Rassismus im Bezug auf deine Figur. Als schwarzer Mann, der in der Unterhaltungsindustrie arbeitet, wie oft wirst du da mit Rassismus konfrontiert?
Meistens ist der Rassismus recht subtil. Und ich weiß auch nicht, ob ich es als Rassismus bezeichnen würde, weil da oft kein Hass dahintersteckt, keine Bosheit. Aber ich würde schon sagen, dass es viel Ignoranz gibt. Und ein Mangel an Neugierde. Es gibt ein System, das auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet ist. Manchmal werden Rollen nicht an Dunkelhäutige vergeben, weil befürchtet wird, dass sich der Film dann schwerer verkaufen lässt. Da komme ich allein wegen meiner Hautfarbe nicht in Frage. Das sind dann schon Momente, in denen ich mich entmenschlicht fühle. Man könnte dazu schon auch Rassismus sagen. Aber es ist mehr ein vererbter Rassismus. Ich bin jemand, der sehr an die Kraft der Gemeinschaft glaubt und dass es manchmal Geduld braucht.
In den letzten Jahren wurde viel darüber gesprochen, dass es mehr Diversität braucht, sowohl vor wie auch hinter der Kamera. Hast du das Gefühl, dass wirklich Fortschritte gemacht werden, oder sind wir noch beim bloßen Reden?
Ich denke schon, dass es Fortschritte gibt. Ich sehe auf jeden Fall Unterschiede. Manche Rollen würde ich heute vielleicht nicht kriegen, wenn es nicht diese Diskussionen rund um Diversität gegeben hätte oder auch die Regeln, die aufgestellt wurden, um mehr Diversität zu ermöglichen. Denke ich, dass diese Diskussionen manchmal reine Eitelkeit sind? Ja, das tue ich. Das ist manchmal eine reine Show. Denke ich, dass es für die Menschen wirklich eine Herzensangelegenheit ist, etwas zu verändern? Nicht unbedingt. Aber ich denke, dass es ein wichtiger erster Schritt ist. Für viele ist das alles noch neu und wir müssen die Sehgewohnheiten langsam verändern, eben damit es nicht mehr als finanzielles Risiko angesehen wird, People of Color zu besetzen. Wir müssen die Leute daran erinnern, dass wir alle Menschen sind, schwarz, braun, weiß, was auch immer. Wir müssen vor Augen führen, was es heißt, eine Person zu sein. Und ich habe die Hoffnung, dass wir etwas ändern können.
Funktioniert das auch in Ländern, in denen es im Alltag keine Diversität gibt? Zum Beispiel in fernöstlichen Ländern, wo einfach keine Schwarzen leben?
Ich denke schon, solange die Filme universell sind und Spaß machen. Chevalier ist nicht allein ein Film über einen Schwarzen. Er ist zuerst einmal ein interessanter Mann. Und damit kannst du dich überall identifizieren. Du kannst dich überall mit Männern und Frauen identifizieren. Damit, einen anderen Menschen zu lieben. Jemanden zu verlieren. Träume zu haben, Leidenschaften. Dich eingeschränkt zu fühlen. Das ist es auch, was mir an dem Film gefällt: Alle Figuren haben auf die eine oder andere Weise mit Einschränkungen zu leben. Marie-Josephine muss sich in einer frauenfeindlichen Welt bewegen und fühlt sich wie in einem Käfig gefangen. Andere erfahren wegen ihres Alters Diskriminierung. Josephe kommt aus einem anderen Land und will einfach nur gemocht werden. Wir alle wollen gemocht werden. Solange wir Geschichten erzählen, bei denen das Publikum etwas findet, mit dem es etwas anfangen kann, ist es nicht so wichtig, wie die Figur aussieht. Meine Haut sollte für andere nicht mit Leid und Unterdrückung verbunden sein, sondern nur mit meiner Menschlichkeit. Aber dahin müssen wir erst noch kommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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