Eigentlich hatte man meine können, dass das Thema Flüchtlinge in Filmen inzwischen durch ist. So gab es ab 2015 eine ganze Flut von Titeln, die sich mit den verschiedensten Aspekten auseinandersetzen. Vor allem im Dokumentarfilm-Bereich gab es Nachschub ohne Ende. Später verschwand das aber alles aus dem Bewusstsein, die Welt hatte andere Problemfelder und Aufregerthemen, von Corona über den Ukrainekrieg bis zum Klimawandel. Und doch finden sich nach wie vor neue Werke, die dafür sorgen, dass man das alles nicht komplett vergisst. So erzählte Sara Mardini – Gegen den Strom von der gleichnamigen ehemaligen Schwimmerin, die aus Syrien geflohen ist und sich jetzt als Aktivistin für andere einsetzt. In Picknick in Moria – Blue Red Deport geht es – der Titel verrät es bereits – um die gleichnamige griechische Insel, die schon häufiger als Auffangbecken in den Nachrichten stand.
Kunst als verbindendes Mittel
Aus dem Grund dürfte der Titel bei manchen auch für Irritationen sorgen. Wie kann ein Flüchtlingslager, das für katastrophale Lebensbedingungen berüchtigt war, Schauplatz eines beschaulichen Picknicks sein? Die Antwort darauf fällt etwas überraschend aus. Genauer handelt es sich um den Titel eines fiktionalen Films, der von Flüchtlingen gedreht werden sollte. Der Dokumentarfilm Picknick in Moria – Blue Red Deport begleitet eben diese Flüchtlinge, während sie an diesem Werk arbeiten. Dieser Aspekt ist es dann auch, der den Film ein wenig von den vielen anderen Dokus in diesem Bereich unterscheidet. Das erlaubt es Regisseurin Lina Lužytė, ein wenig zwischen den Ebenen hin und her zu springen. Wenn die Crew des Films im Film über abgelehnte Asylanträge spricht, dann wird deutlich, was in den Menschen hinter diesem Film so vor sich geht.
Überhaupt ist es die menschliche Dimension, die Picknick in Moria – Blue Red Deport auszeichnet. Lužytė erinnert daran, dass hinter den Nachrichten und den Zahlen, die rund um das Lager bekannt wurden, immer Einzelschicksale steckten. Dies geschieht hier exemplarisch durch den afghanischen Künstler Talibshah Hosini, der gemeinsam mit seiner Familie vor den Taliban geflohen ist und wie so viele andere auf Moria feststeckte. Der Film war für ihn und andere eine Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen zu verarbeiten. Gleichzeitig wird die Arbeit an dem Drama zu einem Anlass, eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Kunst wird inmitten der belastenden Wartezeit zu einem verbindenden Element und erlaubt es den Menschen, zumindest in der Vorstellung etwas aufzubauen.
Zurückhaltend erzählt
Davon abgesehen ist der Film, der unter anderem beim Filmfest Cologne 2022 zu sehen war, ein recht erwartbarer Beitrag zu dem Thema. So hat die Doku weder über die Situation im Lager noch zu dem europäischen Umgang mit Flüchtlingen etwas Neues zu sagen. Das heißt aber nicht, dass sie deswegen veraltet ist. Wenn Picknick in Moria – Blue Red Deport gerade in der Woche in die Kinos kommt, in der sich die EU auf eine Asylreform einigt, die den Zugang von Flüchtlingen noch weiter einschränken soll, dann ist das ein unheimlich passend gewählter Zeitpunkt. Die Abschottung, die in dem Film zu sehen war, die Ablehnung und Feindseligkeit, geht auch Jahre nach dem Ende des Lagers noch weiter,
Picknick in Moria – Blue Red Deport ist deshalb durchaus sehenswert. In einer Zeit, in der die Hetze gegen Flüchtlinge und Fremde wieder zuzunehmen scheint, erinnert Lužytė daran, was das eigentlich bedeutet. Dazu muss sie selbst nicht einmal viel sagen, sie lässt die Szenen für sich sprechen. Das ist ebenso positiv wie der Verzicht auf inszenatorische Manipulationen. Die Regisseurin bleibt reine Beobachterin und überlässt es dem Publikum, eigene Schlüsse zu ziehen und doch noch über ein Thema nachzudenken, das viele schon innerlich abgehakt haben.
OT: „Picknick in Moria – Blue Red Deport“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Lina Lužytė
Musik: Juozas Milašius
Kamera: Lina Lužytė, Mark Hammond
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