Carmy (Jeremy Allen White) stand eine großartige Zukunft als Sternekoch in New York bevor. Nach dem Selbstmord seines Bruders (Jon Bernthal) kehrt er allerdings in seine Heimat Chicago zurück, um dort den Sandwich-Laden The Original Beef of Chicagoland des Verstorbenen zu übernehmen. Eine Nobelküche findet er hier natürlich nicht vor. Auch das Küchenteam zählt nicht unbedingt zur Elite der Zunft. Allerdings bewirbt sich die junge engagierte Sydney (Ayo Edebiri) bei ihm und avanciert bald zum Sous Chef, Carmys rechter Hand also. Manager Richie (Ebon Moss-Bachrach) indes hat den Verlust seines besten Freundes nicht überwunden. Doch nicht nur deshalb gibt es Reibereien …
Kochen mit Respekt
Das Team des The Original Beef of Chicagoland arbeitet zwar einigermaßen zusammen, hält aber wenig von klar verteilten Aufgaben, strikt geregelten Abläufen oder gegebenen Anweisungen. Es ist leicht, zuhause auf dem gemachten Bettchen zu sitzen und unreflektiert in die Onlinewelt hinauszuposaunen, wie schlimm etablierte Strukturen doch wären, aber in der realen Welt laufen die Dinge eben ein wenig anders. Wer als Gruppe Kunst kreieren will – sei es nun ein Film oder eben angerichtetes Essen –, braucht Disziplin und muss in einer Hierarchie funktionieren. Irgendwelche Awareness-Konzepte oder Wohlfühl-Stuhlkreise sind da völlig fehl am Platz. Dabei darf es natürlich auch nicht ins andere Extrem kippen, wie es im New Yorker Restaurant geschieht, in dem Carmy von seinem Boss (toller Gastauftritt: Joel McHale) verbal malträtiert wird und nie ein Wort des Lobes hört.
Aus rein ergebnisorientierter Sicht wäre aber selbst das noch zu bevorzugen. Im Laufe der Serie findet die Belegschaft unter der Führung von Sydney jedoch zum Glück die goldene Mitte: In einer Befehlskette zu arbeiten, muss nicht mit Respektlosigkeit einhergehen. Eine der ersten Amtshandlungen Carmys ist die Einführung der Anrede „chef“ untereinander. Es ist eine ähnliche Taktik wie in Coach Carter, in welchem ein neuer Trainer seine Zöglinge konsequent mit „sir“ adressiert.
Exzellente Schnittarbeit
The Bear: King of the Kitchen kann manchmal schon recht unangenehm sein – auf gute Weise. In der Gastronomie zu arbeiten, ist stressig. Die Arbeitsatmosphäre ist in der Serie unfassbar authentisch eingefangen; so überträgt sich der Stress zuweilen auf den Zuschauer – umso mehr, wenn Erfahrung in diesem Bereich vorhanden ist. Wenn The Bear in einem Wort zusammengefasst werden müsste, wäre es wahrscheinlich sogar Authentizität. Erzählte Zeit (wie lange etwas für die Figuren dauert) und Erzählzeit (wie lange dieses Etwas bei der Rezeption durch den Zuschauer dauert) sind oft nah beieinander oder gar deckungsgleich.
The Bear ist in vielerlei Hinsicht (Schauspiel, Kamera, Regie) bemerkenswert, aber das Editing verdient hier noch einmal eine gesonderte Erwähnung. Einige Szenen funktionieren hauptsächlich deshalb so gut, weil es keinen Schnitt gibt. Wenn etwa ein Charakter eine Sauce verhunzt, seinen Arbeitsplatz (von der Kamera begleitet) verlässt, um sie wegzuschütten, und bei der Rückkehr eine fertige Sauce vorfindet, die jemand anderes für ihn zubereitet hat, dann wird selbst Unwissenden klar, wie es in so einer Küche zugeht. Wäre die Szene geschnitten, entstünde kein Gefühl für die vergangene Zeit, in der dem Charakter ausgeholfen wurde. Dieses Konzept gipfelt in der siebten und anstrengendsten Episode.
Packend und anstrengend
Es gibt sicher Filme und Serien, die aus technischer Sicht beeindruckender inszeniert sind als The Bear: King of the Kitchen. Darunter leidet dann aber oft der Inhalt, er scheint zugunsten der Präsentation in den Hintergrund zu rücken. Nicht so hier. Was in der Serie passiert, ist was den Zuschauer packen wird – das technische Beiwerk ist reine Unterstützung. Wer mit Reality-Shows wie In Teufels Küche oder Hell’s Kitchen vertraut ist, der wird wohl schon einige der hier gezeigten Abläufe und den ganz eigenen Jargon dieses Mikrokosmos kennen. Weder dieses Vorwissen noch die eigene Erfahrung in dem Metier sind jedoch nötig, um sich von der Serie in ihren Sog ziehen zu lassen, und nach acht womöglich am Stück angeschauten, vielleicht aber lieber doch auf zwei bis drei Sitzungen aufgeteilten Episoden erschöpft ins Sofa zu sinken, und erst einmal wieder zu Atem zu kommen.
Ganz perfekt ist The Bear: King of the Kitchen natürlich nicht. Die erste Folge braucht nach der Einstiegsszene vielleicht etwas zu lange, um richtig in Gang zu kommen. Auch der ein oder andere Subplot, vor allem außerhalb der Küche, ist vielleicht etwas zu viel des Guten. Ein Wiederanschauungswert ist zwar gegeben, aber einmal mag für die meisten schon genug sein. Wer aber nicht genug davon bekommen kann, hat Glück: Die zweite Staffel startet im Juni 2023 – zumindest in den USA. In Deutschland dürfen wir wohl im Oktober damit rechnen, zumindest wenn Disney+ es wie bei der ersten Staffel handhabt.
OT: „The Bear“
Land: USA
Jahr: 2022
Regie: Christopher Storer, Joanna Calo
Drehbuch: Christopher Storer, Sofya Levitsky-Weitz, Karen Joseph Adcock, Catherine Schetina, Rene Gube
Musik: J.A.Q.
Kamera: Andrew Wehde, Adam Newport-Berra
Besetzung: Jeremy Allen White, Ebon Moss-Bachrach, Ayo Edebiri, Lionel Boyce, Liza Colón-Zayas, Edwin Lee Gibson, Corey Hendrix, Richard Esteras, Jose M. Cervantes, Abby Elliott, Oliver Platt, Joel McHale
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