Medusa Deluxe
Szenenbild aus Thomas Hardimans Friseurwettbewerbskrimi "Medusa Deluxe" (©)

Thomas Hardiman [Interview]

Eigentlich wollten sich die Teilnehmenden bei dem Frisurenwettbewerb nur miteinander messen und herausfinden, wer von ihnen am Besten ist. Doch als eine Leiche gefunden wird, bestimmt ein anderes Thema die Diskussionen. Schließlich muss der Mörder oder die Mörderin unter ihnen sein. Nachdem der etwas andere Krimi Medusa Deluxe 2022 beim Locarno Film Festival Weltpremiere feierte und anschließend auf weiteren Festivals zu sehen war, läuft er seit dem 8. Juni 2023 bei uns im Kino. Ab dem 4. August wird er zudem exklusiv auf der Streamingplattform MUBI zu sehen sein. Doch wie kam es zu dem ungewöhnlichen Werk? Und warum verzichtete er auf sichtbare Schnitte? Diese und weitere Fragen haben wir Regisseur und Drehbuchautor Thomas Hardiman gestellt.

Könntest du uns ein wenig über die Entstehungsgeschichte deines Films erzählen? Wie bist du auf die Idee für Medusa Deluxe gekommen?

Da kommen ganz viele Punkte zusammen. Ich liebe beispielsweise das Thema Frisuren und hatte das Gefühl, dass ich das Publikum in eine Welt mitnehmen kann, die überzeichnet ist, komisch und doch auch ehrlich und emotional. Dass ich mit dem Film auch etwas Neues machen könnte. Wie einen Schneeball, den ich von der Spitze eines Berges lostrete und der sich in eine Lawine verwandelt.

Und wie würdest du das Endergebnis beschreiben?

Im Grunde ist es ein Film, der von dem Gegensatz aus Leidenschaft und Obsession erzählt. Wo hört das eine auf und beginnt das andere? Das geschieht anhand einer Gemeinschaft, die auseinanderzubrechen droht, aber noch einmal zusammenkommt, weil sie eine Leidenschaft teilt. Die des Frisierens. Diese Leidenschaft führt sie in die unterschiedlichsten Richtungen, manchmal wird es auch lächerlich, wie sehr sie sich da reinsteigern.

Aber brauchst du nicht diese Leidenschaft, um in dem Bereich Erfolg zu haben?

Auf jeden Fall! Die brauchst du in jedem Bereich, wenn du etwas erreichen willst. Das liegt in der Natur von allen kreativen Tätigkeiten. Die Frage ist nur, wozu das alles führt. Kommst du an den Punkt, an dem das alles auch wirklich zu einem Ergebnis führt? Oder kommst du an den Punkt, an dem alles auseinanderfällt? Ich weiß noch nicht, wie das bei mir aussehen wird, aber das ist ein Thema, das mich selbst sehr interessiert.

Was tust du, um in der Hinsicht die Balance zu halten?

Wahrscheinlich nicht genug. Filmemachen ist etwas, das dein ganzes Leben bestimmt. Jeder wache Moment ist damit verbunden, irgendwie an diesem Thema dranzubleiben. Du denkst dann beispielsweise über Kameraarbeit nach. Kann ich die Kamera so und so bewegen? Was würde passieren, wenn ich das so mache? Wahrscheinlich musst du, um diese Balance halten zu können, deine Arbeitszeit wirklich streng von dem Rest trennen und dich mit etwas anderem beschäftigen. Ich fahre zum Beispiel, wenn ich gerade nicht arbeite, viel mit dem Fahrrad.

Kommen wir zum Thema Frisieren zurück. Warum interessiert dich das?

Ich war als Kind viel mit meiner Mutter in Friseursalons. Die fand ich immer sehr spannend, weil sie einerseits so elektrisierend und lebendig waren, mich gleichzeitig aber an meine Familie erinnerten. Ich komme aus einer großen irischen Familie. Und die Art und Weise, wie die Menschen in Salons zusammensitzen und sich Geschichten erzählen, erinnerte mich immer daran, wie es war, wenn meine Familie zusammenkam. Außerdem ist Frisieren einfach eine sehr spannende kreative Tätigkeit. Es gibt innerhalb des kreativen Bereichs klare Hierarchien, die besagen, dass Frisieren weniger wichtig ist als andere Tätigkeiten. Aber für mich ist das absoluter Blödsinn. Du kannst beim Frisieren ebenso kreativ sein wie bei anderen Kunstformen und ich wollte zeigen, dass Frisuren nicht weniger wert sind als ein Buch oder ein Gemälde. Gleichzeitig wollte ich aber auch, dass der Film Spaß macht und das Publikum auf eine Achterbahnfahrt mitnimmt.

Warst du selbst bei einem solchen Frisierwettbewerb?

Ja, natürlich. Ich habe sehr viel Zeit in Recherchen investiert, weil ich wollte, dass das alles korrekt ist. Ich war auf Wettbewerben, habe alle möglichen Bücher über Haare gelesen und war auch auf einer riesigen Messe. Insgesamt habe ich bestimmt ein Jahr lang recherchiert, was auch daher kommt, dass ich selbst aus diesem Bereich komme. Ich habe beim Film schon alle möglichen Jobs gehabt. Einer davon war, dass für andere Filme Recherchen betrieben habe. Das zeigt sich dann auch bei meiner eigenen Arbeit, wenn die Recherche ein wichtiger Teil des Schreibprozesses ist.

Gibt es solche Wettbewerbe eigentlich auch für Männer?

Ja, gibt es. Es gibt sowohl männliche Friseure, die an den Wettbewerben teilnehmen, als auch männliche Models. Aber das findet nicht in dem Ausmaße statt wie bei Frauen. Das ist letztendlich wie bei de Mode. Da gibt es inzwischen auch mehr zu Männern, was ich großartig finde. Die Grenzen zwischen den Geschlechteridentitäten verschwimmen da. Aber Frauen werden immer im Mittelpunkt der Haute Couture stehen.

Warum sind Frisuren deiner Meinung nach für Frauen wichtiger als für Männer?

Ich denke gar nicht mal, dass es wichtiger ist. Männer sind genauso eitel wie Frauen, die geben sich da nicht viel. Wie du dich der Welt zeigst und wie du auf andere wirkst, ist für alle wichtig. Und da wandelt sich eben auch viel im Moment. Viele der alten Normen verlieren ihre Gültigkeit. Als David Beckham damals einen Rock getragen hat, war das noch eine Sensation. Heute findest du zu allen möglichen Themen Podcasts, die sich nur damit beschäftigten, was du mit deinem Haar anstellst, ob nun auf dem Kopf oder am Körper.

Die Frisuren in deinem Film sind schon sehr aufwendig. Wie lange habt ihr dafür gebraucht?

Sehr lange! Der Dreh des Films hat gerade mal neun Tage gedauert, was schon sehr extrem ist. An den Frisuren haben wir aber mehrere Monate gearbeitet. Die Frisuren sollten selbst Geschichten erzählen und Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit sein.

Kommen wir zu einem anderen Thema: Medusa Deluxe verwendet Elemente des klassischen Whodunnit-Krimis. Solche werden bis heute produziert, sei es fürs Kino oder das Fernsehen. Es werden auch nach wie vor viele Bücher beschrieben. Wo liegt deiner Meinung nach der Reiz solcher Geschichten? Warum haben wir Spaß daran, wenn andere ermordet werden?

Letztendlich geht das auf unser Bedürfnis nach Drama zurück. Das muss nicht zwangsläufig ein Mord sein. Viele haben auch Spaß an Klatsch und Tratsch, wenn sie von dem Drama im Leben anderer erfahren. Auch hier spielt Leidenschaft eine große Rolle. Du musst etwas so sehr wollen, dass du zu allem bereit bist und die unglaublichsten Dinge tust – wie eben einen Mord. Das ist die Grundlage jeden Dramas.

Und magst du selbst Krimis?

Klar, auf jeden Fall. Ich liebe sie! Ich habe sie mir immer mit meiner Mutter angeschaut, das hatte bei uns Tradition. Da war das gemeinsame Anschauen fast so wichtig wie der Fall an sich. Wobei ich bei Medusa Deluxe diese Traditionen ja auseinandernehme und das Genre dekonstruiere. Beispielsweise habe ich den Ermittler rausgenommen und bleibe stärker an den anderen Figuren dran. Die waren ohnehin immer spannender. Und auch am Ende unterscheidet sich mein Film stark von den üblichen Krimis. Es geht bei mir nicht um einen Mord, sondern um Liebe und Leidenschaft.

Auffällig ist auch, dass ihr ohne sichtbare Schnitte arbeitet, sondern immer den Figuren folgt. Warum hast du dich für diese Erzählweise entschieden?

Ich habe mich dabei an dem orientiert, wie wir das Internet und die Medien konsumieren. Wenn sich meine Nichten beispielsweise Videos ansehen, ob jetzt auf YouTube oder TikTok, dann ist es völlig normal, dass diese lange Einstellungen haben und nicht geschnitten sind. Das finde ich als Filmemacher interessant, weil es eine ganz andere Form des Geschichtenerzählens darstellt. Für mich war das eine Möglichkeit, bei den Figuren zu bleiben und selbst eine Art Charakter zu werden.

Es bedeutet aber auch eine große Herausforderung für das Ensemble, weil alles sitzen muss, ohne dass du beim Schnitt später etwas retten kannst. Wie lange habt ihr davor geprobt?

Der Dreh war wie gesagt neun Tage. Die Proben gingen über einige Wochen. Angefangen haben wir mit Zoom-Sessions, bei denen ich das gesamte Areal abgelaufen bin. Später haben wir mit billigen Kameras angefangen, bevor es dann ernst wurde. Auf diese Weise baute das eine auf dem anderen auf.

Das Setting des Frisurenwettbewerbs, die Dekonstruktion des Krimigenres, die fehlenden Schnitte – inhaltlich und inszenatorisch bist du da schon eigene Wege gegangen. Wie schwierig war es, andere von deiner Vision zu überzeugen und das Budget aufzutreiben?

Das war tatsächlich schwierig. Aber ich komme vom britischen Indiekino. Da ist das immer schwierig. Aber ich liebe das und wollte nie etwas anderes machen. Momentan ist es allerdings allgemein schwierig, in Großbritannien Filme zu machen. Hier wird so viel produziert wie nie, seitdem auch Netflix und die anderen ganz viel machen. Das ist einerseits großartig, weil du wahnsinnig viele Möglichkeiten hast. Gleichzeitig hast du aber nur eine bestimmte Anzahl an potenziellen Crewmitgliedern. Die reichen gar nicht für alle Projekte. Wenn du die Gelegenheit hast, gerade einen Film zu drehen, musst du sie nutzen, weil du nicht weißt, ob sie jemals wiederkommt.

Du meintest, dass es schwieriger wird, Filme zu drehen. Wird es auch schwieriger, ein Publikum zu finden?

Ja und nein. Natürlich brauchst du Leute, die an dich glauben und dir die Chance geben, den Film zu zeigen. Und wenn du einen Film machst, der sich nicht an die Sehgewohnheiten hält, kann das schwierig sein. Gleichzeitig hat Großbritannien eine lange Tradition von Filmemachern, die experimentell arbeiten. Außerdem musst du auch Neues wagen, wenn du die Leute ins Kino bringen willst.

Vielen Dank für das Gespräch!



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