Aus Angst machen Menschen so einige seltsame Dinge. Da ist zum Beispiel Sarah (Lyida Leonard), die sich in ihrer Londoner Wohnung versteckt, ihrem Freund und dessen Tochter aber erzählt, sie sei gerade in Los Angeles. Weil sie große Angst vorm Fliegen hat, konnte sie ihre geplante Geschäftsreise gar nicht antreten, traut sich aber nicht, mit ihrer Angst offen umzugehen. Dumm nur, dass sie in wenigen Tagen mit ihrem Freund in den Urlaub fliegen soll! Um die Flugangst abzulegen, hat sie sich einer „Fearless Flyers“-Gruppe angeschlossen, in der ihr und anderen Betroffenen die Flugangst unter therapeutischer Anleitung genommen werden soll. Die Gruppe steht kurz vor ihrer ersten echten gemeinsamen Flugreise, die sie von London nach Island und wenige Stunden später wieder zurück führen soll. Während ein paar Gruppenteilnehmer schon am Flughafen Reißaus nehmen, bleibt um Sarah und den Gruppenleiter Charles (Simon Manyonda) ein harter Kern zurück. Neben dem Romanautor Edward (Timothy Spall) sind auch noch der ständig nervöse Alfons (Sverrir Guðnason) und seine zur Unterstützung mitreisende Freundin Coco (Ella Rumpf) dabei. Letztere sieht die Reise vor allem als optimale Gelegenheit, ihren hunderttausenden Instagram-Followern neuen Content zu präsentieren.
Der Kampf mit den Neurosen
Ängste und Neurosen bieten sich seit jeher an, um herrlich komödiantische Situationen entstehen zu lassen – das wissen wir spätestens seit Woody Allen. Und dass auf Reisen alles Mögliche schief gehen kann, ist auch klar. Wenn man also beides zusammenwirft und eine Gruppe von Menschen mit großer Flugangst auf eine Reise schickt, bei der dann eine Panne nach der anderen passiert, hat man die Grundzutaten für eine unterhaltsame Komödie. So verfährt nun auch der isländische Drehbuchautor und Regisseur Hafsteinn Gunnar Sigurðsson (Under the Tree). Dabei mischen sich durchaus immer wieder ernste Töne in die Erzählung. So kommen etwa beim Anflug auf Island Edwards Erinnerungen an seine Erlebnisse während des Falklandkrieges wieder hoch. Dies veranlasst ihn schließlich dazu, auf die Angst auslösenden Ereignisse um ihn herum mit ähnlichen Mitteln zu reagieren, wie damals im Krieg – was aber natürlich zu ein paar übertriebenen, komödiantischen Situationen führt.
Reibungen entstehen auch aus der Dynamik innerhalb der kleinen Gruppe aus unterschiedlichen Charakteren. Das erinnert ein wenig an Glass Onion: A Knives Out Mystery oder natürlich auch Triangle of Sadness, wo sich die Figuren ja auch auf einer Reise befinden, die ganz anders verläuft, als sie es sich vorgestellt hatten. In Fearless Flyers versucht der heillos überforderte Gruppenleiter Charles vergeblich, die Dinge unter Kontrolle zu behalten, was Simon Manyonda mit einem Gesichtsausdruck ständiger Verwirrung und Panik spielt. Auch die anderen Figuren erlangen ihre Komik meist dadurch, dass sie aus der Fassung geraten, wo sie diese doch so verzweifelt zu bewahren versuchen. Die den ganzen Film durchziehende Atmosphäre der Angespanntheit wird noch durch die treibende, jazzige Filmmusik unterstützt. Gleichzeitig nutzt Sigurðsson die Bilder der beeindruckenden, fremdartigen Landschaft Islands, um das Gefühl der Hilflosigkeit zu vermitteln, dem die Charaktere ausgeliefert sind.
Ständig steigende Absurdität
Zwar sitzt nicht jeder Gag (auch wenn es ein paar herrlich komische Dialogzeilen gibt!) und man darf hier auch sicher nicht die tiefgründige Figurenzeichnung eines ernsten Charakterdramas erwarten. Dennoch gelingt es dem Film, mit der sich ständig steigernden Absurdität der Situationen und der gelungenen Dynamik zwischen den Figuren ohne größere Längen zu unterhalten. Das Ende lädt schließlich zur eigenen Interpretation ein. Ob Fearless Flyers geeignet ist, Zuschauern mit Flugangst eben diese zu nehmen, darf zwar bezweifelt werden. Aber sich für gut eineinhalb Stunden ablenken zu lassen und ein wenig zu lachen, kann sicher nicht schaden.
OT: „Northern Comfort“
Land: Island, UK, Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Hafsteinn Gunnar Sigurðsson
Drehbuch: Hafsteinn Gunnar Sigurðsson, Halldór Laxness Halldórsson, Tobias Munthe
Musik: Daníel Bjarnason
Kamera: Niels Thastum
Besetzung: Lydia Leonard, Timothy Spall, Ella Rumpf, Sverrir Guðnason, Simon Manyonda, Björn Hlynur Haraldsson
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Hauptdarsteller Timothy Spall zu unterhalten. Im Interview zu Fearless Flyers sprechen wir über Komik, Traumata und schauspielerische Arbeit.
SXSW 2023
Filmfest München 2023
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