Die Corona-Pandemie hat uns allen noch einmal vor Augen geführt, wie wertvoll das Gut Gesundheit ist. Millionen von Menschen starben in dieser Zeit, andere erkrankten zumindest schwer oder haben mit den Folgen zu kämpfen. Immer wieder kam auch die Diskussion auf, wie viel uns einzelne Leben wert sind und was wir zu opfern bereit sind. Vor diesem Hintergrund klingt es ein wenig absurd, dass Jacqueline Jencquel ausgerechnet in dieser Zeit längst den Beschluss gefasst hatte zu sterben. Krank war die Frau jenseits der 70 nicht, litt weder an materiellem Mangel noch gab es sonst eine existenzielle Not, die sie zu dieser Tat veranlassen könnte. Sie wollte einfach nur nicht mehr, wie wir in dem Dokumentarfilm Jackie the Wolf zu hören bekommen. Sie war davon überzeugt, dass sie lange genug dabei war und es jetzt an der Zeit wäre, das zu beenden.
Gesellschaftliches Tabuthema Selbstmord
Ihr Sohn Tuki Jencquel hat sie in dieser Phase mit der Kamera begleitet. Manche werden den Regisseur vielleicht durch Está todo bien – Alles ist gut kennen. In dem 2019 veröffentlichten Dokumentarfilm setzte er sich mit dem Gesundheitssystems Venezuelas auseinander, das Land seiner Geburt. Die Einblicke waren mindestens ernüchternd, zeigten viele Mängel und Schieflagen auf. Auch Jackie the Wolf hat eine gesellschaftliche Komponente, wenn es um das schwierige Thema des Selbstmords geht. So ist es in Frankreich, wo seine Mutter zuletzt lebte, verboten, jemandem beim Suizid zu unterstützen. Wer dennoch sein Leben nehmen will und dabei Hilfe braucht, muss in die Schweiz fahren. Aber weshalb? Wie kommt es, dass das Land Waffen ins Ausland liefert, deren Ziel es ist, andere Menschen zu töten, während die eigene Bevölkerung zum Leben gezwungen wird?
Der Dokumentarfilm schneidet diese Grundsatzdebatte aber nur an, ohne sie weiter zu verfolgen. So sehen wie zwar, wie Jacqueline anderen Gleichgesinnten aus Frankreich bei ihrer Entscheidung hilft. Die Protagonistin war durchaus als Aktivistin unterwegs und setzte sich für das Recht des selbstbestimmten Sterbens ein. Tatsächliche Diskussionen bleiben aber aus, sowohl juristisch wie ethisch, es gibt keine Gegenpositionen in dem Film. Jackie the Wolf droht auf diese Weise natürlich, zu einer dieser Dokus zu werden, die ein Thema propagieren, anstatt sich damit wirklich auseinandersetzen zu wollen. Das findet sich gerade bei solchen Filmen, die sich mit Klimaschutz, Landwirtschaft oder auch gesellschaftlichen Notlagen befassen. Das hat dann oft etwas Moralisierendes an sich.
Sehr persönliches Werk
Bei Jackie the Wolf ist das ein wenig anders. Denn dafür ist der Dokumentarfilm, der unter anderem auf dem DOK.fest München 2023 zu sehen war, ein viel zu persönliches Werk. Das liegt einerseits an dem Thema selbst. Jacqueline schildert ihr Leben und ihren Werdegang, gibt einen Einblick in ihren Entscheidungsprozess zum Sterben. Persönlich ist der Film aber auch durch die enge Beziehung zwischen Mutter und Sohn, zwischen Protagonistin und Regisseur. Immer wieder gleicht das Werk einem Familienvideo, wenn wir die Frau in Szenen sehen, die gar nicht unbedingt etwas mit ihrem Wunsch zu sterben zu tun haben. Es ist der Blick auf ein glückliches Leben, das vorzeitig beendet werden soll.
Interessant sind die Passagen, in denen Jacqueline doch noch einmal ihre Entscheidung hinauszögert, weil beispielsweise die Geburt eines Enkels bevorsteht. Sie hat Zweifel an ihrem Vorhaben, später hat sie Zweifel an der Verschiebung. So selbstsicher sie den eigenen Tod ankündigt, so verunsichert scheint sie später. Tatsächliche Erkenntnisse wird man als Zuschauer bzw. Zuschauerin wohl kaum daraus mitnehmen. Dafür ist der Film aber auch nicht gedacht. Stattdessen ist Jackie the Wolf eine individuelle Annäherung an ein Thema, über das in Frankreich, aber auch hierzulande nur ungern geredet wird. Zumindest werden die Jencquels mit ihrem gemeinsamen Werk so manche Diskussion anstoßen.
OT: „Jackie the Wolf“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Tuki Jencquel
Drehbuch: Tuki Jencquel
Musik: Thomas Becka
Kamera: Tuki Jencquel
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