Küssen und andere lebenswichtige Dinge

Zwar lebte Helen (Ellie Kemper) schon länger von ihrem Mann getrennt. Doch nun, da die Scheidung auch offiziell ist, weiß sie nicht so recht, wie es mit ihr weitergehen soll. Um sich auf andere Gedanken zu bringen und einmal etwas Neues zu wagen, entscheidet sie sich, an einer Gruppenwanderung entlang des Appalachian Trail teilzunehmen. Über mehrere Wochen soll diese gehen und zudem Kenntnisse beim Überleben in der Natur vermitteln. Einfach wird das nicht, wie ihr Führer Beckett (Ben Cook) mehrfach betont. Den Teilnehmenden soll richtig viel abverlangt werden. Große Sorgen macht sie sich deshalb aber nicht. Dafür gibt es etwas anderes, das sie beschäftigt: Jake (Luke Grimes), der beste Freund ihres Bruders Duncan (Alexander Koch), ist ebenfalls Teil der Wandergruppe. Und sie ist davon überzeugt, dass er das im Auftrag von Duncan macht, um auf sie aufpassen zu können – was sie richtig wütend macht …

Die Suche nach dem weiteren Lebensweg

Zwischendurch innezuhalten, das bisherige Leben zu überdenken und sich zu fragen, wohin die weitere Reise geht, gehört zu den Erfahrungen, wie sie wohl fast alle Menschen machen. Die Anlässe können dabei sehr unterschiedlicher Natur sein. Manchmal ist es eine schleichende Unzufriedenheit, manchmal passiert etwas, das alles auf den Kopf stellt. Insofern ist es kein Wunder, dass auch Filme immer wieder dieses Motiv aufgreifen und in den verschiedensten Kontexten zeigen. Bei Verrückt nach Figaro beschloss kürzlich eine erfolgreiche Fonds-Managerin, dass sie lieber Opern-Sängerin werden will. Ganz so extravagant ist der Wunsch der Protagonistin in der Netflix-Komödie Küssen und andere lebenswichtige Dinge nicht. Sie ist ja schon froh, wenn sie mit anderen eine Wanderung bis zum Ende durchziehen kann, ohne dabei draufzugehen.

Das erinnert ein wenig an Edie – Für Träume ist es nie zu spät, wo eine Frau einen Berg besteigen will. Doch während das dort ein lang gehegter Wunsch war, den sich die Protagonistin endlich erfüllen will, da ist die Wanderung hier mehr der Ausdruck einer Orientierungslosigkeit. Helen weiß eben nicht, was sie mit sich anfangen soll, wie eine frühe Szene in Küssen und andere lebenswichtige Dinge klarmacht. Darin sollen die Teilnehmenden der Wanderung sich vorstellen und sagen, was sie genau antreibt. Dabei findet Helen keinen Schlusspunkt, redet weiter, gibt ganz viel von sich preis und weiß dennoch nicht so wirklich weiter. Das mag man dann etwas anstrengend finden, ist aber doch so umgesetzt, dass man sich irgendwie in dieser unbeholfenen Sinn- und Wortsuche selbst wiederfindet. Es ist gerade dieses Zaudern, welches Helen nach einem etwas anstrengenden Auftakt nahbar macht.

Das komische und rührende Chaos

Zwischen diesen beiden Polen – anstrengend und nahbar – wechselt der Film auch sonst gern hin und her. So hat die Adaption des Romans Happiness for Beginners von Katherine Center eine Reihe von Nebenfiguren eingebaut, die gerade zu Beginn sehr überzeichnet sind und für Comic Relief sorgen sollen. Da wäre beispielsweise der ständig quengelnde Hugh (Nico Santos), der seinen Status als Drama Queen behauptet. Mason (Esteban Benito) wiederum nervt mit seiner Angeberei rund um seine Wanderkenntnisse. Und dann wäre da noch Kaylee (Gus Birney), die eine Phobie vor Holz hat und dies ausgerechnet im Wald kurieren will. Was anfangs wie ein Kuriositätenkabinett wirkt, das um jeden Preis Lacher erzwingen will, wird im Lauf von Küssen und andere lebenswichtige Dinge aber ein Team, das zusammenhält und immer mehr Wunden miteinander teilt – körperliche wie seelische. Da sind einige schöne und berührende Momente dabei, wenn es der Chaotentruppe gelingt, den Ballast abzuwerfen.

Weniger erinnerungswürdig ist die Romanze, die Katherine Center in diese Selbstfindung hineinschrieb. Dass Helen und Jake füreinander bestimmt sind, daran wird hier kein Zweifel gelassen. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass in der Hinsicht noch einiges geschehen wird. Und auch beim Ablauf versuchte Regisseurin und Drehbuchautorin Vicky Wight nicht einmal, überraschende Wendungen einzubauen oder unerwartete Wege einzuschlagen. Für einen Film, der so sehr davon handelt, mal die eigene Komfortzone zu verlassen und etwas zu wagen, ist das schon geradezu erbärmlich auf Nummer sicher gemacht. Wen das nicht stört, findet in der Romanverfilmung aber auf jeden Fall eine der besseren Liebeskomödien der letzten Zeit. Küssen und andere lebenswichtige Dinge hält die Balance aus Wohlgefühl und Trauma, reicht allen die Hand, um gemeinsam durch Abgründe zu waten und am Ende gestärkt wieder herauszukommen. Und irgendwie tut das zwischendurch doch ganz gut.