In The Inspection (Kinostart: 24. August 2023) erzählt Elegance Bratton die autobiografisch inspirierte Geschichte von Ellis French (Jeremy Pope), der es sich in den Kopf gesetzt hat, den Marines beizutreten. Das ist schon unter normalen Bedingungen eine ziemliche Herausforderung. Bei ihm kommt noch hinzu, dass er homosexuell und schwarz ist, was ihn gleich doppelt zur Zielscheibe macht. Tatsächlich macht er während seiner Zeit im Boot Camp zahlreiche demütigende Erfahrungen, lernt aber auch, für sich selbst einzustehen. Wir haben den Regisseur und Drehbuchautor bei der Deutschlandpremiere seines Dramas beim Filmfest München zum Interview getroffen.
Könntest du uns etwas über den Hintergrund von The Inspection verraten? Wie kam es zu dem Film?
Dass es den Film gibt, habe ich maßgeblich meinem Ehemann Chester Algernal Gordon zu verdanken, der auch Produzent von The Inspection ist. Er ist derjenige, der mich immer anfeuert und mich dazu ermuntert, meine Projekte zu machen. Als ich 2017 meine erste Fernsehserie My House verkauft hatte, hatte ich tatsächlich etwas Geld und musste mich zum ersten Mal in meinem Leben nicht darum kümmern, eine Arbeit zu bekommen. Also schrieb ich drei Drehbücher in dieser Zeit und The Inspection war eines davon. Ich bin damals zu Chester und habe ihn gefragt, welches der drei Drehbücher ich verfilmen sollte. Er meinte, dass ich die Geschichte machen sollte, die mir als Erzähler am nächsten wäre. Etwas, das wirklich persönlich ist und das Publikum an einen Ort mitnehmen würde, wo es anderweitig nicht hinkäme. Und The Inspection war diese Geschichte.
Aber warum wolltest du die Geschichte überhaupt erzählen?
Der Grund, warum ich das Drehbuch aber überhaupt geschrieben habe, war, dass ich am Tiefpunkt in meinem Leben angekommen war, als ich dem Marine-Corps beigetreten bin. Ich war seit zehn Jahren obdachlos, meine Mutter hatte mich rausgeworfen, weil ich schwul war. Ich sah damals keine Zukunft mehr für mich und fühlte mich wertlos. Bei dem Boot Camp hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich eine Bedeutung habe, weil ich verantwortlich war für das Überleben der Männer zu meiner Linken und meiner Rechten. Dieses Vertrauen war etwas, an dem ich mich festhalten konnte, von dem Obdachlosenheim über das College bis zu dem Interview, das wir gerade führen. 2016/2017 veränderte sich die Welt gerade sehr stark: Trump war Präsident der USA geworden, es kam zu der extremen Polarisierung der Gesellschaft, russische Bots beeinflussten Wahlen. Ich hatte damals das Gefühl, dass es wichtig ist, andere Menschen daran zu erinnern, wie viel sie wert sind. Ich selbst habe das in einem für mich sehr feindlichen Umfeld gelernt und wollte diese Erkenntnis mit anderen teilen.
Hattest du je die Befürchtung, dass der Film vielleicht zu persönlich sein könnte? Schließlich teilst du deine Lebensgeschichte potenziell mit Millionen anderer Menschen.
Ein bisschen komisch ist das schon, keine Frage. Aber ich liebe Kunst in jeglicher Form, Gemälde, Fotografien, Filme natürlich, Architektur. Und die Kunst, die den Menschen immer am nächsten ist, ist die Kunst, die ganz persönlich wird. Auch wenn es also ein komisches Gefühl ist, sich selbst auf diese Weise zu entblößen, denke ich, dass jeder Künstler das tun sollte. Selbst so etwas wie E.T. – Der Außerirdische, das von einer fantastischen Science-Fiction-Geschichte erzählt, ist letztendlich ein sehr persönliches Werk, das ganz viel über Steven Spielberg verrät. Ich hatte einen großartigen Professor, der mir mal gesagt hat, dass jedes Foto ein 1000-Wort-Essay sein sollte. Jedes gute Foto würde etwas über denjenigen enthüllen, der es gemacht hat, was dieser gern zurücknehmen würde. Wenn du das tust, kannst du dir ein Publikum aufbauen und daraus eine Karriere machen. Ich habe mich an diese Lektion gehalten.
In The Inspection macht dein Protagonist im Laufe des Films eine große Wandlung durch. Wird er dabei zu jemand anderen und wird er zu demjenigen, der er immer war?
Ich denke, dass es beides ist. Ellis French, der sehr auf meinem eigenen Leben basiert, kommt aus einer Welt, in der Liebe ein Gut ist. Auch wenn sich die schwule Community während Pride gern selbst feiert, ist es doch so, dass die Leute nur an dir interessiert sind, solange sie dich ficken können. Ellis stellt während der Zeit im Camp fest, dass es einen Unterschied gibt zwischen Bewunderung und Anziehung. Sein Drill Sergeant Rosales sieht etwas Besonders in ihm, was Ellis zunächst für sexuelles Interesse hält. Ellis muss dabei lernen, dass er auch losgelöst davon einen Wert hat. Dass er einen Wert hat, nur weil er da ist. Er muss nichts dafür tun, um wertvoll zu sein, muss nichts zurückgeben. In der Hinsicht wird er also ein neuer Mensch, der lernt, sich selbst wertzuschätzen.
Die Erfahrungen, die er im Camp sammelt, sind dabei zum Teil aber sehr hart. Da sind schon sehr demütigende und hässliche Szenen in dem Film. Würdest du sagen, dass die Zeit dort insgesamt trotz allem eine positive war?
Ich denke nicht, dass du wirklich mit Kategorien wie positiv und negativ arbeiten kannst. Die Sachen sind nie nur ganz schwarz oder weiß. Sie sind immer grau. Meine Zeit beim Corps hat auf jeden Fall psychologische Schäden bei mir hinterlassen, die auch zu einer Entfremdung geführt haben. Andererseits hast du diese Entfremdung sowieso, wenn du in den USA schwul und schwarz bist. Mein ganzes Leben lang hat mir jemand in den Arsch getreten, sei es meine Mutter oder Kinder in der Schule. Ich wusste nie so wirklich, wie ich mich verteidigen kann. Es gibt da verschiedene Strategien, um dich zu schützen. Du kannst dich unsichtbar machen und hoffen, dass dich niemand bemerkt. Du kannst dich aber auch in den Mittelpunkt stellen und dich dadurch unangreifbar machen. Ellis gewinnt durch seine Zeit eine Körperlichkeit, die es ihm erlaubt zu kämpfen. Er kann so schnell laufen wie jeder Hetero, kann ebenso viele Push-ups machen. Er muss sich nicht länger verstecken, sondern kann sich verteidigen. Das soll nicht heißen, dass ich Gewalt gutheiße. Aber wir leben in einer Welt, in der du dich oft entscheiden musst, ob du dir den Kiefer brechen lässt oder dich freikämpfst. Und ich bin froh, dass ich jetzt in der Lage bin, diese Entscheidung überhaupt treffen zu können.
Du bereust es also nicht, zu den Marines gegangen zu sein?
Nein, auf keinen Fall. Wenn ich nicht zu den Marines gegangen wäre, hätte ich nie die Chance gehabt, ein Filmemacher zu werden. Die Marines haben mir mein College bezahlt. Niemand hätte mir meine Ausbildung bezahlt, wenn ich das nicht getan hätte. Du bist als schwuler Schwarzer automatisch jemand, der nicht dazugehört. Unsere Gesellschaft ist nicht dafür gemacht, jemanden wie mich aufzunehmen. Du kannst dann entweder versuchen, deine Situation zu nutzen und dich zu entwickeln. Oder du gehst daran kaputt.
Kommen wir noch zum Casting. Wonach hast du gesucht bei der Auswahl des Hauptdarstellers? Und ist es einfacher oder schwieriger, jemanden auszusuchen, der einen quasi selbst spielt?
Ich würde Jeremys Darstellung nicht darauf reduzieren, dass er mich spielt. Ellis French ist unsere gemeinsame Kreation und nicht einfach nur eine Kopie von mir selbst. Uns war es wichtig, eine Figur zu erschaffen, mit der sich andere identifizieren können. Das ist ein großes Problem bei Filmen, dass viele Menschen darin einfach nicht repräsentiert werden. Schwarze Schwule sind oft nur Nebenfiguren, wie ein Accessoire, oder dienen dem Comic Relief. Wir wollten jemanden haben, der tatsächlich die Hauptfigur ist und um den sich alles dreht. Jemand, der auch ein Vorbild sein könnte für all die anderen schwarzen Schwulen da draußen. Das war mir wichtiger, als mich selbst zu porträtieren. Wobei Jeremy mich definitiv studiert hat, das war manchmal wie bei Westworld und war schon etwas seltsam für mich.
Vielen Dank für das Gespräch!
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