Lamour du monde Interview
Marc Oosterhof, Jenna Hasse, Clarisse Moussa und Esin Demircan bei der Premiere von "L’Amour du Monde" auf der Berlinale 2023

Jenna Hasse [Interview]

In dem Drama L’Amour du Monde – Sehnsucht nach der Welt (Kinostart: 24. August 2023) erzählt Jenna Hasse von der 14-jährigen Margaux (Clarisse Moussa), der 7-jährigen Halbwaise Juliette (Esin Demircan) und dem aus Indonesien zurückgekehrten Joël (Marc Oosterhoff), die sich in einer ländlichen Gegend der Schweiz kennenlernen und anschließend viel Zeit miteinander verbringen. Wir haben uns bei der Premiere auf der Berlinale 2023 mit der Schweizer Filmemacherin über ihr Regie-Langfilmdebüt unterhalten.

Könntest du uns etwas über die Entstehungsgeschichte von L’amour du Monde erzählen? Wie bist du auf die Idee für den Film gekommen?

Ich habe 2015/2016 L’amour du Monde gelesen, ein Buch von Charles-Ferdinand Ramuz, das in der Schweiz sehr bekannt ist. Es erzählt, wie 1920 das Kino in ein kleines Dorf in der Schweiz kommt und mit seinen Bildern aus der Welt alles auf den Kopf stellt. Aber auch von dem Reisenden, der zurückkehrt und den Leuten sagt, dass diese Bilder aus den Filmen nicht immer stimmen. Dadurch kommt es zu einem Wettstreit zwischen den Bildern. Ich habe dieses Buch geliebt und die vielen coolen Figuren, die darin sind. Ich wollte es unbedingt verfilmen. Aber als ich angefangen habe, an dem Drehbuch zu arbeiten, ist mir bewusst geworden, dass ich lieber eine Geschichte in der Gegenwart erzählen wollte. Also habe ich einige Elemente behalten, zum Beispiel die Einsamkeit des Reisenden, aber auch die von Juliette, die in dem Buch aus einer großen Familie kommt, bei der sich aber niemand um sie kümmert. Für den Film bin ich in die Gegend zurückgekehrt, in der ich aufgewachsen bin, und habe Teile aus dem Buch und Teile aus meinem Leben gemischt, zum Beispiel die Geschichte mit meinem Vater. Es war eine lange Reise, bis ich alles zusammenhatte und bis ich auch die Finanzierung hatte.

Die Hauptfigur Margaux spielt in L’amour du monde Clarisse Moussa, mit der du schon bei deinem Kurzfilm „En août“ gearbeitet hast. Auch dort spielte sie eine Figur namens Margaux. Handelt es sich dabei um dieselbe Figur?

Es ist tatsächlich dieselbe Figur, aber in einem unterschiedlichen Alter. In En août ist Margaux sechs, in L’amour du monde ist sie jetzt eine Teenagerin. Zwischen den beiden habe ich außerdem den Kurzfilm Soltar gedreht, wo ich selbst Margaux gespielt habe. Diesmal dann als 25-Jährige. Wobei die drei Filme keine Fortsetzungen in dem Sinn sind. Ich wollte vielmehr eine Figur in verschiedenen Phasen ihres Lebens zeigen.

In L’amour du monde erzählst du von drei sehr unterschiedlichen Figuren, die ebenfalls in verschiedenen Phasen ihres Lebens sind und doch viel Zeit miteinander verbringen. Was ist die Gemeinsamkeit der drei? Warum bleiben sie zusammen?

Juliette und Joël verbindet ihr jeweiliger Verlust. Beide trauern sie um ihre Mütter. Über die Mutter von Margaux erfahren wir nicht viel, außer dass sie und der Vater geschieden sind und sie nicht da ist. Die Figuren verstehen sich, weil sie ähnliche Erfahrungen machen. Sie brauchen dafür nicht einmal Worte, das funktioniert bei ihnen ganz intuitiv. Sie sehnen sich nach Liebe und nach Geborgenheit. Durch die Zeit, die sie miteinander verbringen, erfahren sie das und finden einen Halt außerhalb der Familie. Sie finden Freundschaft.

Wir lernen die drei zu einem Zeitpunkt kennen, als sie alle auf ihre Weise in der Welt verloren sind. Du hast gesagt, dass sie durch diese Gemeinsamkeit etwas finden. Denkst du, dass es möglich ist, dauerhaft einen Platz für sich zu finden? Oder ist dieses Finden immer nur etwas Vorübergehendes?

Ich denke schon, dass Joël seinen Platz gefunden hat. Aber er ist auch schon 30. Margaux ist eine Teenagerin, da ist es normal, dass du noch auf der Suche bist. Wobei auch sie am Ende des Films weitergekommen ist und ihrem Vater sagen kann, was sie will und braucht.

Wie du schon sagst, gehört es zu den Jugendjahren dazu, dass du herausfinden musst, was du willst. Aber auch sonst ist es nicht immer einfach, in dieser chaotischen Welt seinen Weg zu finden. Was hilft deiner Ansicht nach am meisten bei dieser Suche?

Wow, das ist jetzt natürlich eine riesige Frage. Ich denke, dass die beste Hilfe immer noch die Beziehungen zu anderen Menschen sind. Die Verbindungen, die du zu ihnen aufbaust. Es können aber auch Orte sein, die dir das Gefühl geben, deinen Platz gefunden zu haben. Das sind vielleicht Wälder oder auch ein Hafen. Bei anderen Menschen sind es vielleicht Tiere.

Du hast soziale Bedingungen und Orte genannt. Aber wie sieht es mit Tätigkeiten aus?

Auch das ist wichtig, klar. Das ist auch die Erfahrung, die Joël macht, als er aus Indonesien zurückkommt. Seine Beziehung ist vorbei und er steckt in einer Art Depression. Aber durch die Tätigkeiten als Fischer, die er in seiner alten Heimat ausübt, muss er etwas Neues lernen, auch körperlich, und findet damit zu sich.

In deinem Fall ist die Tätigkeit das Filmemachen. Denkst du, dass das dir hilft, die Welt besser zu verstehen, indem du Filme darüber machst?

Auf jeden Fall! Filme zu drehen, kann dir helfen, die Welt zu verstehen. Es kann dir aber auch helfen, dich selbst besser zu verstehen. Deswegen findest du in Filmen auch so viele unterschiedliche Perspektiven. Die musst du nicht immer teilen. Es gibt Perspektiven, mit denen ich alles andere als glücklich bin. Aber auch sie können dir dabei helfen, deine Augen zu öffnen und dich stärker in andere hineinzuversetzen. Und das gilt nicht nur für Filme, sondern auch andere Formen von Kunst. Bücher zum Beispiel. Ich lese sehr viel und lerne dadurch ständig etwas Neues. Wir brauchen alle Geschichte. So wie Juliette in dem Film, die sehr stark auf die Geschichten reagiert, die Joël ihr erzählt.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du deine eigenen Geschichten erzählen willst? Angefangen hast du ja als Schauspielerin.

Ich habe immer schon Geschichten geschrieben, seitdem ich Teenagerin bin. Außerdem ist es so, dass du als Schauspielerin immer darauf warten musst, dass andere dir ihre Geschichten anbieten. Das ist nicht einfach, vor allem wenn du eine junge Frau bist und du oft auf dein Äußeres reduziert wirst. Darauf hatte ich keine Lust mehr. Das Schauspielern als solches lieber ich aber noch immer. Nur liebe ich es eben auch, mit anderen zu arbeiten und sie in Szene zu setzen.

L’amour du monde ist dabei dein erster Langfilm als Regisseurin, nachdem du zuvor mehrere Kurzfilme gedreht hast. Wie war die Erfahrung für dich?

Unglaublich! Wir waren mehrere Leute, für die das alle der erste Langfilm war, weswegen das für uns eine ganz besondere Erfahrung wurde. Es war eine echte gemeinsame Erfahrung, nachdem ich zuvor die Kurzfilme mehr oder weniger alleine gemacht habe. Dadurch kamen so viele neue Ideen dazu. Auch wenn du beim Filmemachen Hierarchien hast, ist es doch eine kollektive Arbeit. Das hat uns alle stärker gemacht.

Vielen Dank für das Gespräch!

© Dmitry Bukreev
Zur Person
Jenna Hasse wurde 1989 in Lissabon geboren, wuchs anschließend aber in der Schweiz auf. Sie studierte Schauspiel am INSAS in Brüssel, begann später aber auch selbst Regie zu führen. Ihr Langfilmdebüt L’amour du monde feierte 2023 auf der Berlinale Weltpremiere.



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