Eigentlich ist ja Ferienzeit. Doch anstatt wie ihre Freundinnen in die große weite Welt zu fahren, absolviert die 14-jährige Margaux (Clarisse Moussa) ein Praktikum in einem Kinderheim. Viel zu tun ist dort nicht, die meisten sind ja weg. Eine der wenigen, die geblieben sind, ist die 7-jährige Halbwaise Juliette (Esin Demircan), die regelmäßig von ihrem Vater versetzt wird. Dieses Gefühl kennt Margaux, das Verhältnis zu ihrem eigenen Vater ist nicht das beste, seitdem dieser eine neue Freundin hat. Und so fühlen sich die beiden verbunden, unternehmen immer wieder etwas zusammen. Später kommt noch Joël (Marc Oosterhoff) hinzu, der eigentlich in Indonesien arbeitet, aber nach dem Tod seiner Mutter in die Heimat zurückgekehrt ist und dort als Fischer arbeitet …
Die Suche nach einem eigenen Platz im Leben
Wer bin ich? Was ich einmal tun? Wie könnte mein Leben aussehen? Das sind Fragen, mit denen sich die meisten Menschen irgendwann auseinandersetzen müssen. Manche tun das ihr ganzes Leben lang. Zumindest aber während der Jugend, wenn es heißt, sich in einer komplexer werdenden Welt zu orientieren, gehören solche Überlegungen dazu. Entsprechend groß ist die Zahl an Filmen, die sich mal ernst, mal humorvoll mit diesen Aspekten beschäftigen. Der Coming-of-Age-Bereich ist prall gefüllt. Mit L’Amour du Monde – Sehnsucht nach der Welt wagt sich nun auch Jenna Hasse an einer eigenen Fassung dieses universellen Dauerbrenners. Und tatsächlich gelingt es der schweizerisch-portugiesischen Regisseurin bei ihrem ersten Langfilm, Bekanntes mit Eigenem zu vermischen.
Dass die Protagonistin nicht so wirklich weiß, wohin sie gehört und was sie mit sich anfangen soll, ist kein Geheimnis. Hasse muss das nicht einmal in Worte fassen, sondern begnügt sich damit, dass die eher schweigsam veranlagte Margaux auf die Welt blickt, auf ihren Vater und dessen neue Partnerin, in einer Mischung aus Sehnsucht und Entfremdung. Allgemein ist L’Amour du Monde kein Film, der alles verbalisieren muss oder will. Vieles über das ungleiche Trio erfahren wir erst nach und nach, manches wird auch gar nicht verraten. Das Drama ist eines, das lieber den Weg eines intuitiven Erfahrens wählt. Das gilt auch für die drei Figuren, die sich zwar immer wieder miteinander unterhalten, deren Gemeinsamkeit und das Gefühl einer Gemeinschaft aber nicht davon abhängen.
Zwischen Abschied und Neuanfang
Zum Teil sind es sicherlich die biografischen Übereinstimmungen, welche dazu beitragen, dass die drei sich so schnell verstehen. Margaux und Juliette fühlen sich von ihren Vätern vernachlässigt, sind nicht wirklich Teil von deren Welt. Juliette und Joël wiederum haben den Verlust der Mutter gemeinsam, sind auf die eine oder andere Weise davon bestimmt. Margaux schlussendlich interessiert sich für die Geschichten von Joël, die dieser aus Indonesien mitgebracht hat. Das fernöstliche Land wird für die Jugendlich so zu einem Symbol für ein neues Leben. Dafür, mehr zu haben, mehr zu sehen, sie aus einem Alltag zu befreien, der ihr nicht genug bietet. Dabei ist es nicht so, dass sie sehr unglücklich ist. L’Amour du Monde handelt mehr vom Träumen, vom Suchen – aber auch einem Finden.
So ist das Drama, welches auf der Berlinale 2023 Premiere feierte, ein Film über Freundschaft und zwischenmenschliche Verbindungen, die nicht dem Schema entsprechen. Es hat etwas Tröstliches, wie die drei auf ihre Weise einsamen Menschen durch die gemeinsame Zeit Halt finden. Das Gefühl, einen Platz zu haben. Dass diese Gemeinsamkeit nicht von Dauer ist, nicht von Dauer sein kann, verleiht Hasses Werk natürlich eine bittersüße Note. Auch wenn es um drei Menschen geht, die in vielerlei Hinsicht am Anfang stehen und einen neuen Abschnitt betreten, behandelt der Film doch auch das Thema der Vergänglichkeit. Die drei müssen lernen loszulassen, um etwas Neues sehen und erfahren zu dürfen. Das ist alles schön leise und einfühlsam erzählt, L’Amour du Monde – Sehnsucht nach der Welt verzichtet auf die großen Momente. Stattdessen findet er im Kleinen das Schöne, macht Mut und ermuntert, manchmal den Blick nicht zum Horizont zu richten, sondern im Hier und Jetzt zu suchen. Denn auch dort können Schätze verborgen sein.
OT: „L’Amour du Monde“
Land: Schweiz
Jahr: 2023
Regie: Jenna Hasse
Drehbuch: Jenna Hasse, Nicole Stankiewicz, Julien Bouissoux
Musik: Cedric Blaser
Kamera: Valentina Provini
Besetzung: Clarisse Moussa, Esin Demircan, Marc Oosterhof, Adèle Vandroth, Pierre Mifsud, Mélanie Doutey, Filipe Vargas, Théo Rossi, Hadrien Motta, Elias Alves, Maël Ney
Ihr wollt mehr über den Film erfahren? Wir hatten die Gelegenheit, uns mit Regisseurin Jenna Hasse zu unterhalten. Im Interview zu L’amour du monde unterhalten wir uns über die Suche nach Orientierung.
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