Es dürfte kaum eine Tätigkeit geben, die vergleichbar geeignet ist, um Grenzen zu überschreiten und Mauern einzureißen, wie die der Musik. Klar, auch Sport kann verbinden und unterschiedlichste Menschen zusammenführen. Doch dort gibt es meistens das Element des Wettstreits, wodurch dann doch eine wir-gegen-die-Situation entsteht. Bei Musik braucht es das nicht. Da geht es, meistens zumindest, um ein gemeinsames Schaffen und ein gemeinsames Erleben. Ein schönes Beispiel, wie das aussehen kann, ist der Dokumentarfilm Le Mali 70, der auf einer ganzen Reihe von Festivals zu Gast war und nun auch regulär unsere Kinos mit Leben erfüllt. Und mit ganz viel Musik natürlich, wenn die unterschiedlichsten Einflüsse zusammenfinden, um gemeinsam etwas zu schaffen.
Musikalische Spurensuche
Genauer folgen wir einer Berliner Bigband, die nach Mali reist, um dort einige Bands von früher aufzufinden. Das klingt erst einmal irre. Mali, das ist ein Land, das die meisten mit zahlreichen Problemen in Verbindung bringen. Da wäre die Armut, trotz größerer Fortschritte landet der westafrikanische Staat auf der Liste der ärmsten Länder immer recht weit vorne. Auch die diversen gewaltsamen Putsche haben das Bild nach außen hin geprägt. Le Mali 70 erinnert daran, dass es aber auch ein anderes Mali gab, ein älteres, in dem die Kultur florierte. Darunter eben auch die Musik. In den 1960ern war die Szene besonders aktiv, kombinierte Jazz mit afrikanischen Klängen und kubanischen Einflüssen zu etwas ganz Eigenem. Das Ergebnis wiederum reiste in andere Länder, wo die Musik ihrerseits beeinflusste.
Wenn die Band nach Afrika reist, dann geht es zum einen darum, die Menschen hinter dieser Musik kennenzulernen. Wie haben sie die damalige Zeit erlebt? Wie ist es im Anschluss mit ihnen weitergegangen? Doch Le Mali 70 ist eben auch Spurensuche, geht es um die Hintergründe, um einen zeitlichen Ablauf im Rückwärtsgang. Das ist gerade für ein historisch interessiertes Publikum spannend. Mit einer Mischung aus persönlichen Geschichten und allgemeinen Entwicklungen entsteht so ein runder in sich geschlossener Einblick in die damalige Musikszene und die Menschen, die sie ausmachten. Vorkenntnisse braucht es da keine, auch als Neuling kann man gut folgen. Angenehm ist zudem, dass der Film, anders als so viele Künstlerdokus, sich nicht einseitig auf irgendwelche Lobhudeleien konzentriert – siehe aktuell Ladies First: Eine Geschichte der Frauen im Hip-Hop.
Aus Liebe zum Jazz
Schön ist zudem, dass der Film nicht zu einer dieser trockenen Geschichtsstunden verkommt, bei denen in nicht enden wollenden Talking-Heads-Interviewszenen vor allem gesprochen wird. Stattdessen wird in Le Mali 70 auch kräftig musiziert. Immer wieder kommen die Männer und Frauen zusammen, um sich ihrer gemeinsamen Liebe hinzugeben. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass das alles auch immer ganz liebevoll zugeht. Da prallen schon mal unterschiedliche Ansichten aufeinander, nicht zuletzt weil trotz der musikalischen Verbindung die jeweiligen Hintergründe sehr unterschiedlich sind. Auch charakterlich ist man sich nicht immer so ähnlich, wie es die Reisenden im Vorfeld vielleicht erwartet hatten.
Aber das muss ja nicht zwangsläufig verkehrt sein. Wenn die Deutschen und die Afrikaner zusammen musizieren und sich dabei künstlerisch näherkommen, ist das sehens- wie hörenswert. Natürlich richten sich diese Szenen dann eher an ein Publikum, das die Vorliebe der Porträtierten teilt. Wer gar nichts mit Jazz anfangen kann, bekommt zwar die besagten historischen Rückblicke, die unabhängig von der eigenen musikalischen Vorliebe interessant sind. Am meisten haben aber Zuschauer und Zuschauerinnen von Le Mali 70, die sich selbst auf diese Reise begeben, die gleichzeitig ein klares Ziel verfolgt und doch völlig offen dafür ist, wo es letztendlich hingehen wird. So wie bei der Musik auch, die mal hier mal dort etwas probiert, Einflüsse einsammelt und sich ständig weiterentwickelt.
OT: „Le Mali 70“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Markus CM Schmidt
Drehbuch: Markus CM Schmidt
Kamera: Martin Langner
DOK.fest München 2022
Filmfest Braunschweig 2022
Afrikamera 2022
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