Fallende Blätter (Kinostart: 14. September 2023) erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die in Helsinki vor sich hin leben, bis sie sich eines Tages per Zufall über den Weg laufen. Sofort fühlen sie sich zueinander hingezogen, müssen jedoch erst diverse Hindernisse aus dem Weg räumen – von flüchtigen Zetteln bis zu viel Alkohol. Wir haben im Rahmen der Deutschlandpremiere beim Filmfest München Alma Pöysti und Jussi Vatanender getroffen, die in der romantischen Tragikomödie die Hauptrollen spielen. Im Interview sprechen wir über die Arbeit mit Kult-Regisseur Aki Kaurismäki, eine zunehmende Einsamkeit und Kunst als gemeinsames Erleben.
Warum wolltet ihr beide Fallende Blätter drehen? Was hat euch an dem Film gereizt?
Alma Pöysti: Wenn sich Aki Kaursimäki bei dir meldet und dir einen Film anbietet, musst du nicht lange überlegen. Du sagst zu und genießt die Reise.
Jussi Vatanen: Es ist vielleicht sogar besser, wenn du nicht groß darüber nachdenkst. Denn ansonsten fängst du an, dich selbst unter Druck zu setzen. Schließlich willst du nicht derjenige sein, der einen Film von Kaurismäki vermasselt. Aber ja, wenn er dir eine Rolle anbietet, sagst du nicht Nein. Wie oft bekommst du schon die Chance dazu? Vor allem hatte er ja eigentlich gesagt, dass er keine Filme mehr dreht. Das war deshalb eine schöne Überraschung für mich.
Alma Pöysti: Mir hat aber natürlich auch die Geschichte gefallen. Als ich später das Drehbuch gelesen habe, war das eine absolute Perle.
Wart ihr denn nervös, als ihr angefangen habt, mit Kaurismäki zu arbeiten?
Alma Pöysti: Ich habe für mich festgestellt, dass mir Nervosität bei der Arbeit nicht hilft. Dass heißt nicht, dass ich nicht auch nervös sein kann. Wenn ich ehrlich bin, habe ich zwischendurch schon gedacht: „Hoffentlich denkt Aki nicht, dass er mit mir einen Fehler gemacht hat, als er mich ausgewählt hat.“ Ich versuche aber, diese Nervosität wieder loszuwerden, weil ich sonst eine lausige Arbeit abliefere.
Jussi Vatanen: Das sehe ich auch so. Andererseits ist Nervosität ein sehr menschliches Gefühl. Und du kannst immer schauen, ob du diese Nervosität nicht auch schauspielerisch für deine Figur nutzen kannst.
Wie war die Zusammenarbeit denn am Ende? War sie so, wie ihr erwartet hattet?
Jussi Vatanen: Ich wusste nicht, was ich erwarten soll. Aber es hat Spaß gemacht und war für mich eine sehr lehrreiche Erfahrung.
Alma Pöysti: Es war ein sehr warmherziger Dreh. Aki hat so ein großes Herz und steckt so viel Herzblut in die einzelnen Szenen, in die ganzen Details. Du fühlst dich bei ihm einfach gut aufgehoben, weil ihm das Drehbuch und die Figuren so wichtig sind.
Jussi Vatanen: Was mich beeindruckt hat, war, wie wichtig jede Szene ist. In jeder sind so viele Gefühle und Erwartungen drin. Selbst diese kleinen Szenen, wo meine Figur nur herumsteht und raucht und hofft, seine große Liebe wiederzusehen, waren so wunderbar. Da war so viel, das du als Schauspieler nutzen kannst. So viel, das passiert. Das war eine unglaubliche Erfahrung. Ich wusste schon beim Lesen, dass ich diese Szenen unbedingt spielen wollte.
Kommen wir auf eure Figuren zu sprechen. Könntet ihr uns mehr über sie verraten? Wen spielt ihr?
Jussi Vatanen: Ich spiele Holappa, der auf einer Baustelle arbeitet. Er ist jemand, der sehr für sich ist. Niemand kennt seinen Vornamen, nicht einmal sein bester Freund. Er ist ein einsamer Wolf, der glücklich damit ist, wenn er allein sein kann mit seiner Arbeit, seinen Comic-Büchern und dem Alkohol. Gleichzeitig ist er ein sehr stolzer Mensch, sogar bei seinem Alkohol-Problem.
Sieht er es überhaupt als Problem an? Den Eindruck hatte ich nicht.
Jussi Vatanen: Vermutlich nicht. Für ihn ist es eher ein Problem, wenn er keinen Alkohol hat. Spannend ist für mich, als er erkennt, dass es da außerhalb noch eine andere Welt ist, die ihm mehr zu bieten hat als das, was er bislang hatte. Das ist der Moment, als er Ansa sieht und sie anfangen, nur durch den Blickkontakt zu flirten. Er muss dann entscheiden, ob er sich dem öffnet und aktiv wird.
Alma Pöysti: Ansa ist ebenfalls einsam, aus eigenen Gründen. Sie hatte mehrere Enttäuschungen in ihrem Leben, mit denen sie umzugehen lernen musste. Sie hat auch mitangesehen, wozu Alkohol führen kann, was dann später zu einem Problem wird. Bei der Arbeit ist sie stolz, obwohl sie wenig Geld verdient. Dort gibt es auch Solidarität, wenn sie füreinander einstehen. Sie bilden dort eine Art Familie, was sie sonst so nicht kennt, da sie selbst ein einsamer Wolf ist. Aber da sind Risse in ihrer Mauer, die sie verletzbar machen und die sie dazu bringen, ihm eine Chance zu geben.
Aber warum öffnen sie sich überhaupt füreinander, wenn sie es sonst gewohnt sind, für sich zu bleiben? Was zieht sie an?
Alma Pöysti: Ich weiß nicht, ob du Liebe jemals erklären solltest. Vor allem bei uns in Finnland, wo wir Stille sehr respektieren und wertschätzen. Aber es ist dieser Moment, als sie sich in die Augen schauen. Das löst etwas in ihnen aus und weckt die Sehnsucht in ihnen.
Jussi Vatanen: Es gibt viele Menschen, die von sich sagen, dass sie niemanden brauchen. Aber ich glaube, dass sie sich damit etwas vormachen. Ich glaube, dass alle jemanden brauchen. Das gehört zum Menschsein dazu. Wenn Holappa glaubt, dass er durch die Welt gehen kann, ohne jemanden zu brauchen, dann liegt er falsch. Er muss das aber erst für sich selbst erkennen und akzeptieren, dass er falsch lag. Dazu braucht es viel Mut. Deswegen ist für mich „Fallende Blätter“ ein Superhelden-Film, eben weil die beiden so viel Mut aufzeigen müssen.
Alma Pöysti: Vielleicht musst du dafür aber auch erst der richtigen Person begegnen. Erst als Ansa und Hoppala sich treffen, lernen sie, alles mit anderen Augen zu sehen. Ab dem Zeitpunkt gibt es kein Zurück mehr. Sie wissen, dass da etwas ist.
Habt ihr das Gefühl, dass die Menschen heute einsamer sind als früher?
Alma Pöysti: Ich denke, dass es sehr viele gibt, die einsam sind. Und die Pandemie hat das nicht unbedingt einfacher gemacht. Es war eine sehr harte Zeit, die uns allen nahe gegangen ist und die uns sicher noch in Zukunft beschäftigen wird. In Finnland ist das oft ein Thema, wie sich die Einsamkeit in der Zeit verstärkt hat, gerade auch bei Jugendlichen, die nicht mehr in die Schule gehen konnten. Deswegen brauchen wir Liebesgeschichten oder andere Filme, die uns irgendwie wieder Hoffnung geben. Das Leben ist oft nicht einfach und bringt viele Enttäuschungen mit sich. Deswegen brauchst du Hoffnung, um durch solche Phasen durchzukommen.
Jussi Vatanen: Das heißt aber nicht, dass es automatisch schlecht ist, wenn du einsam bist. Ich denke, dass es sogar wichtig sein kann, zwischendurch einsam zu sein, weil du dir dann Gedanken darüber machen kannst, was in deinem Leben fehlt.
Alma Pöysti: Das stimmt. Manchmal will ich auch allein sein, ich brauche das. Nicht immer, ich bin auch gern unter Menschen. Aber es ist wichtig für mich, dass ich für mich sein kann.
Was hat euch denn durch diese Phasen der Einsamkeit während der Pandemie geholfen?
Alma Pöysti: In Finnland war das zum Glück nicht so schlimm wie in anderen Ländern. Wir hatten keine strengen Lockdowns. Natürlich gab es aber auch bei uns starke Einschränkungen, wenn die Kinder nicht in die Schule durften. Und natürlich war die Zeit für unseren Beruf ganz schlimm, weil alles zu war. Dabei kannst du dieses Gefühl, wenn du mit anderen im Theater oder im Kino bist und diese gemeinsame Erfahrung machst, allein gar nicht haben. Die Pandemie war deshalb insofern gut, weil sie uns bewusst gemacht hat, wie wichtig dieses gemeinsame Erleben ist. Wie viel auf einmal fehlt, das wir immer für selbstverständlich genommen haben.
Jussi Vatanen: Ja, das ist so wichtig. Das gemeinsame Erleben von Kunst ist ein so fester Bestandteil des menschlichen Lebens, war es immer schon.
In Fallende Blätter gehen eure Figuren auch ins Kino und sehen sich gemeinsam The Dead Don’t Die an. Das ist nicht unbedingt das, was man als einen Date-Film ansehen würde. Wenn ihr einen Film für ein Date aussuchen müsstest, welcher wäre das?
Alma Pöysti: Natürlich Fallende Blätter. Für mich ist das in jeder Hinsicht der perfekte Date-Film.
Jussi Vatanen: Absolut.
Fallende Blätter hat dabei einige Themen, die aus dem Leben gegriffen sind, wie etwa die Einsamkeit oder die Alkoholsucht. An anderen Stellen hat der Film aber schon auch etwas Märchenhaftes an sich. Ist er für euch mehr realistisch oder fantastisch?
Jussi Vatanen: Beides. Ich finde es sehr schön, wie Aki das zusammenbringt. Fallende Blätter hat ganz viele verschiedene Elemente. Der Film ist einerseits sehr zeitlos und könnte in den 1960ern spielen. Gleichzeitig ist er sehr aktuell und schaut, was gerade in unserer Welt geschieht.
Alma Pöysti: Du kannst natürlich sagen, dass der Film ein romantisches Märchen ist. Gleichzeitig ist er sehr real und berührt etwas ganz Tiefes in uns. Wahrscheinlich „Fallende Blätter“ also beides.
Kommen wir kurz zu dem Thema Alkoholsucht. Wir leben in Gesellschaften, in denen es ganz normal ist, dass wir Alkohol trinken. Es gibt ihn zu vielen Gelegenheiten. Wann wird das zu einem Problem?
Jussi Vatanen: Ich glaube, dass Fallende Blätter sehr gut aufzeigt, wie das Ganze zu einem Problem werden kann. Es nimmt ihm sein Leben weg, Stück für Stück. Er verliert seine Arbeit und die Menschen, die er liebt. Dabei war für mich als Schauspieler dieser Aspekt gar nicht so interessant. Spannender war für mich zu schauen, was ihn dazu bringt, sein Verhalten zu verändern und sich zu öffnen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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