Auch wenn Geister filmisch gesehen meistens im Horrorgenre unterwegs sind, wo sie den Figuren und damit auch dem Publikum eine Heidenangst einjagen wollen, gibt es doch auch eine Reihe von Beispielen, bei denen sie sich in anderen Genres tummeln. In Komödien können sind sie dankbare Gestalten, wenn sie das Leben der Menschen durcheinanderbringen – siehe der Klassiker Ghostbusters – Die Geisterjäger. Sie können aber auch Teil herzzerreißender Dramen sein, wie es Sicilian Ghost Story und A Ghost Story vor einigen Jahren vorgemacht haben. Und auch in Anhell69 darf es einem schwer zu Herzen gehen, was erzählt wird. Dabei handelt es sich hier um keinen fiktionalen Beitrag, zumindest nicht so richtig. Allgemein entzieht sich hier einiges einer eindeutigen Zuordnung.
Erinnerung an die Toten
Dabei stand am Anfang durchaus ein traditionelles Projekt, zumindest traditioneller als das, was jetzt in den Kinos anläuft. So hatte sich der junge kolumbianische Regisseur Theo Montoya entschieden, einen B-Movie über Geister zu drehen. Die Hauptrollen wollte er mit seinem eigenen Freundeskreis besetzen. Doch ausgerechnet der Hauptdarsteller, der sich auf Instagram Anhell69 nennt, stirbt, noch bevor der Dreh beginnen konnte. Und auch andere Vertraute aus dem Umfeld Montoyas sterben, erliegen ihrer Drogensucht oder begehen Selbstmord. Das klingt ein wenig nach einem Fluch, manche werden sich vielleicht an die Schauergeschichten rund um Poltergeist zurückerinnern, wo ebenfalls mehrere Leute starben. Doch übernatürlich ist nichts an den Schicksalen, von denen wir hier erfahren.
Anhell69 erinnert an diese Verstorbenen, lässt sie in Form alter Videogespräche noch einmal aufleben. Es ist ein persönliches Werk, das Montoya da mit uns teilt. Und doch geht es über Anekdoten und Einzelerlebnisse hinaus. So fügen sich die einzelnen Geschichten zu einem Generationenporträt zusammen. Genauer wirft der Dokumentarfilm einen Blick auf die junge queere Szene in Medellín, der zweitgrößten Stadt Kolumbiens. Diese ist von berauschten Partys geprägt, von einem großen Hunger nach dem Leben. Aber auch von Gewalt, dem Gefühl eines Verlorenseins und des Verlustes. Immer wieder kommt der Tod zur Sprache, wird an einer Stelle beispielsweise als etwas Schönes bezeichnet, vor dem die Menschen keine Angst haben sollten. Eine schwärmerische Sehnsucht mischt sich in die nüchternen Gesprächssituationen.
Morbide, poetisch, sehnsuchtsvoll
Montoya selbst befeuert diese morbide Stimmung noch durch eigene Elemente. Wenn er sich in einen Sarg legt und in diesem durch die Stadt fahren lässt, dann erzeugt das auch außerhalb des Horror-Genres eine geisterhafte Stimmung. Hinzu kommen Erzählungen von fiktionalen Toden. Anhell69 verlässt dadurch die Grenzen einer reinen Dokumentation, nimmt Züge eines Essays an, erhält poetische Momente, die sich über die Beschreibung der akuten Situation hinausbewegen. Trotz der vielen traurigen bis erschütternden Geschichten gibt sich der Film deshalb nie der Resignation und Verzweiflung hin. Die Beschäftigung mit Repressalien und Gewalt ist immer zugleich auch der Versuch, diese zu überwinden und alles hinter sich zu lassen.
Woher die Faszination für den Tod kommt, wird dabei nicht ganz klar. Dafür fehlt letztendlich einfach der Blick von außen, der sich mit dem Gesagten auseinandersetzen würde. Auch wenn Anhell69 Grenzen auflösen möchte, sind die Menschen des Films doch immer selbst Teil einer spezifischen Momentaufnahme und bleiben völlig unter sich. Das macht die Gedanken und Bilder aber nicht minder faszinierend. Der Dokumentarfilm, der 2022 in der Woche der Kritik der Filmfestspiele in Venedig Premiere hatte, gibt einen Einblick in eine ganz eigene Welt, in der die Menschen gleichermaßen frei wie gefangen sind. Eine Welt, die trotz spiritueller Trans-Ansprüche immer auch bedrückend bis klaustrophobisch ist.
OT: „Anhell69“
Land: Kolumbien, Rumänien, Frankreich, Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Theo Montoya
Drehbuch: Theo Montoya
Musik: Vlad Feneșan, Marius Leftărache
Kamera: Theo Montoya
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