Die Entstehung eines Filmes ist mitunter ebenso spannend wie das fertige Produkt an sich. Dabei muss es sich noch nicht einmal um so problembehaftete Dreharbeiten wie die von beispielsweise Francis Ford Coppolas Apocalypse Now oder Werner Herzogs Fitzcarraldo handeln, deren Konflikte teils sogar in Making-ofs detailgetreu wiedergegeben werden. Jedoch befinden wir uns, wenn wir diese Bilder sehen, in einem Stadium, in dem die Vision eigentlich schon vollständig ist und nur noch um deren Umsetzung gerungen wird. Weitaus erhellender ist der Fokus auf den Ursprung, auf das Fundament einer Idee für eine Geschichte, eine Figur oder ein Thema, das man behandeln will. Das Storyboard ist dabei ein solches Detail, das dem interessierten Zuschauer Informationen über diesen Prozess gibt sowie die Arbeitsweise eines Regisseurs. Neben der Skizzierung von Kameraeinstellungen und anderen Aspekten dient es einer Orientierung, ähnlich dem Grundriss bei einem Bau. Andererseits kann man es als eine Rohfassung betrachten, da viele Regisseure bisweilen aufgrund diverser Gründe abweichen oder es erweitern.
Da Film in erster Linie ein visuelles Medium ist, kann ein Storyboard einen Weg andeuten, wie ein Kunstschaffender eine Geschichte denkt. Von daher ist es vielleicht verwunderlich, dass ausgerechnet Wim Wenders laut eigener Aussage meist nicht mit Storyboards arbeitet. Bei Projekten wie Der Stand der Dinge ist dies keine Überraschung, basiert doch die Geschichte doch an und für sich auf Improvisation. Bedenkt man bestimmte Bilder in Paris, Texas oder Der Himmel über Berlin ist es erstaunlich, dass diese vor allem in der Vorstellung des Filmemachers existierten und mit keiner Vorausplanung im Sinne eines Storyboards auskamen.
Für seine Arbeit an dem Drama Every Thing Will Be Fine wollte Wenders dennoch auf ein solches Mittel zurückgreifen, alleine schon, weil man schnell drehen wollte. Der Kanadier Stéphane Lemardelé, den Wenders Jahre zuvor in Montreal kennengelernt hatte, durfte sich freuen, denn er wurde von dem Regisseur engagiert, um an dem Storyboard mitarbeiten zu dürfen. Unter anderem fragte er am Telefon, ob es ihm erlaubt sein würde, zu zeichnen und die Arbeiten zu dokumentieren, auch wenn ihm bewusst war, dass er vielleicht keine Zeit dafür haben würde bei dem dichten Drehplan. Dennoch kam er dazu und aus seiner Arbeit und den Gesprächen mit Wenders entstand mit Das Storyboard von Wim Wenders eine Graphic Novel, die gut und gerne als eines der besten Filmbücher der letzten Jahre zählen kann.
Das bessere Making-of
Wie schon gesagt müssen viele Details bei der Entstehung eines Moments im Film bedacht sein, weshalb es nicht wundert, dass Themen wie Licht, Requisiten oder der Drehort viel Raum einnehmen in den Diskussionen des Regisseurs mit seinen beiden Zeichnern. „Man muss das Licht spüren, das in das Innere der Hütte fällt.“ ist ein Beispiel für einen Satz Wenders, der die Denkweise des Filmemachers beschreibt. Vor den Augen Lemardelés und seines Kollegen entsteht so ein Bild, das als Arbeitsgrundlage für die drei Herren dient, doch ebenso als Gesprächsanlass über Inspirationen, andere Künstler oder über die 3D-Technologie, die Wenders für dieses Projekt nutzen will.
Das Storyboard von Wim Wenders ist ein weitaus besseres, persönlicheres Making-of, weil man versteht, woher die Vision des Regisseurs kommt, wie sie entsteht und wie er generell zu Themen steht, die auch heute noch die Filmwelt umtreiben. Dabei geht es um Technologie, Streamingdienste und den Wert des Kinos, für das sich Wenders leidenschaftlich einsetzt. Zugleich spricht der Regisseur über seine Beziehung zur Kunst, insbesondere zu den Bildern Edward Hoppers, der für ihn eine Art Bindeglied zwischen der Malerei und dem filmischen Erzählen darstellt. Es ist nur eine von vielen Entdeckungen und Momenten, die die Graphic Novel für ihren Leser bereithält und wegen der sich die Lektüre mehr als lohnt.
OT: „Le Storyboard de Wim Wenders“
Land: Kanada
Jahr: 2022
Texte: Stéphane Lemardelé
Zeichnungen: Stéphane Lemardelé
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