Evil Does Not Exist Aku wa Sonzai Shinai
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Evil Does Not Exist

Evil Does Not Exist Aku wa Sonzai Shinai
„Evil Does Not Exist“ // Deutschland-Start: 18. April 2024 (Kino) // 22. August 2024 (DVD / Blu-ray)

Inhalt / Kritik

In einem kleinen abgelegenen Dorf hält sich der alleinerziehende Vater Takumi (Hitoshi Omika) mit zahlreichen Gelegenheitsjobs, die er für die Dorfgemeinschaft übernimmt, über Wasser. Es ist ein ruhiges, bescheidenes Leben, in dem die Natur, die er gerne zusammen mit seiner Tochter Hana (Ryo Nishikawa) erkundet, im Mittelpunkt steht. Doch dieses Leben sowie das gesamte Ökosystem steht auf einmal unter Bedrohung, als ein junges Start-up aus Tokio eine Unterkunft für Tourist*innen bauen will.

Harmonie

Da, wo Hamaguchi drauf steht, ist auch Hamaguchi drin. Auch in Evil Does Not Exist macht der Regisseur von Drive My Car das, was er am besten kann, die Poesie im Kleinen, Unscheinbaren finden.  Evil Does Not Exist ist ein Film, der versucht, das Maximale aus möglichst wenig heraus zu holen, um damit eine Sache in den Vordergrund zu rücken: Atmosphäre. Lange Einstellungen, knackige Bilder und vor allem ganz viel Stille. Im Konkreten heißt das, dass man Hauptfigur Takumi dann auch mal in einer zweiminütigen starren Einstellung beim Holzhacken beobachten kann, ohne dass etwas Ungewöhnliches passiert. Kein Dialog, keine Schnitte, keine Hektik.

Evil Does Not Exist arbeitet extrem viel mit sich wiederholenden Tätigkeiten und Bewegungen, die meist nur vom großartigen musikalische Hauptthema begleitet werden. Wobei begleitet hier unangemessen ist. Vielmehr hebt das Stück von Eiko Ishibashi, die auch schon in Drive My Car als Komponistin zum Einsatz kam, viele der Szenen nochmal stark an und verleiht ihnen ihren besonderen Rhythmus und ihre tolle Stimmung. Diese liegt irgendwo zwischen einer gewissen Alltagsmelancholie und einer vollkommenen inneren Ruhe.

Denn so schwer es für manche auch sein dürfte, sich auf das langsame Tempo des Films einzulassen, wenn man das schafft, dann entfaltet sich beim Schauen ein einzigartiges Gefühl. Ein Gefühl, dass so nur im Medium Film möglich ist und die minimalistische Haltung nicht nur aufwertet, sondern diese quasi ersetzt. Denn durch seine Stille schafft Evil Does Not Exist Werte. Es passiert nicht viel, aber das, was passiert, wird wahnsinnig stark angehoben. Auf einmal bringt ein Kratzen am Kopf so viel Imposanz mit sich wie eine riesige Explosion in einem Actionfilm. Die allergrößte Profiteurin von dieser Art der Inszenierung ist die Natur. Denn so wenig der Plot an sich auch geben mag, ist Evil Does Not Exist kein Film, der kein Thema hätte.

Das Böse gibt es nicht?

Denn durch eben dieses Werteschaffen wirkt die Natur bzw. das Leben im Einklang mit ihr völlig unersetzlich. Und das, obwohl die gezeigte Region wenig Besonderes an Flora und Fauna zu bieten hat. Buchen, Lärchen, hin und wieder ein Reh oder ein Fasan. Doch genau damit macht der Film einen spannenden Punkt auf. Denn bei all seiner vermeintlichen Magie ist Evil Does Not Exist während seines Verlaufs überraschend materialistisch. Der Film ist sich dieser Magie, dieser Romantisierung, wenn man so will, durchaus bewusst. Er beschreibt keine Faktenlage, sondern einen Gefühlszustand und entsprechend die Zerstörung dieses Zustands. Und damit übt er ziemlich scharfe Kritik am Ursprung dieser Zerstörung: Kapitalismus.

Denn, man mag es kaum glauben, aber Evil Does Not Exist wird nach einiger Zeit tatsächlich durchaus dialoglastig. Wobei man hier nicht an die Wortschlachten eines Aaron Sorkin oder Ähnliches denken darf. Denn auch die Dialoge sind ruhig und schlicht, dafür aber genau auf den Punkt. Fein säuberlich wird hier auseinandergenommen, dass das System Kapitalismus ein System des schnelllebigen Zerstörens ist. Es gibt keinen Erhalt, nur das vermeintliche Wachstum. Es zerstört das Ruhige und das Bestehende, es zerstört die Natur und das Leben mit ihr im Einklang. Und vor allem zerstört es Existenzen und Lebensgefühle. Keine Zeit für Freude, für das Sinnliche, für Gemeinschaft. Die Alternative ist ein Leben voller vertaner Chancen, ein Leben voller Einsamkeit. Der Mensch funktioniert nur noch. Ein kleines Rad in der riesigen Maschinerie, die sein Leben bestimmt und es bei Belieben und ohne zu zögern ausspuckt und mit nichts zurücklässt. Ersetzbar, vergesslich.

All das zeigt  Evil Does Not Exist durch simple Alltagsgespräche, die Probleme der Dorfmenschen und der Angestellten des Start-ups und durch den Austausch zwischen den Welten. Die enteilte Großstadt und das Land, wo, zumindest vermeintlich, Mensch noch Mensch ist. Denn bei all der gelungenen Analyse sowie filmisch-atmosphärischer Einbindung dieser ist Evil Does Not Exist in einzelnen Szenen leider erschreckend plump. Nur weil Figuren nicht schreien oder es keine schnellen Kamerafahrten gibt, heißt das nicht, dass ein Film subtil sein muss.

Besonders betroffen davon sind die Stadtmenschen, die, so ambivalent der Film es auch mit der Sympathie zu ihnen hält, komplett zur Lachnummer werden. Sie, ihr Lebensstil und ihre Kompetenzbereiche werden komplett auseinandergenommen. In einer Satire wäre das durchaus angemessen, wirkt hier aber eher unpassend. Und auch mit Bezug zum Titel enttäuscht die Subtilität. Die beiden Angestellten vor Ort sind nicht böse, sondern nur Symptom des Systems, in dem sie leben. Aber warum gilt das nicht für ihre Chefs? Warum sind diese schon fast lachhaft eindimensional böse? Sind sie letztlich nicht auch nur Symptom und nicht Ursache des Systems?

Enttäuschendes Ende

Trotzdem liegt in dem Befassen mit dieser Frage im mittleren Teil des Films das klare Highlight von Evil Does Not Exist. Denn zum Ende hin kommt er leider etwas vom Weg ab, ignoriert vieles vorher Erarbeitete und denkt zu klein und zu gefühlsbetont. Und auch inhaltlich verlässt er seine Systemkritik, um sich stattdessen wieder einem magischen Individualismus hinzugeben. Das ist zwar optisch sehr schön anzusehen, hinterlässt aber viele offene Plotpunkte und thematische Fragen.

Evil Does Not Exist nimmt sich viel Zeit, um ein Gefühl zu etablieren, arbeitet dieses dann toll analytisch auf, ohne sich komplett zu verlieren, flacht dann hinten raus aber stark ab und zeigt die Konsequenzen des Erarbeiteten nicht. Es wirkt fast so, als würde im letzten Drittel ein völlig neuer Subplot aufgemacht werden, der nur im Entferntesten etwas mit der sonstigen Handlung zu tun hat. Der Film verliert das, was ihn sonst so stark macht: Das Zusammenspiel von Analyse und Gefühl, von pointierten Dialogen und Stille und von Mensch und Natur.

Credits

OT: „悪は存在しない“ (Aku wa Sonzai Shinai)
Land: Japan
Jahr: 2023
Regie: Ryusuke Hamaguchi
Drehbuch: Ryusuke Hamaguchi
Musik: Eiko Ishibashi
Kamera: Yoshio Kitagawa
Besetzung: Hitoshi Omika, Ryo Nishikawa, Ryuji Kosaka, Ayaka Shibutani, Hazuki Kikuchi, Hiroyuki Miura

Bilder

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Evil Does Not Exist
fazit
„Evil Does Not Exist“ ist über weite Strecken ein toller Film. Toll gefilmt, toll geschrieben und mit einem fantastischen Soundtrack ausgestattet. Leider fällt das vorher so gelungene Zusammenspiel von den vielen stillen, gefühlsbetonten und den wenigen lauteren analytischen Szenen im letzten Drittel ziemlich hinten über und sorgt so für einen sehr unrunden Abschluss.
Leserwertung9 Bewertungen
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