Dass Millionen von Juden während des Holocausts in Konzentrationslager gesteckt und ermordet wurden, ist bekannt und fester Bestandteil der neueren deutschen Geschichte – selbst wenn manche diese zu verharmlosen versuchen. Doch während diese Anlagen quasi zum Symbol für die systematische Vernichtung wurden, sind andere Morde etwas in Vergessenheit geraten. Der Dokumentarfilm Ganz normale Männer – Der „vergessene Holocaust“ möchte dies ändern, indem er an die sogenannten Todeskommandos erinnert. Diese setzten sich aus Männern von der Sicherheitspolizei und dem SD, dem Sicherheitsdienst der SS, zusammen. Rund zwei Millionen Menschen sollen diese Truppen erschossen haben, Männer, Frauen und Kinder.
Wie konnten sie Mörder werden?
Das Regie-Duo Manfred Oldenburg und Oliver Halmburger erzählt von den Taten, erzählt, wo sie zum Einsatz kamen und wie diese Erschießungen zum Teil vonstattengingen. Da ist richtig harter Tobak darunter, wenn es beispielsweise an einer Stelle heißt, dass Kindern der Schädel eingeschlagen wurde, um Munition zu sparen. Der völlig gleichgültige bis zynische Umgang mit menschlichem Leben schockiert auch Jahrzehnte später. Und doch ist Ganz normale Männer – Der „vergessene Holocaust“ keine Doku, die einfach nur auf den Schockeffekt setzt und voyeuristische Neigungen bedient. Vielmehr treibt den Film die Frage um, wer die Leute waren, die an diesen Erschießungen teilgenommen haben. Was hat sie angetrieben? Warum haben sie mitgemacht? Und was macht es mit einem, wenn man wie am Fließband tagtäglich unschuldige Menschen ermordet?
Interessant ist in dem Zusammenhang die Aussage von Benjamin Ferencz. Der US-Amerikaner war Chefankläger beim sogenannten Einsatzgruppen-Prozess von Nürnberg, bei dem eben diese Männer zur Rechenschaft gezogen wurden. Gerade von ihm sollte man erwarten, dass er die Taten komplett verdammt. Stattdessen versuchte er, diese Leute zu verstehen und sagt an einer Stelle auch, dass sie keine Monster waren. Sie taten das nicht aus Grausamkeit heraus, sondern weil sie überzeugt davon waren, das Richtige für ihre Heimat zu tun. Ganz normale Männer – Der „vergessene Holocaust“ räumt aber auch anderweitig mit falschen Vorstellungen auf. So redeten sich im Anschluss viele dadurch heraus, dass sie keine Wahl hatten, sich den Befehlen zu widersetzen, weil sie sonst selbst bestraft würden. Offensichtlich ließ sich das aber nirgends belegen, es sind keine Fälle bekannt, in denen ein Verweigerer Konsequenzen erleiden musste. Wohl aber mit sozialer Ächtung: Druck gab es also schon, nur keine Lebensgefahr.
Erinnerung und Warnung
Die erschreckende Schlussfolgerung ist, dass offensichtlich Menschen grundsätzlich zu Morden bereit sind, sofern die Umstände stimmen. An der Stelle wäre es spannend gewesen, noch etwas mehr über das Konzept der Schuld zu sprechen. Bei einer Laufzeit von nicht einmal 45 Minuten bleibt dafür aber nicht die Zeit. Dennoch ist Ganz normale Männer – Der „vergessene Holocaust“ ein interessanter und sehenswerter Beitrag, der gleichermaßen unangenehme Fragen wie Antworten bereithält. Es ist auch ein wertvolles Vermächtnis von Ferencz, der hier mit über 100 Jahren noch Interviews gab, bevor er im April 2023 im Alter von 103 Jahren gestorben ist. Seine Aussagen sind nicht nur eine willkommene Zeitreise und Erinnerung an das, was gewesen sind. Sie sind auch eine Warnung davor, was sonst alles geschehen kann, wenn wir nicht aufpassen. Denn die „richtigen“ Umstände sind nicht so weit weg, wie man gern glauben mag.
OT: „Ganz normale Männer – Der „vergessene Holocaust““
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Manfred Oldenburg, Oliver Halmburger
Drehbuch: Manfred Oldenburg
Musik: Stefan Ziethen
Kamera: Domenic Barbero, Tobias Corts, Jonas Köck, Ed Regan, Björn Schneider, Florian Ungerer, Sebastian Woithe, Florian Eppple
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