Für Catherine (Fanny Ardant) bricht eine Welt zusammen, als sie erfährt, dass ihr Mann Bernard (Gérard Depardieu) sie betrogen hat. Und offensichtlich war dies nicht das erste Mal. Zwar betont er, dass das alles nichts zu bedeuten hat, es nicht mehr als belanglose Zerstreuung ist. Aber Catherine sieht das deutlich besorgter, umso mehr, da sich die beiden schon länger auseinandergelebt haben und auch sexuell nichts mehr zwischen ihnen läuft. Und so beauftragt sie die Prostituierte Marlène (Emmanuelle Béart), ihn zu verführen und ihr von diesen Erfahrungen zu berichten, in der Hoffnung, die Geschichte so besser verstehen zu können. Tatsächlich gelingt es Marlène, unter dem Namen Nathalie diese Affäre zu beginnen. Immer wieder treffen sie sich – und auch die beiden Frauen, um sich in Gesprächen darüber auszutauschen …
Erotik im Kopf
In ihren Filmen hat sich Anne Fontaine immer mal wieder mit erotischen Abenteuern ihrer Hauptfiguren befasst. So erzählte die luxemburgisch-französische Regisseurin und Autorin in Tage am Strand (2013), wie zwei beste Freundinnen in ihren mittleren Jahren mit dem Sohn der anderen eine Affäre beginnen. 2019 erschien mit Weiß wie Schnee – Wer ist die Schönste im ganzen Land? eine recht eigene Neuinterpretation von Schneewittchen, bei der die Protagonistin mit einer Reihe von Quasi-Zwergen ins Bett steigt. Und auch das bereits 2003 erschienene Drama Nathalie – Wen liebst du heute Nacht? hat ein recht ungewöhnliches Szenario, bei dem sich alles um erotische Begegnungen dreht zwischen einem verheirateten Mann und einer jungen Frau.
Dass ein Mann mit einer jüngeren Frau Sex hat, ist dabei natürlich nicht außergewöhnlich, sei es im wahren Leben oder in fiktionalen Werken. Allgemein sind Filme über Affären keine Seltenheit. Gerade aus Frankreich kamen in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Beispielen, darunter die sehenswerten Dramen Wild wie das Meer und Passages. Ungewöhnlich bei Nathalie…, so der Originaltitel des Films, ist jedoch, dass diese besagte Affäre gar nicht gezeigt wird. Stattdessen entschied sich Fontaine, die auch am Drehbuch beteiligt war, die Begegnung von Bernard und der Titelfigur durch nachträgliche Gespräche wiedergeben zu lassen. Der Sex findet hier also nur verbal statt – und im Kopf des Publikums, das sich den Rest vorstellen darf, sofern es sich dazu entscheidet.
Wechselspiel der Beziehungen
Das Ergebnis ist schon etwas ungewöhnlich, da der Film dem extremen Voyeurismus der Geschichte ohne die dazugehörigen Bilder nachgeht. Wie ein Hörspiel, wenn man so will. Aber um den Sex an sich geht es auch gar nicht. Vielmehr befasst sich Nathalie – Wen liebst du heute Nacht? mit der Beziehung zwischen den einzelnen Figuren. Das betrifft gerade die zwischen Catherine und Marlène, was zunächst ein rein berufliches Verhältnis ist, sich mit der Zeit aber in eine Freundschaft umwandelt – trotz des Ehebruchs. Aber auch die jeweiligen Beziehungen zu dem abwesenden Bernard verändern sich. Der Versuch der Ehefrau, ihm durch diese unorthodoxe Methode wieder näherzukommen, scheitert. Kurios: Je mehr intime Details sie über sein Sexleben erfährt, umso fremder wird er ihr.
Letzten Endes ist Nathalie – Wen liebst du heute Nacht? aber auch ein Film über eine verlassene Ehefrau, die wieder zu sich selbst findet und die Welt mit neuen Augen sieht. Insofern kann man das Drama auch als eines über weibliche Selbstermächtigung und Lebensfreude auffassen. Richtig in die Tiefe geht das dann nicht. Zu erzählen hat Fontaine zwar einiges, aber nicht sehr viel zu sagen. Dafür ist das Ganze erwartungsgemäß stark gespielt. Dabei sind es primär die gemeinsamen Szenen von Emmanuelle Béart (Liebe Last Lust) und Fanny Ardant (Ridicule – Von der Lächerlichkeit des Scheins), die in Erinnerung bleiben. Gérard Depardieu, der seinerzeit in Die Frau nebenan noch den Liebhaber von Ardant gespielt hatte, bleibt da aufgrund seiner blass gezeichneten Rolle nur ein Platz in der zweiten Reihe. Seine Figur mag in den Erzählungen im Mittelpunkt stehen, für den Film selbst ist er hingegen fast schon unwichtig.
OT: „Nathalie…“
Land: Frankreich
Jahr: 2003
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Jacques Fieschi, Anne Fontaine, François-Olivier Rousseau
Musik: Michael Nyman
Kamera: Jean-Marc Fabre
Besetzung: Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Gérard Depardieu
https://www.youtube.com/watch?v=WoCYg-vC4wo
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