Der Einfachheit halber wollen wir Oskar Fischinger – Musik für die Augen einen Dokumentarfilm nennen. Das geschieht hauptsächlich aus dem Grund, da niemand Lust hat, die uralte Debatte um Genredefinitionen erneut durchzukauen. Im Grunde handelt es sich dabei um ein gefilmtes Interview, welches mit ein bisschen Anschauungsmaterial unterlegt ist. Noch genauer betrachtet wirkt es in der endgültigen Fassung eigentlich eher wie ein Vortrag, denn abgesehen von Elfriede Fischinger ist sonst niemand zu hören oder zu sehen.
Pioniere der Animationskunst
Die Namen Lotte Reiniger (Die Abenteuer des Prinzen Achmed), Ray Harryhausen oder eben Oskar Fischinger, alle deutsch oder zumindest deutscher Abstammung, sind der breiten Masse heute gar nicht mehr bekannt. Selbst unter Fachleuten scheint ihr Bekanntheitsgrad langsam aber stetig abzunehmen. Dabei haben sich die drei jeweils auf ihre eigene Art sehr verdient um den Film an sich gemacht. Alle hatten auf ihre Weise etwas mit Animation zu tun, alle waren Pioniere auf ihrem Gebiet. Harryhausen wurde dem Mainstream vielleicht noch am ehesten erneut in Erinnerung gerufen, durch die von Robert Rodriguez implementierte Hommage in Spy Kids 2 – Die Superspione kehren zurück. Mit Oskar Fischinger – Musik für die Augen unternimmt der Regisseur – sofern diese Bezeichnung angesichts der in der Einleitung geschilderten Gegebenheiten angebracht ist – Harald Pulch nun den Versuch, Fischinger im kollektiven Gedächtnis der Gegenwart zu etablieren.
Warum Oskar Fischinger – Musik für die Augen erst jetzt ins Kino kommt, ist nicht ganz klar. Das Schlusswort von Pulch am Ende ist mit 2021 datiert, das Interview mit Elfriede Fischinger fand allerdings bereits im Jahre 1993 statt. Die eingespielten Werke von Oskar Fischinger wurden digital restauriert, was durchaus einiges an Zeit in Anspruch genommen haben mag. Es ist aber leider gut vorstellbar, dass sich vorher einfach kein Verleih dafür gefunden hat. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land, hier scheint keiner groß Interesse an guten Filmern zu haben, während die Förderungsanstalten das Geld in die immer gleichen bemühten Produktionen pumpen und sich dafür noch selbst gratulieren. Anders als die in Jeder schreibt für sich allein vorgestellten Künstler blieb Fischinger während der Nazizeit nicht in Deutschland, sondern emigrierte 1936 in die USA. Wenn er gewusst hätte, wie er später hier behandelt wird, wäre ihm der Abschied eventuell leichter gefallen.
Charmant und interessant
Fischingers Arbeiten zeichnen sich unter anderem durch findigen Ideenreichtum aus. Seine Kurzfilme sind aus heutiger Sicht kaum mehr als Spielereien (wobei „aus heutiger Sicht“ nicht stark genug betont werden kann; damals waren sie ein faszinierendes Novum), aber was er für Spielfilme wie etwa Frau im Mond von Fritz Lang oder Das Blaue vom Himmel von Billy Wilder gezaubert beziehungsweise vor allem wie er das angestellt hat, ist schlichtweg brillant. Elfriede Fischinger war nicht nur mit ihm verheiratet, sondern unterstützte ihn auch bei seinen Arbeiten, übernahm manches Mal sogar einige Passagen dabei, wenn er verhindert war. Von 1936 bis zu ihrem Tod 1999 blieb sie in den USA, das Interview fand in ihrem Haus in Long Beach, Kalifornien statt. Ihr zuzuhören, ist wie eine interessante Vorlesung zu besuchen. Ab und zu fällt ihr das passende deutsche Wort nicht ein, hier und da ist ihre Aussprache etwas amerikanisiert. An manche spezifischen Details erinnert sie sich auch nicht mehr. Das alles trägt aber zum Charme ihrer Erzählung bei, die den Zuschauer von Anfang bis Ende in ihren Bann ziehen wird.
OT: „Oskar Fischinger – Musik für die Augen“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Harald Pulch
Musik: Parviz Mir-Ali
Kamera: Eckhard Jansen
Mitwirkende: Elfriede Fischinger
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