Wild wie das Meer

Seit Jahren schon sind Chiara (Cécile de France) und Antoine (Grégoire Monsaignon) miteinander verheiratet. Gemeinsam leben sie auf einer Insel vor der französischen Atlantikküste, wo die beiden Fischfang betreiben. Ihre Routine wird eines Tages gestört, als sie den jungen Maxence (Félix Lefebvre) bei sich aufnehmen und er eine Lehre bei ihnen beginnt. Obwohl er aus einem vermögenden Haus stammt und noch keinerlei Erfahrung in dem Bereich hat, macht er sich gut, ist mit Eifer und Wissbegierde dabei. Das imponiert Chiara ebenso wie seine selbstbewusste und charmante Art. Schnell kommen sie sich näher und entwickeln dabei auch Gefühle füreinander, von denen niemand etwas wissen darf …

Eine filmische Affäre

Ein bisschen auffällig ist es ja schon, wie viele französische Filme in den letzten Monaten bei uns in die Kinos kamen, die sich auf die eine oder andere Weise mit einem Ehebruch beschäftigten. Dabei zeigten sich An einem schönen Morgen und Tagebuch einer Pariser Affäre von einer bewusst zurückgenommenen, unaufgeregten Seite. Am anderen Ende der Skala war Passages, bei dem ein Mann seinen Partner mit einer Frau betrügt, wodurch nach und nach das Leben aller drei zerstört wird. Irgendwo zwischen diese beiden Polen liegt Wild wie das Meer, das zwar durchaus anerkennt, wie schwierig diese Affäre für alle Beteiligten ist. Daraus wird hier aber kein Problemdrama gemacht, bei dem andauernd Menschen oder Einrichtungsgegenstände zu Bruch gehen.

Ein Knackpunkt ist dabei natürlich das Alter. Dass Frauen mit deutlich jüngeren Männern zusammenkommen, ist zumindest in Filmen eine Seltenheit. Ein solch seltenes Beispiel war Im Herzen jung vor einigen Monaten, auch das war ein französischer Beitrag. Dort war der Altersunterschied aber höchstens innerhalb des Paares ein Thema, außerhalb wurde erstaunlich wenig dazu gesagt. Bei Wild wie das Meer ist das schon mehr der Fall. Als die Affäre einer filmischen Konvention folgend auffliegt, gibt es durchaus heftige Reaktionen. Diese beziehen sich aber interessanterweise nur auf die Frau. Das könnte man als Sexismus auffassen, ist hier aber komplexer. Schließlich handelt es sich bei Maxence um einen Lehrling, der dadurch in einem Abhängigkeitsverhältnis steht. Da darf man schon mit der Stirn runzeln und fragen, ob da nicht ein Missbrauchsverhältnis vorliegt, auch wenn der junge Mann eindeutig selbst Interesse hat.

Stark gespielt und zutiefst menschlich

Das wiederum interessiert Héloïse Pelloquet wenig. Die französische Regisseurin und Co-Autorin befasst sich nicht mit den moralischen Aspekten. Stattdessen richtet sie den Blick auf die beiden Figuren und was diese Beziehung mit ihnen macht. Für Chiara ist das aufregend, weil es ihr auch erlaubt, eine andere Seite an sich auszuprobieren. Und doch verzichtet Wild wie das Meer darauf, eine allzu bequeme Antwort zu geben, weshalb sich die Fischerin auf die Affäre einlässt. Sie ist glücklich mit Antoine, führt ein selbstbestimmtes Leben, ist gut integriert. Sie ist weder verzweifelt noch gelangweilt, was die Geschichte erst einmal schwer verständlich macht. Zumindest nach außen hin ist da – von der Attraktivität des jungen Mannes einmal abgesehen – kein ersichtlicher Grund für den Seitensprung.

Das wird manche verwundern, andere vielleicht gar frustrieren. Doch trotz dieser Leerstellen hat der Film viel zu erzählen und auch zu zeigen. Da sind einige wunderbaren Szenen mit den Hauptfiguren, gerade am Anfang, als sie sich allmählich näherkommen. Wild wie das Meer wird hier auch ganz von der schauspielerischen Klasse getragen. Cécile de France, die in Im Herzen jung noch die betrogene jüngere Frau war, darf mal wieder unter Beweis stellen, wie nuanciert die ihre Rollen anlegen kann, ohne dafür groß Worte verwenden zu müssen. Ihr gegenüber steht Shootingstar Félix Lefebvre (Sommer 85), der seinen ganzen spitzbübischen Charme zur Schau stellen darf und mit seiner erfahrenen Kollegin sehr gut harmoniert, trotz der offensichtlichen Unterschiede. Wer also noch nicht genug hat von französischen Affären und einen zutiefst menschlichen Film sehen möchte, der ist hier an einer guten Adresse.