Denkt man asiatische Geistergeschichten, wird der ein oder andere Filmfan unvermeidlich Bilder aus Filmen wie Ju-on oder Ringu vor dem geistigen Auge haben. Diese, wie auch viele andere Produktionen, haben das Image geprägt, was der Westen unter dem Begriff J-Horror zusammenfasst, selbst wenn dies Filme aus Ländern außerhalb Japans mit einbezieht. Mit diesem Begriff ging einher das Bild eines Geistes oder Dämon, der seine Opfer verfolgt, langsam aber unnachgiebig, meist in einem langen, weißen Kleid und nicht minder langen, schwarzen Haaren, die das gesamte Gesicht bis auf die Augen verdecken. Wie vorher die Hockeymaske Jason Vorhees’ oder die Messerhand Freddy Kruegers wurde das Haar zu einem Markenzeichen für diese Art des Horrors, die sich auch in den US-amerikanischen Neuverfilmungen wiederfand. Das schwarze Haar ist auch der Ausgangspunkt einer Geistergeschichte, die eine Fabrikarbeiterin in Hongkong ihren Kolleginnen in der Pause erzählt. Eine Perücke, an der eine Frau gearbeitet hat, schwebte auf einmal in der Luft, besessen von dem Geist jener Frau, der das Haar einst gehört hat. Verstört von diesem Ereignis reagierte die Arbeiterin nun anders auf das Haar, welches ihr zum Herstellen der Perücken gegeben wurde, dachte sie doch vorher, dass es sich um künstliches handelt.
Im Gegensatz zu den eingangs genannten Filmen basiert die Geschichte der Arbeiterin auf einem wahren Kern. Berichte über Perücken oder andere, verwandte Produkte aus Asien, bei denen echtes Haar benutzt wurde, sind keine Seltenheit, wie beispielsweise die Beschlagnahmung von Schönheitsprodukten seitens der US-Behörden Mitte 2020, die den Verdacht hatten, diese seien aus menschlichen Haaren gemacht worden. Schon 1960 wurde ein Embargo in den USA auf asiatische Haarprodukte erlassen, hier jedoch vor allem, weil es sich um „kommunistisches Haar“ handelte und weniger, weil es sich um eine Verletzung der Menschenrechte handelte. Diese Begebenheiten bilden das Fundament für An Asian Ghost Story, eine neue Kurzdokumentation Bo Wangs, die auf der CPH: DOX mit dem New Vision Award ausgezeichnet wurde und die nun auf der DOK Leipzig zu sehen ist. Ausgehend von der Geschichte der Arbeiterin erzählt Wang mithilfe von Archivmaterial sowie nachgestellter oder fiktionaler Szenen von Ausbeutung sowie einem Kampf der Ideologien, der auf den Schultern anderer Menschen ausgetragen wird.
Eine reiche Ernte
Wie schon im bemerkenswerten China Concerto geht Wang von einer an sich banalen Begebenheit aus, um eine Beobachtung über zu größeren wirtschaftlichen wie auch politischen Zusammenhängen zu machen. Die Schlüsse, zu denen er kommt oder die nahegelegt werden, sind durch den historischen Kontext durchaus überzeugend und teils erhellend, selbst wenn die fiktiven Szenen, zum Beispiel mit einem Schauspieler, der einen Arzt spielen, nicht immer passen. Teils driftet An Asian Ghost Story ins Philosophische oder Übersinnliche, was man bei einem solchen Titel sicherlich erwarten kann. Wang geht es vor allem um das Aufheben von klaren Linien, zwischen Kommerz und Ideologie, von Prinzipien und Moral, was seine Kurzdokumentation zu einem Plädoyer zum Nachdenken über Konsum- oder Luxusgüter macht. Letztlich regelt die Nachfrage den Markt, nicht die Bedürfnisse der Arbeiter nach besseren Bedingungen oder etwa die Frage, woher das Haar eigentlich genau kommt. Es sind solche Aspekte, die An Asian Ghost Story zu einer brisanten und sehr aktuellen Dokumentation machen, von der man sich jedoch wünscht, sie hätte sich mehr auf Fakten und Hintergründe verlassen.
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