Unruhig rutscht Laura Le Corre (Alba Gaïa Bellugi) auf dem Stuhl hin und her, fällt es ihr doch nicht leicht, ihre Geschichte zu erzählen. Tatsächlich reagiert die Polizei auch skeptisch, als die junge Frau ihre Vorwürfe äußerst. Quentin Le Bars (Pascal Greggory), gerade erst zum Minister ernannt, soll sie vergewaltigt haben. Kennengelernt hatte sie diesen über ihren Vater Max (Jean-Pierre Martins), der für den Politiker als Chauffeur gearbeitet hat, als dieser noch Bürgermeister war. Le Bars hatte seinerzeit versprochen, Laura bei ihrer Suche nach einer Arbeit und einer Wohnung zu helfen. Dabei ahnte sie noch nicht, welchen Preis sie dafür würde zahlen müssen …
Zum Sex genötigt
#MeToo und seine Folgen. Auch Jahre nach den schockierenden, wenngleich wenig überraschenden Enthüllungen rund um den Hollywoods-Missbrauchsmogul Harvey Weinstein erscheinen regelmäßig Filme, die sich auf die eine oder andere Weise mit dem Themenkomplex auseinandersetzen. Neben She Said, das die Enthüllungen als solche zum Inhalt machte, und True Crime Dokus wie Victim/Suspect handeln auch immer mal wieder fiktionale Dramen und Thriller von solchen Situationen. Meistens geht es darum, wie Männer in Machtpositionen Frauen missbrauchen, sie zu Sex zwingen oder sie zumindest nötigen. So auch der französische Fernsehfilm Das Mädchen, das man ruft, der hierzulande bei arte ausgestrahlt wird.
Mit dem Thema hat Regisseurin und Co-Autorin Charlène Favier bereits Erfahrungen gesammelt. So erzählte sie in ihrem Drama Slalom vor einigen Jahren, wie eine 15-Jährige und ihr Skilehrer sich näherkommen. Seinerzeit arbeitete die Französin aber mit vielen Ambivalenzen. So war es zweifelsfrei eine Grenzüberschreitung, was der erwachsene Mann da tat. Allerdings eine, an der die Jugendliche aktiv beteiligt war, was die Beurteilung schwieriger machte. Bei Das war nicht mehr ich ist das einfach. Anders als beim attraktiven Skilehrer, der für die Protagonistin sexuell interessant war, ist hier klar, dass Laura diese Intimität nicht will. Sie lässt es aber über sich ergehen, erst viel später wird sie anfangen, sich dagegen zu wehren und erstattet sogar Anzeige. Sie will ihn zur Verantwortung ziehen für das, was er getan hat.
Die Suche nach Antworten
Doch warum hat sie so lange gewartet? Das will nicht nur das Polizeiduo wissen, dessen Fragen mehr einem Verhör gleichkommen. Auch das Publikum wird darauf eine Antwort wissen wollen. Schließlich hat Le Bars keine Gewalt angewendet, sie nicht direkt körperlich gezwungen. Laura hätte einfach aufstehen und gehen können. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht. Die Adaption des Romans Das Mädchen, das man ruft von Tanguy Viel (Rückkehr in die Bretagne) beschreibt eine Situation, in der die junge Frau sich ausgeliefert gefühlt hat. Sie war in einem Abhängigkeitsverhältnis von dem deutlich älteren Mann, Wohnung und Arbeit hatte er ihr besorgt. Sonstige Perspektiven hat sie in Das war nicht mehr ich nicht, was die Lage für sie schwierig macht.
Das ist dann schon alles plausibel und wirft diverse Fragen auf. Und doch hat Das war nicht mehr ich irgendwie gar nicht so wahnsinnig viel zu erzählen. Zwar lässt Favier in Rückblicken die Geschichte Revue passieren. Da kommt aber weder während dieser Missbrauchsphase noch danach genug zusammen, um einen ganzen Film zu füllen. Also behalf man sich durch die Nebenhandlung um den Vater, einen ehemaligen Boxer, der an seinem Comeback arbeitet. Das reicht dann zwar für ein kontroverses Ende, bei dem sich das Publikum richtig aufregen darf und das zudem das Narrativ einer Zweiklassengesellschaft bestätigt. Ein bisschen billig ist das aber schon. In der Summe ist das ein solides Drama zu einem wichtigen Thema, das aber nicht viel Eigenes hinzuzufügen hat.
OT: „La Fille qu’on appelle“
Land: Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Charlène Favier
Drehbuch: Charlène Favier, Antoine Lacomblez
Vorlage: Tanguy Viel
Musik: LoW Entertainment
Kamera: Yann Maritaud
Besetzung: Alba Gaïa Bellugi, Pascal Greggory, Jean-Pierre Martins, Patrick d’Assumçao, Anne Suarez
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