Henriette (Corinna Harfouch) ist ganz aufgeregt, als sie ihre Tochter Johanna (Karin Hanczewski) übers Wochenende zu sich einlädt, um so ihren neuen Freund präsentieren zu können. Bei der hält sich die Begeisterung jedoch in Grenzen, als sie sieht, dass Philipp (Louis Nitsche) gerade mal halb so alt ist wie Henriette. Für Johanna ist der Fall klar: Es will die vermögende Witwe nur ausnutzen und spielt ihr deswegen etwas vor. Sie engagiert sogar einen Privatdetektiv, um den mutmaßlichen Betrüger überführen zu können. Tatsächlich stellt sich dabei heraus, dass Philipp nicht zu allem die Wahrheit gesagt hat. Aber auch bei den beiden anderen ist bislang viel ungesagt geblieben …
Eine Beziehung, die nicht sein darf
Eine Frau mit einem deutlich jüngeren Mann? Das geht nun wirklich nicht! Während die entgegengesetzte Konstellation – ein älterer Mann mit einer jüngeren Frau – nicht ganz unüblich ist, war es längere Zeit undenkbar, dass sich Frauen auf diese Weise vergnügen könnten. Inzwischen ist das Tabu zwar geringer geworden. Aber noch immer handelt es sich dabei um ein dankbares Thema, das immer wieder in Filmen aufgegriffen wird. So gab es dieses Jahr beispielsweise mit Wild wie das Meer und Im Herzen jung zwei französische Dramen mit einer solchen Situation, die bei uns auch im Kino gezeigt wurden. Nun folgt mit Der neue Freund auch eine deutsche Variante. Die ARD-Produktion hat es zwar nicht ins Kino geschafft, sehenswert ist aber auch sie.
Wobei der Film nur bedingt mit den obigen Beispielen zu vergleichen. Natürlich steht auch hier das klassische Bild im Mittelpunkt, dass ältere Frauen und jüngere Männer nicht zusammengehören. Wenn sie doch zusammen sind, dann weil irgendetwas nicht stimmt. Zwar beteuert Johanna, dass ihr das Alter von Philipp nichts ausmacht. Aber es ist doch recht offensichtlich, dass dies maßgeblich ist für ihr Misstrauen. Zumindest ist es kaum vorstellbar, dass sie ebenso negativ reagieren würde, wenn der neue Mann an Henriettes Seite in ihrem Alter wäre. Anders als die obigen Filme oder auch der deutsche Kollege Für eine Nacht … und immer? nutzt Der neue Freund nicht das Drama für dieses Thema, sondern macht bissig auf Scheinheiligkeit aufmerksam.
Im ständigen Wandel
Wobei es aber nicht so ist, dass nur Johanna an den Pranger gestellt wird. Auch die beiden anderen haben ihre Schwächen und Makel – sowie diverse Geheimnisse. Das wird mit der Zeit aufgedeckt, was für viel Dynamik sorgt. Zumal sich dadurch auch die Allianzen ständig verschieben. Anfangs sind die Fronten klar: Henriette und Philipp stehen auf der einen Seite, Johanna auf der anderen. Mit der Zeit wird aber immer weniger klar. Je mehr wir über die Figuren erfahren, umso komplexer wird alles. Und umso verwirrender. Aber auch im Hinblick auf das Genre ist Der neue Freund nicht wirklich fest umrandet. Anfangs überwiegen die komischen Töne, später wird es sehr tragisch. Zwischenzeitlich werden dann aber auch Elemente des Thrillers aufgenommen, wenn Drehbuchautor Frédéric Hambalek (Jackpot) mit den Erwartungen des Publikums spielt.
Eines bleibt bei dem Fernsehfilm, der auf dem Filmfest Hamburg 2023 Premiere feierte, aber gleich: die schauspielerische Leistung. Es macht einfach Spaß, dem Trio dabei zuzusehen, wie es sich gegenseitig anfährt, dann doch wieder Frieden schließt, bevor die nächste Eskalation ansteht. Die meisten Beiträge der öffentlich-rechtlichen Sender sind darauf aus, die Zuschauer und Zuschauerinnen zu unterhalten. Der neue Freund ist eines der viel zu seltenen gelungenen Beispiele, wo das wirklich klappt. Gemeinsam mit Sörensen fängt Feuer vergangene Woche gehört das konfrontative Kammerspiel zu den sehenswerten deutschen TV-Produktionen der letzten Zeit, wenn man hier wirklich bis zum Schluss aus Neugierde dranbleibt, wie sich das Ganze wohl auflösen wird.
OT: „Der neue Freund“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Dustin Loose
Drehbuch: Frédéric Hambalek
Musik: Joachim Dürbeck, René Dohmen
Kamera: Clemens Baumeister
Besetzung: Corinna Harfouch, Karin Hanczewski, Louis Nitsche
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