Errol Morris John le Carre Der Taubentunnel Apple TV+
Errol Morris und Igor Martinović hinter den Kulissen von „John le Carré: Der Taubentunnel“ (© Apple TV+)

Errol Morris [Interview ]

Errol Morris ist ein US-amerikanischer Regisseur, Dokumentarfilmer und Autor. Über die Jahre hat er sich mit Projekten wie Pforten des Himmels und Eine kurze Geschichte der Zeit international einen Namen gemacht und etablierte zugleich eine innovative Art und Weise, wie man einen Dokumentarfilm macht. Die Idee des Interrotron, einer Maschine, welche vom Prinzip her vergleichbar mit einem Teleprompter ist, geht auf ihn zurück und erlaubt es ihm, ein Interview zu führen, bei dem seine Gesprächspartner direkt in die Kamera schauen können. Abgesehen von der technischen Komponente seiner Produktionen sind auch seine Themen interessant und teils sogar kontrovers. Für The Fog of War etwa interviewte er den ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara und erhielt einige erhellende Einblick in die politischen Entscheidungen während der Kubakrise und des Vietnamkrieges. In Standard Operating Procedure griff Morris zum einen auf Interviews und zum anderen auf nachgestellte Szenen zurück, um den Folterskandal im  Abu-Ghuraib-Gefängnis nachzugehen.

Im Laufe seiner Karriere wurde Morris für seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. Allein für seinen Dokumentarfilm Der Fall Randall Adams wurde er unter anderem mit dem Edgar Award, dem National Board of Review Award, dem New York Film Critics Circle Award und dem National Society of Film Critics Award geehrt. Im Jahre 2004 erhielt The Fog of War den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm.

In seinem neuen Dokumentarfilm John le Carré: Der Taubentunnel geht es um den britischen Autor John le Carré. Ausgehend von dessen gleichnamigem Buch, in dem der Autor über seine Leben, sein Werk und seine Tätigkeit für den britischen Geheimdienst spricht, gibt John le Carré: Der Taubentunnel den Zuschauern eine andere Perspektive auf den Kalten Krieg, den Fall der Berliner Mauer und die interne Hierarchie des Geheimdienstes. Der Dokumentarfilm feierte seine Premiere auf dem Telluride Film Festival und ist seit dem 20. Oktober auf Apple TV+ zu sehen.

Sie haben einmal gesagt, dass es Ihnen bei Interviews um die Herstellung einer bestimmten Atmosphäre geht, bei der es dann sein kann, dass Ihre Gesprächspartner interessante Einblicke in ihr Leben geben. Was meinen Sie genau damit und wie war das im Fall von David John Moore Cornwell, besser bekannt als John le Carré?

Ich bin mir nicht sicher, was ich genau damit meinte, als ich es gesagt habe. Es geht mir immer darum, den Kontext eines Lebens oder der Geschichte, die mir mein Gesprächspartner erzählt, zu beachten, da man ohne diesen zum einen das Interview vergessen kann und der Zuschauer wahrscheinlich wenig von dem Dokumentarfilm an sich hat.

Im Falle von John le Carré: Der Taubentunnel habe ich mich auf einzelne Geschichten bezogen, die Cornwell in seiner Vorlage anspricht. Sie sind sehr philosophisch und teilen uns viel mit darüber, wie er die Welt und unsere Geschichte sieht. Steve Bannon, den ich für American Dharma interviewen durfte, sieht die Geschichte als eine Ansammlung von Verschwörungstheorien, was heutzutage von vielen Menschen geteilt wird. Cornwell sieht sie eher als ein Irrenhaus, als ein Chaos. Man reagiert im Moment und weißt eigentlich gar nicht, welche Folgen eine Entscheidung haben könnte. Man sieht das Chaos vor sich und versucht, das Beste zu machen. Ion seinen Romanen wollte er diesen Wahnsinn seiner Leserschaft zeigen.

In Der Spion, der aus der Kälte kam geht es um einen Mann, für den die Vergangenheit keine so große Rolle spielt, sondern vielmehr die aktuellen Geschehnisse um ihn herum. Er versucht, es zu verstehen und entsprechend zu handeln. Meiner Meinung nach ist dies sein bestes Werk. Und die Filmadaption ist auch sehr gut.

Cornwells Ausgangspunkt für The Pigeon Tunnel ist sein Vater und das schwierige Verhältnis, das er zu ihm hatte. Haben Sie das Gefühl, dass er durch das Buch und die Arbeit an der Dokumentation seinen Frieden damit geschlossen hat und vielleicht auch so etwas wie Absolution erteilt bekam für seine eigenen Sünden?

Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob er nach Absolution suchte. Wenn man einen Film macht, nimmt man sich einen kleinen Teil von einer großen Menge an Material heraus, den man dann dem Zuschauer zeigt. Natürlich hätte ich einen Film über Cornwells Verhältnis zu Frauen machen können oder über andere Themen, die sein Leben definierte, doch dazu hatte ich, um ehrlich zu sein, keine Lust. Mich interessierten vielmehr die Geschichten von ihm als junger Spion in den 1960er Jahren in Bonn. Die sind einfach unglaublich und spannend.

Er scheute sich nicht, moralische Fragen zu stellen. Beispielsweise zeigt er, wie ehemalige Nationalsozialisten wichtige Positionen nach dem Krieg innehaben, und fragt sich, für was genau man eigentlich im Zweiten Weltkrieg gekämpft habe, wenn diese Menschen nun wieder die Politik mitbestimmen.

In der Dokumentation wird an einer Stelle angespielt auf den Unterschied zwischen einer Befragung und einem Interview. Wo sehen Sie den Unterschied?

Als Cornwell das im Interview ansprach, musste ich lange über seine Worte nachdenken. Ich glaube, es kommt zum einen darauf an, wer der Fragesteller ist und wer interviewt oder befragt wird.

Wenn ich ein Interview beginne, lasse ich mich vom Verlauf des Gespräches treiben und habe es nie auf eine bestimmte Information abgesehen, die ich meinem Gegenüber entlocken möchte. Bei einer Befragung, wie der eines Zeugen oder eines Verdächtigen, ist das natürlich anders, weshalb sich besonders wichtige Fragen wiederholen. So lange, bis man die Information hat, die man braucht.

Für mich sind Interviews immer wieder eine Entdeckungstour, bei der ich nicht weißt, was am Ende herauskommen wird. Ich kann nur hoffen, dass mir meine Gesprächspartner etwas über ihr Leben mitteilen, was besonders ist und mich bestimmte Dinge in einem neuen Licht sehen lässt, wie es nun bei Cornwell der Fall war. Ich würde sagen, hier liegt der Unterschied, auf den die Frage anspielt.

Stimmt es, dass das Gespräch mit Cornwell eines der besten Ihres Lebens war, wie Sie in einem anderen Interview erklärten?

Vielleicht habe ich bei dieser Äußerung etwas übertrieben. (lacht)

Jedoch ist Cornwell sicherlich die eloquenteste Person, mit der ich je gesprochen habe. Er kannte  viele Sprachen und konnte Deutsch angeblich ohne den Anflug eines Akzents sprechen. Zudem hat er ein Gefühl für die Musik der Sprache, was ich erstaunlich finde. Als ich ihn fragte, ob er mir einen Eindruck von den Akzenten seiner Romanfiguren oder von Menschen, die er getroffen hat, geben könne, hat er dies sofort gemacht. Jemanden, der die Welt wie er wahrnimmt, habe ich noch nie getroffen.

Als ich ihn auf seine Vorliebe für Thomas Mann ansprach, kam es zu einem Austausch über unsere Liebe für Buddenbrooks. Er sagte mir, dass ich unbedingt Manns Novelle Tobias Mindernickel lesen müsste, wenn ich Buddenbrooks so mag. Nachdem ich die letzte Seite der Novelle gelesen hatte, dachte ich, dass mir diese Geschichte doch eine Menge über diesen Menschen sagt, der sie mir empfohlen hat. Es war mit Abstand eine der moralisch verwerflichsten Geschichten, die ich je gelesen habe. (lacht)

Sie haben eben gesagt, dass Sie noch viel Material von dem Gespräch mit Cornwell haben. Wird es vielleicht eine Fortsetzung zu John le Carré: Der Taubentunnel geben?

Das glaube ich nicht. Seine Söhne, Simon und Stephen Cornwell, die John le Carré: Der Taubentunnel produzierten, haben davon gesprochen, eine längere Version des Interviews ausstrahlen zu wollen, aber ich habe mit dem Projekt abgeschlossen.

Vielen Dank für das tolle Gespräch.



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