Gemeinsam nüchtern
© W-film

Gemeinsam nüchtern

„Gemeinsam nüchtern“ // Deutschland-Start: 12. Oktober 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Wie viele Leute in Deutschland süchtig sind, lässt sich kaum sagen, schließlich wird über das Problem oft nicht gesprochen. Vielen ist nicht einmal bewusst, dass sie ein Problem haben, was Statistiken erschwert. Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums gehen aber davon aus, dass es rund 3,5 Millionen Menschen sein könnten, die in der Hinsicht eine Störung aufweisen. Angebote für Betroffene gibt es natürlich. Doch dieses anzunehmen ist schwierig, es erfolgreich bis zum Ende zu verfolgen, noch schwieriger. Schließlich ist jeder Fall etwas anders: Was bei einer Person funktioniert, ist bei einer anderen nicht zielführend. Das zeigt auch der Dokumentarfilm Gemeinsam nüchtern, der mehrere Leute bei ihren Versuchen begleitet, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen.

 

Genauer nimmt uns Regisseur Fabian Schmalenbach mit zum Hof Fleckenbühl, einer Selbsthilfeeinrichtung in der Nähe von Marburg. Selbsthilfe heißt hier, dass es keine betreuenden Ärzte oder Therapierende gibt, die einen begleiten. Man hilft sich vielmehr gegenseitig, was sich auch im Titel Gemeinsam nüchtern widerspiegelt. Das bedeutet aber nicht, dass die Leute machen können, was sie wollen. Tatsächlich gibt es strenge Regeln, die zu befolgen sind. Dazu gehört beispielsweise, dass Neuankömmlinge ihren privaten Besitz abgeben müssen und den Hof nicht ohne Begleitung verlassen dürfen. Erst wer ein halbes Jahr dabei ist und sich während dieser Zeit bewehrt hat, bekommt wieder einen Teil seiner Rechte zurück.

Das ist natürlich ziemlich harsch. Es überrascht dann auch nicht, dass dieses Konzept nicht bei allen gut ankommt. Ingrid, eine von zwei Personen, die neu auf dem Hof sind und die Schmalenbach über längere Zeit begleitet, hat beispielsweise große Probleme mit dem Arrangement. Immer wieder gerät sie mit anderen aneinander, in einer Szene fliegen auch richtig die Fetzen. Miguel hingegen ist ganz froh über die Regeln, die ihm dabei helfen, wieder Struktur in sein Leben zu bringen. Neben diesen beiden kommen mit Werner und Marita zwei Menschen in Gemeinsam nüchtern zu Wort, die schon länger auf dem Hof leben und deshalb noch eine Art Langzeitperspektive mitbringen.

Vielfältiges Bild von Sucht

Sie zeigen auch auf, wie unterschiedlich der weitere Lebensweg sein kann. Während Marita sich richtig eingelebt hat, sie dort auch ihren Mann kennenlernte, hat Werner noch immer zu kämpfen. Er weiß, dass er auch in Zukunft nie ganz vom Alkohol wegkommen wird, dieser immer eine Versuchung bleibt. Gemeinsam nüchtern ist da ganz ehrlich und ernüchternd. Die Vorstellung, man könne eine solche Sucht einfach heilen und danach geht es wieder, ist oft naiv. Auch wenn es natürlich unterschiedlichste Gründe gibt, weshalb man süchtig wird und es Auslöser für einen Absturz geben kann, den Hang zur Sucht wird man nicht so leicht los. Der steckt dann doch tiefer in einem drin und man darf sich fragen, was zuerst da war: die Sucht oder das Suchtmittel.

Gemeinsam nüchtern begleitet das alles, mischt sich nicht ein, kommentiert und bewertet nicht. Vielmehr stehen die Geschichten der einzelnen Süchtigen im Mittelpunkt. Erstaunlich offen wird da vor der Kamera geredet, gerade auch wenn es um vergangene Ereignisse geht. Ein bisschen hat das dann doch von einem Therapiegespräch, nur dass da neben dem Filmteam noch das Publikum Platz nimmt. Mit dieser Offenheit muss man als Zuschauer bzw. Zuschauerin umgehen können. Voyeuristisch wird es dabei nicht, der Dokumentarfilm bleibt nüchtern. Endgültige Antworten zum Thema Sucht gibt es keine, das ist nicht das Ziel des Projekts. Stattdessen findet man hier persönliche Perspektiven, die zusammen ein vielfältiges Bild von Sucht ergeben und bei denen Hoffnung und Verzweiflung manchmal recht nahe beieinander sind.

Credits

OT: „Gemeinsam nüchtern“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Fabian Schmalenbach
Drehbuch: Fabian Schmalenbach
Musik: André Feldhaus
Kamera: Moritz Mössinger

Bilder

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Gemeinsam nüchtern
fazit
„Gemeinsam nüchtern“ nimmt uns mit in eine Selbsthilfeeinrichtung für Süchtige. Der Dokumentarfilm wertet und kommentiert nicht, sondern zeichnet ein multiperspektivisches Bild davon, was es heißt, mit einer Sucht zu leben, und wie schwierig es ist, davon wieder loszukommen.
Leserwertung0 Bewertungen
0
7
von 10