Martin Scorsese bei der Los Angeles Premiere von " Killers of the Flower Moon" (© Apple TV+)

Martin Scorsese [Interview]

Martin Scorsese ist ein US-amerikanischer Regisseur und Produzent. Jeder Filmfan und Kinofreund wird sicherlich schon einen der vielen Filme von ihm kennen. Die Liste an großen Titeln ist lang: Hexenkessel, Taxi Driver, Wie ein wilder Stier, Die Zeit nach Mitternacht, Kap der Angst, The King of Comedy, GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafias, Casino, Shutter Island, The Wolf of Wall Street, Aviator, Gangs of New York, The Irishman und Silence. Für Departed – Unter Feinden wurde mit einem Oscar in der Kategorie Beste Regie geehrt. Neben seiner Arbeit als Regisseur gilt Scorsese als Förderer junger Talente sowie als ein Kurator des Mediums Film, der bereits viele Werke des Kinos mitgeholfen hat, zu restaurieren und wieder einem Publikum zugänglich zu machen.

Sein neuer Film ist Killers of the Flower Moon, eine Verfilmung des gleichnamigen Sachbuchs von Autor David Grann über die Osage-Morde. Der für Apple TV+ produzierte Film läuft in Deutschland am 19. Oktober 2023 in den Kinos an. Im Vorfeld gab Martin Scorsese eine exklusive Online-Pressekonferenz, in der er über die Dreharbeiten, die Vorlage und die Zusammenarbeit mit den Osage spricht

 

Welche Schritte haben Sie und Ihr Team unternommen, damit die Osage korrekt im Film präsentiert werden?

Als man an mich mit dem Projekt herantrat, erinnerte ich mich an eine Zeit in den 1970ern. Damals hatte ich zum ersten Mal von der Lebenssituation der First Nations, unter anderem auch der Osage, erfahren. Damals war ich in meinen Zwanzigern und ich wusste nicht so recht damit umzugehen. Ich brauchte Jahre, um es zu verstehen und eine Faszination dafür zu entwickeln, was es heißt, sie und ihre Kultur ohne Klischees und respektvoll darzustellen. Man will natürlich auch nicht die Geschichte vom „edlen Wilden“ erzählen, wie es leider viele Filme gemacht haben.

Doch wie schafft man es jetzt, Respekt und Authentizität bei so einem Thema unter einen Hut zu bringen? Granns Buch schien mir diesen Balanceakt zu meistern. Ich fühlte das einfach.

Andererseits hat das Buch den Untertitel „Die Geburt des FBI“. Während ich noch mit den Dreharbeiten zu The Irishman beschäftigt war, arbeiteten Eric Roth und ich am Drehbuch. Nach einer Weile merkten wir, dass wir diesem Aspekt des Buches sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt hatten. Ich wollte aber, dass die Geschichte der Osage und ihrer Kultur einen ebenso hohen Stellenwert haben sollte wie die des FBI.

Diese Überlegungen fielen zusammen mit einer ersten Reise nach Oklahoma, in das Reservat der Osage. Dort trafen ich und mein Team Häuptling Standing Bear und seine Gruppe, bestehend aus Julie und Addie Roanhorse sowie Chad Renfro. Dieses Treffen hinterließ einen nachhaltigen Eindruck bei mir. Ich versprach ihnen, sie und ihre Kultur mit großem Respekt zu behandeln.

Ich hörte so viele Geschichten von ihnen. Ich hörte von Margie Burkhart, einer Verwandten von Ernest Burkhart, den Leonardo DiCaprio im Film spielt. Sie erzählte mir von Bill Hale, den Robert De Niro spielt, und wie er selbst seine besten Freunde ans Messer lieferte oder sogar umbrachte. Margie und die anderen erzählten mir all diese Geschichten, weil sie Vertrauen zu mir hatten, besonders nachdem sie Silence gesehen hatten.

Spätestens dann war für Eric und mich der Moment gekommen, in dem wir den Fokus des Drehbuchs verändern mussten. Die Geschichte wurde düster und es ging nicht mehr nur um die Frage, wer etwas getan hat, sondern ebenso um die stummen Mitwisser und Komplizen.

Sie haben bereits über Ihren ersten Besuch in Oklahoma für Killers of the Flower Moon gesprochen. Wann stand für Sie fest, dass Sie den Film auch dort drehen wollten?

Es muss 2019, noch vor dem ersten Lockdown, gewesen sein, dass ich das erste Mal nach Oklahoma kam. Ich war zu der Zeit in der Postproduktion zu The Irishman, ein langwieriger Prozess, der wesentlich mehr Zeit in Anspruch nahm als gedacht.

Ich bin ein New Yorker und fühle mich in der Großstadt wie zuhause. Als ich dann das erste Mal die Prärie Oklahomas erblickte, konnte ich mich nicht von ihrer Schönheit abwenden. Auch wenn es ein Klischee ist, war es eine einzige Idylle, mit langen Straßen, an deren Rändern sich die Prärie erstreckte. Man konnte Tiere wie Bisons oder wilde Pferde sehen. Ich überlegte auf diesen Fahrten schon, wie ich die Kamera positionieren würde, wie viel vom Himmel man sehen sollte und welche Einstellungsgröße ich nehmen würde.

Mir wurde aber zugleich klar, wie dieses Land wohl gewesen war vor hundert Jahren, zu der Zeit, in der die Geschichte von Killers of the Flower Moon spielt. Eine Landschaft, in der man auf keinen Menschen meilenweit trifft, gibt einem eine gewisse Freiheit. Man kann tun und lassen, was man will und das Gesetz nach eigenem Ermessen auslegen. Zumindest, wenn man schlau ist und sich geschickt anstellt. Ich wollte die Schönheit dieser Landschaft zeigen, doch auch die Dunkelheit, die sich dort abspielen konnte.

Können Sie erklären, wie Sie es geschafft haben, die Geschichte zum einen historisch korrekt darzustellen und zum anderen ihr eine emotionale Note zu verleihen?

Am Set hatten wir eine ganze Reihe von Beratern aus den Reihen der Osage, die uns zur Seite standen. Wenn es um die Durchführung eines Rituals ging oder um ein Detail wie die Namen von Babys, halfen sie uns.

Jedoch gab es bei all dieser Authentizität auch einen gewissen Freiraum. Unter den Osage gibt es zwei ganze Generationen, die sich anpassen mussten, um sich den weißen Europäern anzunähern oder weil sie zum Christentum übergegangen sind. Wenn sich die Experten nicht sicher waren, hatten wir etwas mehr Spielraum, den wir nutzen konnten.

In den letzten Jahren haben die Osage diese alten Traditionen, besonders die Sprache, übrigens wiederentdeckt. Wir hatten am Set Lehrer, die Lily Gladstone, Leonardo DiCaprio und Robert De Niro die Sprache der Osage beibrachten. Vor allem Robert fand so viel Gefallen an der Sprache, dass er mich bat, noch mehr Szenen in Osage zu drehen.

Lily Gladstone, die in Killers of the Flower Moon, Mollie, Ernest Ehefrau, spielt, hat mich ganz besonders beeindruckt. Wie kam es zu ihrer Besetzung?

Ich habe sie das erste Mal in Kelly Reichardts Film Certain Women gesehen und war begeistert von ihr. Als die Pandemie sich zu beruhigen begann, hatten wir ein Zoom-Meeting. Ich war von ihrer Intelligenz und ihrer Ausstrahlung beeindruckt. Man merkt, dass sich hinter ihren Augen etwas abspielt und eine emotionale Tiefe vorhanden ist. Das merkt man in Szenen wie dem Abendessen mit Leos Figur, wenn sie ihn richtiggehend verhört. Sie erkennt, dass er vor allem an Geld interessiert ist, was er ja dann auch bestätigt.

Das zeigt sich auch in den leichten Momenten des Filmes. Wenn Mollie und Ernest im Auto sind, fragt er, wer wohl beim Pferderennen sein wird. Sie antwortet auf Osage, was er nicht versteht. Als sie auf seine Nachfrage hin immer noch Osage spricht, meint er, sie immer noch nicht ganz zu verstehen, aber sie wahrscheinlich von einem gutaussehenden Mann spricht, was sie zum Lachen bringt.

Lily half uns dabei, die Geschichte der Frauen unter den Osage zu erzählen. Diese Momente sind nur ein paar Beispiele dafür, aber im fertigen Film sind noch viel mehr.

Killers of the Flower Moon
Robert De Niro und Leonardo DiCaprio in „Killers of the Flower Moon“ (© Apple TV+)

Mit Robert De Niro und Leonardo DiCaprio haben Sie schon viele Male zusammengearbeitet. Was macht ihre Arbeit in Killers of the Flower Moon besonders?

Robert kenne ich, seit ich Teenager bin, und wir vertrauen einander. Es gibt viele Schauspieler mit Macht in der Filmindustrie und er ist sicherlich einer davon. Sie können dir deinen Film wegnehmen, doch Robert würde das nie tun. Er gibt mir aber Ratschläge, wenn auch nur selten. Einer davon war, sich einen jungen Schauspieler anzusehen, mit dem er This Boy’s Life gedreht hatte und dessen Leistung ihn sehr beeindruckt hatte. Als ich dann dabei war, Gangs of New York vorzubereiten, entschloss ich mich, endlich diesen Rat anzunehmen.

Bei Aviator und besonders bei Departed merkte ich, wie ich mit ihm eine ebensolches vertrauen aufbaute wie zu Robert, obwohl uns dreißig Jahre Lebenserfahrung trennen. Wir haben sehr ähnliche Geschmäcker. Manchmal will er mit einen Film zeigen oder eine Platte vorspielen, die ihn sehr begeistert. Ich kenne die meisten davon schon sehr lange und bin teilweise mit ihnen aufgewachsen. Seine Neugier und seine Begeisterung für diese Sachen finde ich toll und sie zeigen, was für ein Mensch er ist.

In der Szene im Gefängnis merkt man, was für tolle Schauspieler beide sind. Nach all dem, was sich ihre beiden Figuren gesagt und angetan haben, denkt man eigentlich, dass es nichts mehr gibt als nur noch zu schweigen. Doch dann überraschen sie einen mit einem solchen Moment.

Musik ist ein essentieller Teil Ihrer Filme, die gleichsam einen gewissen Rhythmus haben. Welche Musik hat Killers of the Flower Moon beeinflusst?

Das stimmt. Die Boxszenen in Wie ein wilder Stier sind von der Ballettszene in Die roten Schuhe beeinflusst. Alles wird aus der Sicht der Tänzerin gezeigt und in meinem Film sollte man alles aus der Sicht Jakes La Mottas sehen. Die Art und Weise, wie The Band ihren Song The Weight spielt, war ausschlaggebend dafür, wie ich sie für The Last Waltz filmen würde. In den Filmen von Alfred Hitchcock und John Ford findet man einen ebensolchen Rhythmus. Man muss nur einmal den Ton abstellen, wie ich es manchmal mache, und man wird sehen, was ich meine.

Killers of the Flower Moon ist wie ein Bolero, hat man mir gesagt. Er bewegt sich kreisförmig, zunächst ganz langsam, doch wird dann immer schneller und steuert unaufhörlich auf einen Höhepunkt hin. Die Musik, die mich am meisten während der Produktion des Film beeinflusst hat, war sicherlich Robbie Robertsons, besonders die Art und Weise, wie es Bässe einsetzt, um Akzente zu setzen. Wenn Ernest Mollie das erste Mal nach Hause bringt und sie sich zu ihm umdreht, dann merkt man, wie der eigene Herzschlag immer schneller wird. Ich wollte für diesen Moment etwas, das sexy klingt aber zugleich gefährlich und all das fand ich bei Robertson.

Vielen Dank für das Gespräch.



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