Monster im Kopf
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Monster im Kopf

Monster im Kopf
„Monster im Kopf“ // Deutschland-Start: 9. November 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Sandra (Franziska Hartmann) sitzt im Gefängnis. Warum, erfahren wir lange nicht. Aber eines ist unübersehbar: Die junge Frau ist hochschwanger. Die Geburt steht unmittelbar bevor und Sandra muss ganz allein mit ihrer Lage klarkommen. Sie will nicht, dass Freund Miki (Slavko Popadić) sie so sieht. Und die pflegebedürftige Mutter (Martina Eitner-Acheampong) kann aus Gründen, die hier nicht verraten werden sollen, ebenfalls keine Stütze sein. Aber Sandra, die früher im Schlachthof arbeitete, ist hart im Nehmen. Beharrlich kämpft sie dafür, nach der Geburt mit ihrem Baby im offenen Vollzug zusammen sein zu dürfen und eine Adoption zu vermeiden. Wären da nur nicht die plötzlichen Wutausbrüche, die vieles wieder kaputt machen, was sich Sandra hart erarbeitet hat. Unvorstellbares Glück und bodenloses Leid liegen eng beieinander im dokumentarisch angehauchten, tief berührenden zweiten Kinospielfilm von Regisseurin Christina Ebelt.

Eine Löwin

Schon der erste Blick in Sandras Gesicht lässt das titelgebende innere Monster spüren. Während auf der Tonspur dissonante Streicher Unheil ankündigen, zeigt die halbnahe Aufnahme Augen, die vor Zorn lodern, und Backenknochen, zum Zerreißen angespannt, die den brodelnden inneren Vulkan nur mit Mühe bändigen. „Ich habe alles gemacht: Therapie, Deeskalationstraining, Gruppenübungen“, wird Sandra wenig später sagen. Was sie aber nicht davon abhält, gleich wieder loszubrüllen, wenn das Gespräch nicht nach ihren Wünschen verläuft. Die Leiterin des offenen Vollzugs, mit der sie hier spricht, hat ihre Akte vor sich. Und daraus wird klar ersichtlich, dass Sandra ein Risiko darstellt: Zu schnell schlägt sie zu, zu plötzlich brennen alle Sicherungen durch. Die junge Frau weiß dann nicht mehr, was sie tut. Wie kommt das? Ein psychischer Defekt? Eine Charakterstörung? In Rückblenden wird der Film die Ursachen aufblättern und ein tiefes Mitgefühl für die werdende Mutter erzeugen, die anfangs nicht unbedingt zum Sympathieträger taugt.

Der Fokus der sensiblen Porträtstudie rückt damit weg vom Aggressionsthema und hin zu einer bewundernswert starken Frau, die für ihr Kind zur Löwin wird. Das erinnert stark an Christina Ebelts Kinodebüt Sterne über uns. Auch hier spielte Franziska Hartmann eine Mutter, die in einer Extremsituation um ihr Kind kämpft. Weil ihre Figur ihre Wohnung verloren hat und der Job als Flugbegleiterin vorerst nur auf Probe ist, wohnt sie mit ihrem Sohn in einem Zelt im Wald, ohne nach außen den Anschein eines ganz normal geregelten Lebens mit Schule und Beruf aufzugeben. Geschildert wird das in einer unspektakulären und dadurch umso bewegenderen Inszenierung ohne jegliches Sozialklischee. Sterne über uns hat mit Monster im Kopf eine Menge gemeinsam: die Anklänge ans Dokumentarische, die kraftvolle Milieuschilderung und die hingebungsvolle Zuwendung zu einer Mutter, die ihr Kind bedingungslos über alles stellt.

Hohe Authentizität

Franziska Hartmann in der Hauptrolle kann man gar nicht genug loben. Auch wenn sie meist stumm und verschlossen ist, lassen Mienenspiel und Körpersprache eine extreme Spannbreite von Emotionen durchschimmern: höchstes Glück, tiefste Verzweiflung und alles dazwischen. Wie sie vor der Tür ihrer Mama steht, die sie täglich pflegen muss, und versucht, die innere Anspannung ganz wortwörtlich abzuschütteln, wird man so schnell nicht vergessen. Hier herrscht ein höchst problematisches Mutter-Tochter-Verhältnis, das sieht man sofort in aller Deutlichkeit, auch wenn die Gründe dafür nicht benannt werden und keine Psychologisierung stattfindet. Die Darstellerin schlüpft in die Haut dieser Schlachthof-Arbeiterin, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.

Zur Authentizität des Schauspiels kommt die Echtheit der Krankenschwestern, Ärzte und Polizisten hinzu. Gedreht wurde unter Realbedingungen mit Laiendarstellern, die in diesen Berufen arbeiten. Dadurch sitzt jeder Handgriff, das An- und Ablegen der Handschellen, der distanzierte, wenn auch nicht unfreundliche Umgang, die winzige menschliche Regung bei der Polizistin im Dienst, als das Baby geboren ist. Der Anklang ans Dokumentarische ist dabei kein Selbstzweck, sondern trägt enorm zur Glaubwürdigkeit dieses extremen Mutterschicksals bei. Ein Glücksmoment wie der, wenn das unter dramatischen Bedingungen geborene Baby zum ersten Mal an Sandras Brust gelegt wird, bringt dadurch die Leinwand regelrecht zum Leuchten. Man darf gespannt sein, welchen Film Christina Ebelt als nächsten drehen wird. Vielleicht wird es ja eine Trilogie von Müttern in Extremsituationen.

Credits

OT: „Monster im Kopf“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Christina Ebelt
Drehbuch: Christina Ebelt
Musik: Jannik Giger, Tobias Koch
Kamera: Bernhard Keller
Besetzung: Franziska Hartmann, Slavko Popadić, Martina Eitner-Acheampong, Christian Erdmann, Michael Kamp, Antje Lewald

Bilder

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Monster im Kopf
fazit
„Monster im Kopf“ erzählt von einer werdenden Mutter, die ihre unterdrückte Wut nur schwer bändigen kann. Regisseurin Christina Ebelt besticht wie schon in ihrem Kinodebüt „Sterne über uns“ durch die Echtheit von Darstellung und Umfeld.
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