Plan 75
© Fugu Filmverleih
„Plan 75“ // Deutschland-Start: 12. Oktober 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Es gibt zu viele Menschen. Es gibt vor allem zu viele alte Menschen, die nichts mehr für die Gesellschaft tun, sondern nur auf deren Hilfe angewiesen ist. Zumindest ist die japanische Regierung dieser Auffassung, als sie das Programm PLAN 75 beschließt. Dieser sieht vor, dass älteren Leuten beim Selbstmord geholfen wird, inklusive vieler organisatorischer Aufgaben wie der Beerdigung. Eigentlich will Michi (Chieko Baisho) das nicht, auch mit 78 fühlt sie sich fit. Da sie aber gerade ihre Arbeit verloren hat und auch ihre Wohnung verlieren wird, ist das mit dem frühen Tod für sie verführerisch. Also informiert sie sich und wird, ehe sie sich versieht, von Yoko (Yumi Kawai) betreut, die für PLAN 75 arbeitet. Das tut auch Hiromu (Hayato Isomura), aus Überzeugung sogar, bis sein eigener Onkel Yukio (Taka Takao) das Programm in Anspruch nehmen möchte. Für die philippinische Pflegerin Maria (Stefanie Arianne) ist die Arbeit dort hingegen eine Notwendigkeit, weil ihre derzeitige Bezahlung nicht ausreicht …

Kampf gegen die Überalterung

Je wohlhabender eine Gesellschaft ist, umso eher sinkt die Geburtenrate, weshalb irgendwann das Verhältnis zwischen Jungen und Alten nicht mehr stimmt. Das lässt sich in vielen Ländern beobachten, seien es die USA oder Europa. Und natürlich auch in Asien. China und Südkorea kämpfen aktuell ebenso verzweifelt wie hilflos gegen die Überalterung an. Besonders früh war das Phänomen in Japan zu beobachten, weshalb es immer mal wieder in Filmen thematisiert wird.  Roujin Z erzählte beispielsweise bereits vor über 30 Jahren davon, dass da ein ganz großes Problem ansteht. In dem Science-Fiction-Anime sollten automatisierte Pflegebetten das Problem lösen – und wurden dann selbst zum Problem. Ganz so futuristisch wird es in Plan 75 nicht. Dafür ist das Geschehen so nah am Alltag, dass es einen schon mal ein wenig frösteln darf.

Tatsächlich sind die Diskussionen, die immer wieder über das Raufsetzen des Rentenalters geführt werden, eine logische Vorstufe zu der Idee in Plan 75. Beides basiert auf der Überzeugung, dass die Zahl der Leistungsempfänger reduziert werden muss. Und wenn man Aussagen während der Corona-Pandemie oder aktuell an Stammtischen zum Sozialsystem in Deutschland hört, gibt es nicht wenige, die am liebsten alle Schwachen beseitigen würden, bevor sie einem zur Last fallen. Dass ausgerechnet ein japanischer Film das weitertreibt, ist naheliegend. Kaum eine Gesellschaft ordnet derart stark das Individuum der Allgemeinheit unter. Das Perfide an der Geschichte von Regisseurin und Co-Autorin Chie Hayakawa: Die Alten müssen nicht einmal hingerichtet werden. Es reicht, den sozialen Druck so weit zu erhöhen, bis sie freiwillig sterben wollen.

Ruhig erzähltes und sehr menschliches Drama

Aus diesem Stoff hätte man leicht einen dystopischen Thriller machen können. Stattdessen ist Plan 75 ein erstaunlich ruhig erzähltes Drama. Zum Ende hin erhöht Hayakawa zwar ein wenig die Intensität, wenn das zuvor noch abstrakt erscheinende Thema des Todes dann doch ziemlich konkret wird. Ansonsten aber beschränkt sich der Film, der 2022 bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte, auf Dialogsituationen. Berührend sind beispielsweise die Momente zwischen Michi und Yoko, wenn sie sich aufgrund der Beratungen näherkommen. Und dann wären da noch die vielen Szenen, in denen gar nicht gesprochen wird, die Filmemacherin allein auf die Bilder und die Ausdruckskraft ihres Ensembles vertraut.

Auch die sind von einer großen Menschlichkeit geprägt. Hayakawa erzählt davon, in einer Zeit, in der es nur noch auf die Nützlichkeit des Individuums ankommt, andere Werte nicht zu vergessen. Immer wieder finden sich inmitten der pragmatischen Gefühlskälte Momente des Glücks, ohne es sich auf Kitsch gemütlich zu machen. Da reichen kleine Gesten oder auch eine Karaoke-Einlage, um sich gegen die auferlegte Entmenschlichung aufzulehnen. Lösungen auf die Grundproblematik der sich verschiebenden Gesellschaftszusammensetzung hat Plan 75 dabei nicht. Aber es ist doch ein schönes Plädoyer, inmitten des Zahlengeschiebes nicht zu vergessen, dass Menschen mehr sind als ein Kostenfaktor.

Credits

OT: „Plan 75“
Land: Japan, Frankreich, Philippinen, Katar
Jahr: 2022
Regie: Chie Hayakawa
Drehbuch: Chie Hayakawa, Jason Gray
Musik: Rémi Boubal
Kamera: Hideho Urata
Besetzung: Chieko Baisho, Hayato Isomura, Taka Takao, Yumi Kawai, Stefanie Arianne, Hisako Okata

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Plan 75
fazit
Wenn Menschen jenseits der 75 zum Selbstmord genötigt werden, klingt das nach einem dystopischen Thriller. Stattdessen ist „Plan 75“ ein ruhiges Drama, das in einer Zeit der rücksichtlosen Entfremdung wieder auf die Bedeutung des Miteinanders hinweist und einige schöne Momente zu bieten hat, ohne sich auf Kitsch auszuruhen.
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