Nach einem Autounfall gehen merkwürdige Dinge mit Erik (Daniel Littau) vor. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wird, kommt er bei seiner Schwester Katharina (Silviana Ursu) unter, aber auch dort hören seine Halluzinationen nicht auf. Er weiß nicht, dass der alte Schlossturm, an dem er seinerzeit vorbeifuhr, Ort einer Dämonenbeschwörung war. Ebensowenig weiß er, das der Dämon von ihm Besitz ergriffen hat …
Melancholische Musik
Bei der Besprechung von Rapunzels Fluch – Sie will Rache kam die Musik noch mit am besten weg. Nach in manchen Kreisen verbreiteter Lehrmeinung ist eines der größten Komplimente für einen Filmkomponisten, wenn die Musik gar nicht separat wahrgenommen wird. Im besten Fall verschmilzt sie nämlich mit den Bildern zu einer Einheit und wird nicht mehr bewusst als einzelnes Element identifiziert. Tatsächlich fiel sie im ersten Teil nicht weiter auf, schon gar nicht störend. Im zweiten Teil nimmt sie eine deutlich prominentere Präsenz ein – obwohl sie sich manchmal sogar eigentlich zurücknimmt. In einer Szene etwa, in der Erik und Katharina zu Abend essen, ist die Musik auf ein Piano reduziert, welches so sparsam spielt, dass die Pausen zwischen den gespielten Akkorden mehr Platz einnehmen als die Töne selbst.
Die Atmosphäre bekommt dadurch etwas Melancholisches, Einsames und Verlassenes, wobei hier und da auch leicht unheimliche Untertöne durchscheinen. Befremdlich wirkt dabei, vor allem in Bezug auf den Minimalismus der Musik, dass die wenigen Akkorde doch sehr in den Vordergrund gemischt sind, also übermäßig laut daherkommen. Das Instrument wirkt beinahe wie eine dritte Person im Raum, die ab und an die Gesprächspausen gefühlvoll mit ihrem musikalischen Gesprächsbeitrag füllt, an anderen Stellen jedoch forsch dazwischen plappert und damit die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Im Ton vergriffen?
Auch in späteren Szenen setzt die Musik auf Minimalismus. Genauer gesagt spielen hier einzelne Instrumente (etwa Piano oder Violen) getragene Intervalle. Wer einigermaßen mit den Grundlagen der Musiktheorie vertraut ist, weiß dass Halbtöne Spannung und Unwohlsein erzeugen, und dass der Tritonus der wohl dissonanteste Intervall ist, den der musikalische Gemischtwarenladen so zu bieten hat. Beides scheint dem Komponisten Florian Linckus, welcher schon Teil eins vertonte, durchaus bewusst zu sein. Es bleibt hier jedenfalls nahezu konsequent unisono, wodurch der Zuschauer von einem Ton in den nächsten rutscht. Wäre das alles nicht so laut in den Dialog gemischt, fiele es vielleicht gar nicht unangenehm auf. Befremdlich (nicht auf die gewünschte Art) und ungewöhnlich wäre es allerdings weiterhin.
Der Ton an sich ist sowieso eine seltsame Angelegenheit in Rapunzels Fluch 2 – Sie ist zurück. Die eingangs erwähnte Szene beispielsweise endet mit einem Satz von Katharina, der im ersten Moment lediglich asynchron wirkt. Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch an ihren Lippenbewegungen erkennen, dass sie ihn gar nicht gesagt haben kann, sondern irgendetwas anderes von sich gab. Die Tonprobleme im ersten Teil ließen sich hauptsächlich auf widrige Umstände bei Außendrehs zurückführen, denen eine Independentproduktion generell nicht so viel entgegenzusetzen hat. In der Fortsetzung lässt sich für manches jedoch keine Erklärung finden. So stehen etwa manchmal zwei Charaktere in derselben Einstellung direkt nebeneinander, wobei einer klar und deutlich, der andere so gut wie überhaupt nicht zu verstehen ist. Das scheint auch nichts mit der entsprechenden Szene zu tun zu haben, sondern lässt sich konsequent bei den meisten Auftritten der betreffenden Figur feststellen.
Verbesserte Optik
Die Optik des Films hat sich im Vergleich zum Vorgänger stark verbessert. Mit Kameramann Micky Graeter hat sich Regisseur David Brückner jemanden ins Boot geholt, der etwas von seinem Handwerk versteht. Um die eingangs erwähnte Szene erneut zu bemühen: Manchmal ist die Kamera zu nahe am Geschehen, um die gewünschte Stimmung richtig zu kolportieren, allerdings ist das ein Problem, das in der Postproduktion entstanden ist. Am Set wissen ja die wenigsten, wie die Sache hinterher geschnitten und vertont wird. Vor allem die großen Einstellungen sind aber gelungen, für einen unabhängigen Film ist das hier alles schon ziemlich nah am Fernsehniveau.
Die von Brückner gegründete Produktionsfirma Ghost Pictures feierte kürzlich ihr zwanzigjähriges Bestehen. Beinahe pünktlich zum Jubiläum legt der Regisseur seinen mittlerweile sechsten Langfilm vor. Er schafft es auch wieder, einen kleinen Gastauftritt zu absolvieren, obwohl seine Figur im ersten Teil den Tod fand. Das ist aber gut gelöst; für treue Fans hat er dabei sogar einen selbstironischen Seitenhieb eingebaut, der auch den Rezensenten zum Schmunzeln brachte, der sonst mit dieser Art Selbstreferenzialität im deutschen Independentfilm nicht viel anfangen kann. Später im Film wird das noch einmal wiederholt, und da ist es halt schon wieder nicht mehr lustig. Über die Werke des gebürtigen Sachsen lässt sich ja viel Negatives sagen, es muss hier aber auch einmal festgehalten werden, dass sich in seiner Filmographie eine stetige Steigerung erkennen lässt.
Schauspielerisch verbessert
Was Brückner ebenfalls zugesprochen werden muss, ist sein glückliches Händchen bei der Besetzung der weiblichen Hauptrolle. Mit Tabea Georgiamo (Rapunzels Fluch – Sie will Rache; hier schlüpft sie für eine Nebenrolle auch wieder in die Haut der Alina Grimm), Kiana Klysch (Der Wolf und die 7 Geißlein – Theater des Todes) und nun Silviana Ursu ist ihm da ein formidabler Hattrick gelungen. Es bleibt diesen Damen nur zu wünschen, dass sie nicht zu lange im deutschen Independentsumpf steckenbleiben. Was sie unter vernünftigen Bedingungen für Leistungen erbringen mögen, könnte durchaus beachtenswert sein. Dem restlichen Cast sollen gütigerweise ebenfalls die teils recht amateurhaft geschriebenen Dialoge als Ausrede zugutegehalten werden, aber es wäre auch keine Überraschung, wenn davon niemand den Sprung in die großen Produktionen schafft. Insgesamt hat das Schauspiel im Vergleich zum ersten Teil aber schon ein Upgrade erfahren.
Was sich darüber hinaus feststellen lässt, ist die größere Ernsthaftigkeit, mit welcher dieses Projekt angegangen wurde. Der Vorgänger war von zu viel Humor geprägt, zu viel schlechtem Humor vor allem. Auch die Umsetzung wirkte oft schludrig. Hier nun ist der Komödienaspekt deutlich zurückgenommen, wodurch die einzelnen witzig gemeinten Stellen ihre Wirkung etwas stärker entfalten können. Die Herangehensweise zeugt ebenfalls von einer gewissen professionellen Ambition, die sich so bei Brückner eigentlich erst seit Der Wolf beobachten lässt.
Seitenhieb auf YouTuber
Die Einstiegssequenz gehörte bei Rapunzels Fluch zu den besseren Momenten, hier ist sie missglückt. Zwei YouTuber (Sebastian Prenzel, Asia Luna Mohmand) wollen den Ereignissen aus dem Vorgängerfilm auf den Grund gehen. Diese Charaktere sind fast so unsympathisch, wie das von ihnen gezeigte Video katastrophal geschnitten und im Film präsentiert ist. Wer nichts über den Streifen weiß, muss zunächst davon ausgehen, dass das hier die neuen Protagonisten sein sollen. Verleitete die Eröffnung im ersten Teil zum Weiterschauen, drängt sich hier eher der Wunsch auf, alsbald abzuschalten wenn das alles so weitergeht. In dieser Hinsicht kann hier gleich Entwarnung gegeben werden, da sich die Figuren relativ rasch wieder aus der Story verabschieden. Die Szenen wirken auch deshalb nicht aus der Notwendigkeit einer Einleitung heraus geschrieben, sondern eher wie ein – dieses Mal keinesfalls ironisch gemeinter – Seitenhieb auf nervige YouTube-Gestalten. Mit einigen davon hat Brückner bei vergangenen Projekten zusammengearbeitet, hier fallen sie angenehm durch Abwesenheit auf. Rapunzels Fluch 2 ist ein paar Minuten kürzer als der Vorgänger, hat aber genauso mit Leerläufen und zu behäbigem Pacing zu kämpfen.
Während professionellen Produktionen wie beispielsweise Vaterfreuden aus welchen Gründen auch immer zuvorkommend eine Altersfreigabe vergönnt wird, die deutlich unterhalb der angebrachten liegt, legt die FSK bei Independentproduktionen ihre Bewertungskriterien ganz gerne einmal überkorrekt aus. Nun soll hier natürlich schon rein aus rechtlichen Gründen keine Absicht bei dieser Vorgehensweise unterstellt werden, zumal „die FSK“ ja auch aus verschiedenen Mitarbeitern besteht, welche die Vorgaben je nach eigener Fasson und Tagesform unterschiedlich auslegen könnten. Unangebrachte Strenge schadet dem Independentfilm jedoch, da sie sein inhärent schon kleineres Publikum weiter beschneidet. Im zweiten Teil verzichtet Brückner erfreulicherweise auf unnötig gezeigte nackte Haut, noch erbaulicher ist jedoch, dass der Film eine FSK16 zugestanden bekommen hat. Das war angesichts des dritten Aktes unter den geschilderten Umständen nicht zu erwarten.
Liebevolle Handarbeit
Der finale Akt bringt zwar wieder einige Drehbuchschwächen mit sich, trumpft dafür aber splattermäßig und tricktechnisch auf. Dass Rapunzel diesmal von Sabine Heinen (und nicht wie im Vorgänger von Olivia Dean) verkörpert wird, fällt dank des hervorragenden Makeups wohl nur den alleraufmerksamsten Zuschauern auf, zumindest wenn nicht beide Teile direkt hintereinander gesichtet werden. Ohne zu viel vorwegzunehmen, muss doch gesagt werden, dass hier einiges an liebevoller Handarbeit in einige der Szenen gesteckt wurde.
Fortsetzungen sind bei den großen Produktionen an der Tagesordnung. Im Independentbereich sind sie zwar keinesfalls ohne Beispiel, aber ebensowenig die Norm. Brückner selbst hat sich vor Rapunzels Fluch 2 – Sie ist zurück noch nie an einer versucht. Innerhalb eines gewissen Rahmens betrachtet ist Rapunzels Fluch 2 ein ziemlich kluges Sequel: Der Film lässt sich problemlos ohne Kenntnis des ersten Teils sichten, entsprechendes Vorwissen führt jedoch zu einigen Aha-Momenten und bereichert die Rezeption. Einiges hier wirkt dann auch so wie eine Art Remake, eine Art Neuanfang, der es ermöglicht, alte Fehler zu beheben. So ist etwa der Bezug zu den Brüdern Grimm stärker betont, aber auch das kann natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der Filmreihe in keinster Weise um eine Weiterführung des entsprechenden Märchens handelt.
OT: „Rapunzels Fluch 2“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: David Brückner
Drehbuch: Mario von Czapiewski
Musik: Florian Linckus
Kamera: Micky Graeter
Besetzung: Silviana Ursu, Daniel Littau, Tabea Georgiamo, Sabine Heinen, Asia Luna Mohmand, Malina Stark, Sebastian Prezel, Jürgen J. Straub, Valentin Kleinschmidt, Jacob F. Schmiedel, Jörg Flessa, Sarah von Chamier, David Brückner, Sebastian Walter
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