Liam Somers (Daryl McCormack) kann sein Glück kaum fassen: Er darf als Hauslehrer Bertie Sinclair (Stephen McMillan) unterrichten soll diesen auf seine Universitätsprüfung vorbereiten. Dabei geht es dem Absolventen der englischen Literaturwissenschaft weniger um den Jugendlichen selbst. Vielmehr erhofft er sich, dessen Vater J.M. Sinclair (Richard E. Grant) näherzukommen. Nicht nur, dass der zurückgezogen lebende Autor sein großes Idol ist und Inhalt seiner Dissertation. Liam arbeitet zudem selbst an einem Roman und hätte J.M. gern als seinen Mentor. Ganz so einfach wie gedacht ist das aber nicht. Das Zusammenleben mit dem Schriftsteller, seiner Frau Hélène (Julie Delpy) und dem Sohn gestaltet sich schwierig, auch weil innerhalb der Familie selbst einiges im Argen zu liegen scheint …
Der Schrecken des Lehrberufs
Es gehört zu den immer wieder gern verwendeten Szenarien in Thrillern oder Horrorfilmen: Die Hauptfigur wird von einer reihen Familie engagiert, um irgendeine Arbeit zu erfüllen, und kommt auf diese Weise irgendwelchen düsteren Geheimnissen oder schmutzigen Machenschaften auf die Spur. Ganz hoch im Kurs stehen dabei irgendwelche erzieherischen oder Lehrtätigkeiten. Da wäre beispielsweise der Klassiker Schloss des Schreckens, wo eine Frau in ein unheimliches Landhaus zieht, um dort als Gouvernante zu arbeiten. Vor einigen Wochen erschien The Tutor, bei dem ein Privatlehrer einen Alptraum erlebt. Nun startet mit The Lesson ein weiterer Genrebeitrag im Kino, wo ein solcher Privatlehrer mehr erfährt, als er ahnen konnte.
Wobei das hier in eine etwas andere Richtung geht als die Titel oben. Ein großer Unterschied: Wo meistens die Geheimnisse mit einer Gefahr für die Hauptfigur eingehen, fehlt das hier. Zu keiner Zeit wird Liam bedroht. Das größte Risiko ist noch, dass sein Idol sein Buch schlecht finden könnte. Zudem kann er zu jeder Zeit gehen. Klar hat er den Vertrag unterschrieben, der es ihm auch untersagt, außerhalb des Anwesens über seine Erfahrungen zu sprechen. Das war es aber auch schon. Insofern könnte The Lesson bei manchen Zuschauern und Zuschauerinnen falsche Erwartungen wecken. Es geschieht hier relativ wenig, nur zum Ende hin tritt der Film ein bisschen aufs Gaspedal. Aber selbst das ist recht harmlos und schnell vorbei.
Die Konstruktion von Wahrheit
Das heißt aber nicht, dass es hier keine Spannung gibt. So macht Regisseurin Alice Troughton, die zuvor an Serien wie Bagdad nach dem Sturm oder The Living and the Dead gearbeitet hat, früh klar, dass etwas bei dieser Familie nicht stimmt. Der Lehrer darf dabei – gemeinsam mit dem Publikum – viel spekulieren, was da genau los ist. The Lesson hat da eine schön mysteriöse Stimmung. Wobei diese Spurensuche nicht im Mittelpunkt steht. Vielmehr geht es hier viel um die dysfunktionale Familie und deren Verhältnisse untereinander. Darauf wird auch mehr Wert gelegt als den eigentlichen Protagonisten. Der ist zwar die Identifikationsfigur des Publikums, darf als Stellvertreter ins Wespennetz stechen. Er ist aber über weite Strecken nur ein Mittel zum Zweck, das nicht weiter vertieft wird. Der Klassenkonflikt, der im Szenario angelegt ist, schwingt auch nur ein wenig mit.
Interessant ist dafür der Konflikt der Egos und wie hier Wahrheit konstruiert wird. Wenn Menschen Geschichten erzählen, verschwimmen die Grenzen mitunter recht schnell. Da wird dann nicht nur ein Buch geschrieben, sondern auch im wahren Leben liegen Fakt und Fiktion eng beieinander. Was wahr ist, wird bestimmt, ohne dass andere immer ein Mitspracherecht hätten. Auch das ist ein Aspekt, der gern noch hätte weiter vertieft werden dürfen. Aber selbst ohne das ist der Thriller, der auf dem Tribeca Film Festival 2023 Premiere hatte, sehenswert. The Lesson lockt dabei nicht nur mit einem stimmungsvollen Setting, das weitläufig ist und zugleich wie eine Bühne wirkt. Gerade auch das Ensemble trägt dazu bei, dass man hierauf mal einen Blick werfen darf.
OT: „The Lesson“
Land: UK, Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Alice Troughton
Drehbuch: Alex MacKeith
Musik: Isobel Waller-Bridge
Kamera: Anna Patarakina
Besetzung: Richard E. Grant, Julie Delpy, Daryl McCormack, Stephen McMillan
Tribeca Film Festival 2023
Filmfest Hamburg 2023
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