Zusammen mit Ronald D. Moore haben Ben Nedivi und Matt Wolpert die Serie For All Mankind erschaffen, deren vierte Staffel am 10. November 2023 bei Apple TV+ startet. Sie überwachen die inhaltliche Ausrichtung der Serie als ausführende Produzenten. Kennengelernt haben sie sich 2007, als sie gemeinsam dem Autorenstab der HBO-Serie Entourage angehörten. In den folgenden Jahren schrieben sie zusammen an Drehbüchern für Serien wie Fargo, American Crime Story: The People vs. OJ Simpson und The Umbrella Academy. Zum Start der vierten Staffel von For All Mankind haben wir uns mit ihnen über die inhaltliche Ausrichtung der Serie, den Alltag auf dem Mars und die Auswahl der Lieder für die Serie unterhalten.
Die Handlung jeder Staffel von For All Mankind ist um ein zentrales Element herum aufgebaut. In der ersten Staffel ging es um darum, als erster im Weltraum und auf dem Mond zu sein. Staffel zwei drehte sich dann um den Mond und Staffel drei darum, auf dem Mars zu landen. Wie würdet ihr die Handlung der vierten Staffel zusammenfassen?
Wolpert: Ich denke, im Kern handelt die Staffel davon, die Mineralienressourcen des Asteroidengürtels zu erforschen. Es ist ein Rennen um diese Ressourcen entbrannt und nun geht es sozusagen darum, wer das Gold als erster in die Finger bekommt.
Ich habe den Eindruck, dass sich die Serie mit dieser neuen Staffel etwas verändert hat. Die einzelnen Folgen bieten nun weniger große Krisen oder Katastrophen, dafür verlässt sich die Serie noch mehr auf interpersonelle Konflikte. Sie ist nun sozusagen weniger Soap Opera und mehr Drama als vorher. Würdet ihr dem zustimmen?
Nedivi: Wir mögen es auf jeden Fall, an jede neue Staffel etwas anders heranzugehen und uns nicht zu wiederholen. Der große Unterschied bei dieser neuen Staffel, auf den du hier vielleicht auch ansprichst, ist, dass wir zum ersten Mal eine Gruppe von Figuren einführen, die nicht typische Astronauten, Piloten, Ingenieure oder Wissenschaftler sind. Sie sind Arbeiter, die auf den Mars fliegen, um ihre Familien ernähren zu können, weil sich die Industrie auf der Erde im Niedergang befindet. Für uns als Autoren hat sich damit die Möglichkeit ergeben, Spannungen zwischen diesen beiden Seiten aufzubauen – zwischen den Arbeitern auf dem Mars und eben den Personen, die wir bisher immer in der Serie gesehen haben. Dadurch fühlt sich die Serie in dieser Staffel etwas anders an, was meiner Meinung nach gut ist. Denn immer, wenn man in Staffel drei, vier oder fünf einer Serie ankommt, ist es wichtig, es sich nicht zu bequem zu machen. Die größte Gefahr beim Schreiben ist es, es sich zu bequem zu machen. Das Gute an unserer Serie – und allerdings auch nicht sehr gesund für mich – ist, dass wir mit jeder Staffel wieder alles ändern müssen. Wegen der dazwischen liegenden Zeitsprünge ändern sich etwa die Sets und die Charaktere altern. Und was die Handlung betrifft, nehmen wir es uns ebenfalls zu Herzen, die Dinge nicht immer gleich bleiben zu lassen.
Wie sehr habt ihr denn schon vor dem Schreiben der Drehbücher für diese Staffel den Alltag auf dem Mars ausgearbeitet? Ich könnte mir vorstellen, dass ihr euch über solche Dinge wie die Essens- und Getränkeautomaten in der „Happy Valley“-Basis Gedanken gemacht habt. Hattet ihr eine lange Datei, in der das Leben in der Marsbasis beschrieben wird?
Wolpert: Wir haben darüber sehr viele Diskussionen geführt, das stimmt. Das Gespräch über die Essensautomaten war sehr lang. Im Grunde ging es uns vor allem darum, wie Handel an diesem Ort funktionieren würde. Wir sprachen zum Beispiel viel darüber, wie ein großer Flugzeugträger funktioniert, auf dem sich Tausend Menschen aufhalten. Da gibt es einen Laden, in dem man Sachen kaufen kann oder eine Kantine, in der man die Mahlzeiten einnimmt. Aber woher bekommt man Snacks? Woher kriegt man neue Hemden? Gibt es abgesehen von den offiziellen Versorgungskanälen auch einen Schwarzmarkt? Gibt es also eine andere Möglichkeit, an Dinge zu kommen, die man haben will – außerhalb der offiziellen Wege? Wir sprachen viel über die verschiedenen Arten, auf die eine Gesellschaft und Kultur von Grund her aufgebaut sind.
An der Stelle kommt wohl auch eine der neuen Figuren ins Spiel – Miles Dale, gespielt von Toby Kebbell. Er ist – wie ihr schon angedeutet habt – kein Astronaut oder Wissenschaftler, sondern ein einfacher Typ, der für sich und seine Familie den Lebensunterhalt verdienen will. Seine Erwartungen werden auf dem Mars allerdings nicht alle erfüllt. Ohne zu viel über die Handlung der Staffel zu verraten: Wie sehr haben euch beim Schreiben realweltliche Entwicklungen beeinflusst, wenn es um solche Dinge wie die Situation der Arbeiter auf dem Mars ging?
Nedivi: Jeder Autor wird von dem beeinflusst, was um ihn herum in der Welt passiert. Unsere Absicht war es nicht, das wiederzugeben, was im letzten Jahr in Hollywood passiert ist, denn tatsächlich haben wir diese Staffel schon vor zwei Jahren geschrieben. Da kamen wir gerade aus der Covid-Zeit und diese Gedanken an Arbeiter und Arbeiterrechte lagen einfach in der Luft. Aber vieles, was um Miles herum passiert, ergab sich für uns auch aus anderen Geschichten über die Erschließung neuer Welten. Die ersten Leute, die in einer neuen Welt ankommen – zum Beispiel in den amerikanischen Kolonien – sind oft die Arbeiter. Sie lassen zunächst ihre Familien daheim zurück und schicken ihnen Geld. Das ist im Verlauf der Geschichte so immer wieder passiert und passiert auch heute noch. Wenn es also um die Ressourcen auf dem Mars geht und sozusagen ein neuer Goldrausch entsteht, dann ergibt es für uns Sinn, dass dort Arbeiter gebraucht werden. Und das bringt dann wiederum Konsequenzen mit sich. Genau das war einer großer Antriebspunkt für unsere Handlung. Miles‘ Geschichte beginnen wir dabei ganz bewusst auf der Erde bei seiner Familie. So lernt man sein altes Leben kennen, bevor er auf den Mars fliegt. Als er dann auf dem Mars ist, kann man nachvollziehen, was es mit ihm macht, von seiner Familie getrennt zu sein und warum seine Erwartungen nicht erfüllt werden. Bevor die Leute früher nach Amerika kamen, dachten sie, die Straßen seien dort mit Gold gepflastert. Aber als sie dann ankamen, sahen sie, dass Müll auf den Straßen liegt und alles ganz anders war, als sie es sich vorgestellt hatten. Das ist eine Fehlwahrnehmung, die sich durch die Geschichte der Menschheit zieht und die wir in der Serie ansprechen wollten.
In der Serie spielt Musik immer wieder eine wichtige Rolle. Viele Episoden enden mit bekannten Pop- oder Rocksongs, die die Serie in der Realität verankern, obwohl For All Mankind ja gar nicht in unserer Realität spielt. Da ihr immer Lieder aus dem jeweiligen Jahrzehnt wählt, kann man über die Songs auch sofort einen zeitlichen Bezug herstellen. In der vierten Staffel sind zum Beispiel Lieder von Gorillaz oder Cat Power dabei. Wer wählt denn die Lieder aus – und wie?
Wolpert: Das passiert auf verschiedene Weisen. Oft schreiben Ben und ich schon konkrete Lieder, die wir verwenden wollen, in die Drehbücher. Das war zum Beispiel bei dem Nirvana-Song am Ende der zweiten Staffel der Fall oder bei Everybody Wants to Rule the World am Ende der ersten Staffel. Dann gibt es aber auch Stellen, wo wir einfach nur wissen, dass wir einen Song aus der Zeit in der Episode haben wollen. Wir schreiben dann ein paar allgemeine Hinweise ins Drehbuch. Unsere Music Supervisorin, Christine, wählt daraufhin die Musik aus. Manchmal trifft sie dabei schon mit dem ersten Song ins Schwarze, manchmal aber auch erst mit dem zehnten, den sie vorschlägt. Es geht immer darum, den richtigen Ton für den jeweiligen Moment in der Serie zu treffen und macht sehr viel Spaß. Allerdings muss ich sagen, dass die 2000er Jahre eine weniger gute Auswahl an Liedern boten. Es gab einfach nicht mehr die großen Hits, die einzelne Genres definiert haben und die Musiklandschaft hat sich damals ganz schön aufgesplittet. Außerdem werde ich allmählich nervös, weil wir ja in zukünftigen Staffeln irgendwann keine Lieder mehr zur Verfügung haben werden!
Genau das wäre meine nächste Frage gewesen! Was macht ihr, wenn die Serie irgendwann in den 2030ern spielt, aus denen wir ja noch keine Musik haben?
Nedivi: Matt und ich fangen dann einfach an, sämtliche Lieder selbst zu schreiben und zu singen!
Wolpert: Ich nehme schon Gitarrenunterricht.
Könnte es denn zum Problem werden, dass euch in der Serie die Charaktere ausgehen? Nicht in dem Sinn, dass ihr nicht schon genug Figuren habt. Aber wenn die Serie sechs oder sieben Staffeln lang läuft und mit jeder Staffel ein Jahrzehnt nach vorne springt, dürfte von den ursprünglich in Staffel eins eingeführten Figuren ja keine mehr am Leben sein. Macht ihr euch darüber Gedanken?
Nedivi: Andauernd. Und das ist auch so beabsichtigt. Schon als wir die Idee zur Serie hatten, wussten wir, dass wir am Ende nicht mehr alle Figuren dabeihaben würden. Und die meisten, die noch dabei sein würden, würden sich ganz schön verändert haben. Wir haben uns früh dazu entschieden, einen anderen Weg zu gehen als The Crown, wo die Charaktere zwischendurch neu besetzt werden. Unsere Absicht war es, bestimmte Darsteller fortwährend dabei zu haben und gleichzeitig immer wieder neue Charaktere einzuführen, wie etwa Dev in Staffel drei oder nun Miles. Wenn die ursprünglichen Figuren dann allmählich sterben oder in den Hintergrund treten, fühlt es sich für die Zuschauer nicht wie eine abrupte Veränderung an. Man kann immer noch an ein paar der liebgewonnen Figuren festhalten, während man andere verliert. Und so sehr wir das eben auch genau so beabsichtigt haben, ist es letztendlich doch viel schwerer durchzuführen, als wir uns gedacht hatten. Denn die Darsteller sind ja Leute, die wir zu lieben und respektieren gelernt haben. Ihnen dann zu sagen, dass ihre Zeit in der Serie vorbei ist, ist nicht einfach. Gleichzeitig ist es aber auch aufregend, gerade nun in der vierten Staffel. Denn es bedeutet, dass man Raum für neue Figuren schaffen kann. Eine Figure wie Miles Dale funktioniert nicht, ohne dass man erzählt, wo er herkommt. Das kann man nur tun, wenn man die Gesamtzahl der Charaktere einschränkt. Ich bin also nicht besorgt, dass uns die Charaktere ausgehen könnten, sondern eher, dass wir zu viele von ihnen bis zum Ende in der Serie behalten.
Vielen Dank für das Gespräch!
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