Irgendwie hatte sich Éléonore (Éléonore Saintagnan) das alles anders vorgestellt. Eigentlich war sie nur auf der Durchreise, als eine Autopanne sie dazu zwingt, unterwegs Halt zu machen und sich auf einem Campingplatz einzurichten. Wie lange kann es schon dauern, so ein Auto zu reparieren? Länger als sie denkt, an eine Weiterfahrt ist erst einmal nicht zu denken. Also beschließt Éléonore, das Beste aus der Situation zu machen und sich den Ort einmal genauer anzuschauen. Dabei lernt sie die unterschiedlichsten Leute kennen, erfährt ihre Geschichten. Eine davon betrifft einen gigantischen Fisch, der in dem See leben soll, der aber bislang trotz umfangreicher Suchaktionen nicht gefunden werden konnte …
Der Campingplatz als Mikrokosmos
So ein Campingplatz ist eigentlich ein sehr dankbarer Ort für Filme. Schließlich kommen dort die unterschiedlichsten Leute zusammen, leben auf einem vergleichsweise engen Raum zusammen und begegnen sich dabei über einen längeren Zeitraum. Das ist ideal, um Geschichten zu erzählen, bei denen es sehr menschelt und bei denen man mit starken Kontrasten arbeiten kann. Der Campingplatz als Mikrokosmos. Und doch ist die Ausbeute an Filmen recht überschaubar, die sich dieses Potenzial zunutze machen. Da ist natürlich die Fernseh-Reihe Malibu, die gerade erst mit Mein Traum, dein Traum in die fünfte Runde startete. Doch dort nimmt man zu oft übertriebenes Drama, anstatt sich auf die Figuren zu konzentrieren. Die Fernsehkomödie Mein Schwiegervater, der Camper setzte zwar auf überzeichnete Figuren, nervte aber mit einfallslosem Humor. Deutlich interessanter ist da schon Camping du Lac, eine belgisch-französische Coproduktion.
Wobei diese mit den deutschen Kolleginnen von oben nur bedingt zu vergleichen ist. Während Letztere auf ihre Weise recht übertrieben waren und gerne zuspitzen, um das Publikum zu fesseln, da mag es Éléonore Saintagnan, Regisseurin, Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin in Personalunion, gern etwas naturalistischer. Dass sie zuvor dokumentarische Werke gedreht hat, merkt man hier. Gemeinsam mit ihrem Laien-Ensemble wandelt sie hier an der Grenze des Fiktionalen und des Realen. Zwischendurch könnte man ihr Langfilmdebüt Camping du Lac tatsächlich selbst für einen Dokumentarfilm halten. Saintagnan weckt das Gefühl, auf einem realen Campingplatz abgestiegen zu sein und dort ein paar Tage zu verbringen.
Ursprünglich und magisch
Und doch sind da immer wieder Momente, in denen der Film in einer Parallel- oder Wunderwelt abzugleiten scheint. Da ist vor allem natürlich die Geschichte des Riesenfischs, der irgendwann mit dem Monster von Loch Ness verglichen wird. Da geht es um das Mythische, um das Lust an Legenden und dem Erzählen überhaupt. Camping du Lac hat da schon etwas Magisches. Aber eben auch etwas Komisches: Obwohl hier mit der besagten dokumentarischen Anmutung gearbeitet wird, kann es auch recht schräg werden. Man kann sich nie ganz sicher sein, was Saintagnan von dem Gesagten nun ernst meint und was nicht. Die Grenzen sind fließend. So fließend, dass es zuweilen auch verwirrend sein kann.
Aber eben auch spaßig und unterhaltsam, sofern man sich auf das alles einlassen kann. Das gerade mal 70 Minuten lange Werk, welches das Transit Filmfest 2023 eröffnet, nimmt uns mit auf eine Reise ins Ursprüngliche. Definitive Antworten gibt es dort aber nicht, selbst dann nicht, als der Fisch aus den Legenden zur Realität wird. Dafür jede Menge Fragen: zum Film, zur Absicht dahinter, aber auch zur Beziehung von Mensch und Natur. Insofern lädt Camping du Lac trotz der kurzen Laufzeit dazu ein, sich über den Abspann hinaus mit dieser Kuriosität auseinanderzusetzen. Man kann sich aber auch einfach entspannt zurücklehnen und mitansehen, wie Éléonore immer tiefer in diese Gegend und ihre Geschichten eintaucht, wörtlich und im übertragenen Sinn, und dabei Verblüffendes findet.
OT: „Camping du Lac“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Éléonore Saintagnan
Drehbuch: Éléonore Saintagnan
Musik: Gaëtan Campos, Yannick Dupont
Kamera: Michaël Capron
Besetzung: Éléonore Saintagnan, Anna Turluc’h, Jean-Benoît Ugeux, Rosemary Standley, Wayne Standley, Étienne Sibéril
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