Solomon Nazerman (Rod Steiger) betreibt eine Pfandleihe im New Yorker Stadtteil Harlem. Sein ambitionierter Assistent Jesus (Jaime Sánchez) sieht in ihm ein Vorbild, von dem er viel lernen kann und will, vor allem, weil es Solomon stets schafft, nicht die Ruhe zu verlieren und nur wenig für die ihm angebotene Ware ausgibt. Jedoch hat Sol wenig für seinen Assistenten wie auch generell für seine Mitmenschen übrig und will lieber alleine sein. Auch die Tatsache, dass Rodriguez (Brock Peters), ein örtlicher Gangster, seine Pfandleihe als Möglichkeit nutzt, um Geld zu waschen, stört ihn nicht. Stattdessen wird Nazerman immer wieder geplagt von Erinnerungen an seine Zeit im Konzentrationslager Auschwitz und die letzten Tage mit seiner Familie, bevor diese von der SS verhaftet wurde. Als Marilyn (Geraldine Fitzgerald), eine Sozialarbeiterin, sich in seinem Geschäft vorstellt und um etwas Geld für einen guten Zweck bittet, werden die Erinnerungen an die Zeit vor 25 Jahren häufiger.
Als Nazermann dann herausfindet, dass Rodriguez sein Geld mit Drogenhandel und Prostitution einnimmt, will er die Verbindungen zu ihm und seiner Organisation kappen, doch dafür ist es schon zu spät. Während Sol versucht, eine Katastrophe zu verhindern, macht er durch eine Unachtsamkeit alles nur noch schlimmer. Unterdessen will Marilyn einen erneuten Versuch starten, zu dem Pfandleiher durchzudringen, der auf sie so einsam und verbittert wirkt.
Die wandelnden Toten
Die Taten- und Hilflosigkeit von Menschen ist das Hauptthema von Regisseur Sidney Lumet. Schon in seinem vielbeachteten Debüt Die Zwölf Geschworenen geht es um die Frage, was moralisches Handeln in einer Gesellschaft bedeutet, die sich aufgrund von Vorurteilen oder anderer Motive von Werten wie Mitmenschlichkeit entfernt hat. Nicht einzuschreiten ist dabei noch viel erschreckender als die Handlung an sich, vor allem, weil sie von Figuren kommt, die man eigentlich als stark wahrnehmen könnte. Mit der Verfilmung von Edward Lewis Wallants Roman Der Pfandleiher geht Lumet diese Themen gleichzeitig von einer historischen Perspektive heraus an, denn als Hauptfigur erleben wir einen Holocaust-Überlebenden, der mit der Schuld seines Nicht-Eingreifens hadert, obwohl ihm die Situation im Grunde keinen Möglichkeit zum Handeln gelassen hat.
Auf dem Weg zu seinem Auto erlebt Nazerman, wie vor seinen Augen ein Jugendlicher von einer Gruppe Gleichaltriger verfolgt und verprügelt wird. Die Kamera hält mit nur wenigen Bildern die Handlung fest, die sich in der Peripherie des Hauptcharakters stattfindet und die dieser geflissentlich ignoriert. Wie ein wandelnder Toter schreitet er durch die Straßen Ost-Harlems, ohne wirklich wahrzunehmen, was sich um ihn herum abspielt, wobei die Kamera dem Zuschauer hin und wieder einen Eindruck von dem Kaleidoskop menschlicher Dramen, der Armut und der Hoffnungslosigkeit geben. Durch die Schwarz-weiß-Aufnahmen wirkt der Handlungsort von Der Pfandleiher noch trostloser, erst recht die Pfandleihe selbst, in welcher der Protagonist seinen kleinen Teil dazu beiträgt, dass die Leben der Menschen dort noch etwas schlimmer werden, weil sie sich etwas Geld von ihm versprechen. Nazerman ist keine Ausnahme, sondern ein Teil dieser Welt, die unempfänglich für diese Tragödien geworden ist, sich emotional abgeschottet hat und diese noch als Teil der Normalität akzeptiert hat.
Nichts, was ich tun konnte.
Im Falle der Hauptfigur kommt freilich noch die persönliche Tragödie hinzu. Mittels weniger Flashbacks, ausgelöst durch visuelle Reize oder Dialogfetzen, erhalten wir einen Eindruck von der Vorgeschichte dieses Menschen, für den nur noch das Geld zählt, wie er seinem Assistenten an einer Stelle erklärt. Rod Steiger, der mit Lumet vorher für TV-Produktionen zusammengearbeitet hatte, spielt einen Mann, der wie ausgelöscht wirkt und wie eine Maschine seinen Alltag abspult. Die Bitten seiner Kunden, ihnen doch etwas mehr Geld zu geben, prallen an ihm genauso ab wie Jesus’ Fragen, der von ihm immer mehr lernen will, was ihm Nazerman schließlich mürrisch einräumt. Es scheint fast so, als wäre die Tragödie des Holocaust auch deswegen so schlimm, weil es keinen Nachhall, keine Verarbeitung gab, im Sinne einer Gesellschaft, die nach mehr Brüderlichkeit und Zusammenhalt strebt. In Der Pfandleiher zeigt Lumet eine Welt, in der die Animositäten, die Gier und die Ressentiments gegeneinander sich weiterhin verstärken, sodass Harlem letztlich ebenso wie ein Ghetto wirkt, welches der Protagonist noch aus einer eigenen Biografie kennt.
OT: „The Pawnbroker“
Land: USA
Jahr: 1964
Regie: Sidney Lumet
Drehbuch: Moprton S. Fine, David Friedkin
Vorlage: Edward Lewis Wallant
Musik: Quincy Jones
Kamera: Boris Kaufman
Besetzung: Rod Steiger, Geraldine Fitzgerald, Brock Peters, Jaime Sánchez, Thelma Oliver, Marketa Kimbrell
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 1966 | Bester Hauptdarsteller | Rod Steiger | nominiert |
Berlinale | 1964 | Goldener Bär | nominiert | |
Golden Globes | 1966 | Bester Hauptdarsteller (Drama) | Rod Steiger | nominiert |
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