Fingernails

Eigentlich könnte Anna (Jessie Buckley) richtig glücklich sein, hat sie doch mit Ryan (Jeremy Allen White) die Liebe ihres Lebens kennengelernt. Zumindest ist es das, was ein neuer Test besagt, der wissenschaftlich nachweisen will, ob zwei Menschen zusammenpassen. Das Problem ist nur: So richtig überzeugt sie davon nicht. Und so beginnt sie heimlich, in eben jenem Institut zu arbeiten, das diesen Test durchführt. Gemeinsam mit Amir (Riz Ahmed), ihrem neuen Kollegen, soll sie die Männer und Frauen vorbereiten und ihnen Tipps geben, wie sie ihre jeweiligen Beziehungen intensivieren können. Das ist nicht einfach, zumal Anna nach und nach Gefühle für Amir entwickelt und damit völlig überfordert ist …

Fragen rund um die Liebe

So richtig viel Aufmerksamkeit bekommen die Filme, die von Apple TV+ veröffentlicht werden, nicht. Natürlich gibt es Ausnahmen. Beispielsweise wird bereits kräftig die Werbetrommel für das kommende Napoleon gerührt. Doch die meisten werden eher ignoriert, obwohl sie zum Teil mit erstklassigen Ensembles und ungewöhnlichen Geschichten locken. So gab es dieses Jahr Tetris über den absurden Lizenzkampf um das epochale Klötzchen-Videospiel, The Beanie Bubble, das von einem nicht minder kuriosen Spielzeug-Hype berichtet, oder auch das charmante Flora and Son über die verbindende Kraft der Musik. Und auch Fingernails, der neueste Zugang im stetig, wenngleich sehr langsam wachsenden Segment, ist mindestens einen Blick wert.

Ein Grund dafür ist das ungewöhnliche Szenario. Dass es Regisseur und Co-Autor Christos Nikou gern etwas eigen mag, hat er bereits 2020 in seinem Langfilmdebüt Apples beweisen. Damals entsann der Grieche eine Pandemie, in der die Menschen unter plötzlichem Gedächtnisverlust leiden. Dieses Mal wagt er einen Ausflug ins Science-Fiction-Genre, wenn er von einem Test berichtet, der in der Lage sein soll, Liebe wissenschaftlich zu messen, genauer die Kompatibilität zweier Menschen. Dabei verzichtet er auf den Humor vom letzten Mal. Auch wenn es die eine oder andere skurrile Szene gibt oder zwischendurch augenzwinkernd mit Klischees gespielt wird, Fingernails ist doch eher ein nachdenklicher Film mit einem Hang zur Melancholie. Fragen gibt es hier dann auch mehr als genug, zur Natur der Liebe. Was bedeutet Liebe eigentlich? Lässt sie sich bestimmen? Und auch: Können wir mehr als einen Menschen lieben?

Universelle Gefühle in ungewöhnlicher Hülle

Das klingt alles etwas versponnen. Doch trotz dieses Science-Fiction-Umfelds ist der Film eigentlich ein sehr nahbarer, der viel Identifikationsfläche bietet. Unsicherheiten bei den eigenen Gefühlen ist schließlich etwas zutiefst Menschliches. Nikou hat dieses existenziell-universelle Thema lediglich in einen ungewohnten Rahmen gepackt. Die Zuschauer und Zuschauerinnen wissen dann auch bereits früh, dass Anna Gefühle für Amir entwickeln wird. In der Hinsicht unterscheidet sich Fingernails nicht von den vielen Liebeskomödien, bei denen die Hauptfigur zunächst mit der falschen Person zusammen ist und erst noch erkennen muss, wer die richtige ist. Nur dass hier die Sache nie eindeutig ist, so wie vieles nie eindeutig wird. Das wird manche frustrieren, die von solchen Filmen in erster Linie Bestätigung erhoffen. Aber es ist doch deutlich näher am Alltag dran, bei dem Eindeutigkeit ein seltenes Gut ist.

Dass das hier so überzeugend ausfällt, ist auch dem exzellenten Duo zu verdanken. Jessie Buckley (Men) und Riz Ahmed (Sound of Metal) gelingt es wunderbar, die allmähliche Annäherung der beiden Figuren zu zeigen und Paar zu sein, das keines ist und sein darf. Das Liebesdrama, welches auf dem Telluride Film Festival 2023 Weltpremiere hatte, mag zwischendrin vor lauter Fragen etwas das eigentliche Erzählen aus den Augen verlieren. Letzten Endes hat Nikou auch nicht viel zu sagen, was man nicht eh schon kennt und weiß. Die Mischung aus ungewöhnlichem Szenario und starker schauspielerischer Leistung macht aus Fingernails aber einen Geheimtipp für die Liebhaber und Liebhaberinnen zutiefst menschlicher und zeitloser Geschichten.