Im Leben von Franky (Lena Urzendowsky) läuft im Moment überhaupt nichts nach Plan. Schon deshalb, weil die schüchterne, noch kindlich wirkende junge Frau gerade null Ahnung von ihrem Platz im Leben hat. Jobben oder studieren? Single oder Paar? Ewig Jungfrau oder Sex auf Knopfdruck? Nur Katja (Meryem Ebru Özja), ihre Mitbewohnerin und beste Freundin, scheint Franky, die eigentlich Elena heißt, so etwas wie einen sicheren Hafen zu bieten. Aber Katja ist neuerdings mit Hasim (Cino Djavid), genannt Hasi, liiert. Und weil sich Franky ausgerechnet in den Freund ihrer besten Freundin verknallt, scheint das Chaos perfekt. Doch es mischen sich auch noch vier Stimmen in ihrem Kopf in Frankys Leben ein. Alle reden sie durcheinander und nehmen in der märchenhaft-surrealen Dramödie leibhaftige Gestalten an. Die verschiedenen Anteile des Ichs wohnen in einem altehrwürdigen Hotel, das schon bessere Tage gesehen hat. Hier leben das verspielte Kind Lenni (Cito Andresen), das verführerische Zimmermädchen Ella (Sophie Killer), der konsumismuskritische Page Frank (Sven Hönig) und die gestrenge Empfangsdame Frau Franke (Gerti Drassl), die meist vergeblich für Ordnung sorgen will.
Psychologischer Hintersinn
„Irgendwas ist komisch“, bemerkt Frau Franke gleich zu Beginn. Gerade noch hatte die Kamera (J-P Passi) zu den Klängen von Hildegard Knefs Larifari das nostalgisch ausgestattete Hotel und seine schrägen Bewohner vorgestellt, da huscht ein Huhn durchs Bild. Ein Huhn? Die andern lachen sich tot: Frau Franke sieht wohl Gespenster. Für ein Huhn ist kein Platz in Frankys Kopf, das ist völlig unmöglich. Niemand kommt hier rein oder raus außer durch den streng bewachten Fahrstuhl, durch den immer mal jemand abhaut und dann die Kontrolle über Frankys Denken und Handeln übernimmt. Aber auch das Publikum sieht das Huhn. Später wird es erfahren, wofür das Federvieh steht. Ahnen kann man es eigentlich schon früher, denn trotz aller Märchenhaftigkeit, trotz aller Anspielungen auf den Zeitgeist („Bewerten Sie uns bitte mit fünf Sternen“) und trotz allem psychologischen Hintersinn bleibt Franky Five Star im Grundgerüst eine romantische Komödie. Nur halt eine, wie man sie noch nie gesehen hat.
Ein gewisses Vorbild gibt es allerdings. Auch Pixars charmante Blockbuster-Animation Alles steht Kopf (2015) bevölkerte die Kommandozentrale im Gehirn ihrer Hauptfigur ebenfalls mit unterschiedlichen Charakteren, die hier vor allem für unterschiedliche Emotionen standen. Aber die Freiheit des Trickfilms, Welten aus dem Nichts zu erschaffen, ist in einer Real-Komödie natürlich begrenzt. Das bringt Herausforderungen an die Glaubwürdigkeit der Konstruktion mit sich, die Regisseurin Birgit Möller (Valerie, 2006) und ihr Drehbuchschreiber Knut Mierswe mit leichter Hand meistern. Elegant verschränken sie Reales und Gedankenwelt, wie es ja auch im wirklichen Leben geschieht, wenn man eine Situation bewertet oder mit Gefühlen auflädt. Die Kamera behält den Überblick und ist trotzdem nah bei den Figuren, sei es bei Franky oder bei einer ihrer lebendig gewordenen Stimmen. Per Fernseher kann man von der Handlungswelt in die Kopfwelt und umgekehrt schauen und der Fahrstuhl bringt immer wieder Ordnung in die zunehmende Vermischung von Realem und Surrealem. Nur sollte man vor dem Kinobesuch die kurze Inhaltsangabe des Films lesen, sonst braucht man womöglich zu lange, um die Funktion des Hotels zu durchschauen.
Ich, Über-Ich und Nicht-Ich
Immer wieder drängen sich natürlich psychologische Konstrukte auf, wie die vom „inneren Kind“, oder von „Es“ und „Über-Ich“. Man ist aber gut beraten, die faszinierenden Bildwelten nicht darauf zu reduzieren. Denn die Fleisch gewordenen Stimmen sind – neben ihrer komischen Funktion – komplexe Figuren für sich. Zudem lenken Psychologisierung und Identitätsfragen von Alltagsphänomenen ab, die jeder kennt. „Manchmal mache ich Sachen, die ich gar nicht machen will“, bekennt Franky einmal. „Dann bin ich nicht ich selbst“. Aber irgendwie ist es halt doch ein Teil des Ichs, das diese Dinge tut. Klingt kompliziert, aber so ist das nun mal.
Und natürlich muss man über die Schauspielerin reden, die das alles zusammenhält, das Ich und das Nicht-Ich und den ganzen Rest dazwischen, die Gedanken und Gefühle und das Chaos im Kopf. Lena Urzendowski (23) tritt spätestens mit dieser Hauptrolle aus dem Schatten ihres älteren Bruders Sebastian (Pingpong, 2006). Sie mimt mit der gleichen Glaubwürdigkeit das gehemmte Mauerblümchen, wie sie wenige Filmminuten später jede Kontrolle aufgibt, Autos klaut, Lieder grölt und einen draufmacht. Selbst die „Femme fatale“ nimmt man ihr ab in einer Darstellung von extremer Bandbreite, die eine enorme Wandlungsfähigkeit verlangt.
OT: „Franky Five Star“
Land: Deutschland, Finnland
Jahr: 2023
Regie: Birgit Möller
Drehbuch: Knut Mierswe, Birgit Möller (Idee und Ko-Autorin)
Musik: Oona Airola, Juhana Lehtimieni
Kamera: J-P Passi
Besetzung: Lena Urzendowsky, Cino Djavid, Paul Pötsch, Sven Hönig, Sophie Killer, Gerti Drassl Meryem Ebru Öz, Cito Andresen
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