September 1914: Als Nélie Laborde (Lyna Khoudri) ihre Stelle als Dienstmädchen verliert, weiß sie nicht mehr weiter. Schließlich hat die Tochter einer einfachen Wäscherin kein Geld und keine Perspektive. Doch dann geht sie als Krankenschwester an die Front und wird Zeugin, wie Rose Juillet (Maud Wyler) von einer Granate am Kopf getroffen wird und zusammenbricht. Nélie sieht darin ihre große Chance und nimmt kurzerhand einfach die Identität der jungen Frau an. Das führt sie zu der wohlhabenden Eléonore de Lengwil (Sabine Azéma), einer kinderlosen Fabrikantenwitwe, wo sie die Stelle als Vorleserin beginnt. Niemand bemerkt den Betrug, endlich scheint ihr einmal das Glück hold zu sein. Denn die reiche und vornehme Dame findet Gefallen an der Gesellschaft …
Eine Frage der Identität
Wer bin ich eigentlich? Was ist mein Platz im Leben? Fragen zur Identität gehören fest zum menschlichen Dasein dazu, immer wieder müssen wir uns mit denen auseinandersetzen. Die wichtigste Phase sind die Jugendjahre, wenn wir die Weichen für den weiteren Verlauf legen. Aber eigentlich dürfen wir uns bis an unser Lebensende mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen und auch der Frage, was genau es eigentlich ist, das uns bestimmt. Zumindest implizit schwingen diese Überlegungen in Gib mir Dein Leben immer mit, wenn sich die Protagonistin eine andere Identität zulegt. Diese eröffnet ihr neue Möglichkeiten, sie kann auf einmal ganz andere Dinge tun. Aber ist sie dadurch auch ein anderer Mensch geworden?
Das französische Drama kombiniert das aber mit einem Gesellschaftsporträt. Indem die Adaption eines Romans von Wilkie Collins eine Frau aus einfachen Verhältnissen in höchste Kreise aufsteigen lässt, werden die Klassenunterschiede in Frage gestellt. Anders als etwa bei Jeanne du Barry – Die Favoritin des Königs, einem weiteren französischen Historiendrama, kommt es in Gib mir Dein Leben nicht zu irgendwelchen Culture-Clash-Momenten. Erstaunlich schnell findet die Protagonistin hier Anschluss und findet sich in der fremden Welt zurecht. Während das Publikum weiß, dass die junge Frau hier „falsch“ ist, gibt einem der Film nur wenig Anlass zum Zweifel, dass sie hier zu Hause hätte sein können, wenn es das Schicksal anders mit ihr gemeint hätte.
Spannung bis zum Schluss
Wie das aber so ist, wenn ein Leben auf einer Lüge aufgebaut ist, geht das immer mit der Gefahr einher, doch noch erwischt zu werden. Bei Liebeskomödien ist es klar, dass dies irgendwann der Fall ist. Schließlich muss man ja so tun, als wäre das Glück der beiden Hauptfiguren in Gefahr. Bei Gib mir Dein Leben ist das hingegen offen, weshalb das für eine gewisse Spannung sorgt. Gerade eine spätere Wendung macht das noch einmal interessant. Da merkt man dann schon, dass Collins in erster Linie als Autor von Mystery-Thrillern bekannt war. Wobei man hier nicht erwarten sollte, dass der Film zu einem solchen wird. Die französische Adaption ist in erster Linie ein Historiendrama, welches die damalige Gesellschaft porträtiert.
Sie ist dabei aber auch für ein Publikum interessant, das sich sonst eher weniger für solche kostümierten Zeitreisen erwärmen kann. Die Mischung aus allgemeinen Überlegungen und der spannenden Situation sorgen dafür, dass einem hierbei nicht langweilig wird. Dafür darf man nicht die Opulenz erwarten, die Historiendramen zuweilen haben. Gib mir Dein Leben will es gar nicht mit Großproduktionen wie Napoleon aufnehmen. Das ist alles kleiner, bescheidener, intimer. Aber nicht weniger sehenswert. Es ist zudem gut gespielt. Hauptdarstellerin Lyna Khoudri (Haute Couture – Die Schönheit der Geste) überzeugt als Wandlerin zwischen den Welten, die auf der einen Seite nach oben strebt und dabei doch auch versuchen muss, sich selbst treu zu bleiben.
OT: „La Place d’une autre“
IT: „Secret Name“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Aurélia Georges
Drehbuch: Aurélia Georges, Maud Ameline
Vorlage: Wilkie Collins
Musik: Frédéric Vercheva
Kamera: Jacques Girault
Besetzung: Lyna Khoudri, Sabine Azéma, Maud Wyler, Lise Lamétrie, Laurent Poitrenaux, Didier Brice
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