Die Menschen, die abgeschnitten von der Außenwelt in dem kleinen Dorf Iyi leben, verehren die Wassergöttin Mami Wata. Es heißt, dass es schon seit Jahrhunderten Geschichten und Annahmen über sie gäbe. Zinwe (Uzoamaka Aniunoh) und Prisca (Evelyne Ily Juhen) sind die Töchter von Mama Efe (Rita Edochie), der Vermittlerin auf Erden von Mami Wata. Im Hintergrund rauscht das Wasser, als ahnte es bereits, was bald gesehen würde. Mama Efes Kräfte scheinen zu schwinden und so werden allmählich Stimmen laut, die vom Umsturz reden. Als dann noch ein Fremder an den Strand gespült wird, müssen Prisca und Zinwe bald für den Zusammenhalt der Gemeinschaft und für ihr Überleben kämpfen.
Spannende Mythologie
Regisseur C.J. „Fiery“ Obasi liefert uns mit dem in schwarz-weiß gedrehten, folkloristischen Werk Mami Wata die Interpretation einer Wassergottheit, die in der afrikanischen Mythologie verortet ist. Mami Wata lässt sich aus dem Pidgin-Englisch mit „Mutter des Wassers“ übersetzen. Diese wird, so verrät uns der Film direkt zu Beginn, in West-, Zentral- und Südafrika sowie in der afrikanischen Diaspora in Amerika verehrt. Weiter heißt es, dass es viele Annahmen über Mami Wata gäbe, jedoch nicht so viele in dem abgeschieden gelegenen Dorf Iyi selbst. „Bis jetzt“, schließt der Text aussichtsvoll.
Das eindrucksvolle Werk feierte seine Premiere beim diesjährigen Sundance Film Festival. Dabei wurde Lílis Soares für ihre Kameraarbeit mit dem Sonderpreis der Jury ausgezeichnet. Das ist mehr als nachvollziehbar, wenn man sich die Bilder anschaut, die uns in einer mitreißenden Dichte durch die Geschichte führen. Zwar dreht es sich immer wieder auch um die mythologischen Aspekte, man bleibt jedoch nah an den Menschen. Eine Reihe Anekdoten (Ist Zinwe nur dank Mami Wata geboren worden? Mami Effe gibt den Menschen, was sie zum Leben brauchen), kulturelle Rituale (Hat Mama Effe noch ihre heilenden Kräfte?), eine geheimnisvolle Frau (Orianna Azangban), über die wir so gut wie gar nichts erfahren: All das strahlt aus dem Hintergrund auf die Wassergottheit und verleiht ihr einen leuchtenden Rand, arbeitet die Mythologie heraus.
Kontraste und Meeresrauschen
Im späteren Verlauf des Films gibt es Farbe. Punktuell, dezent. Dass man sich fragen könnte: Ist irgendwas anders? Ohne direkt zu bemerken, was anders ist. Das Schwarz-Weiß untermalt das starke Gefühl der Abgeschiedenheit und baut eine Brücke in die Vergangenheit. Die teils düstere Machart lässt den Muschelschmuck und die weißen Farbtupfer auf den Gesichtern der Bewohner von Iyi geheimnisvoll hell leuchten. Durch die hohen Kontraste spürt man förmlich die Nässe, die die Kamera einfängt und beschwört oftmals eine gewichtige Intensität. Wenn man nur hellausgeleuchtete Farbfilme gewöhnt ist, könnten manche Momente in Mami Wata die Sehgewohnheiten schon herausfordern, da es Szenen gibt, die ziemlich dunkel gehalten sind. Man erkennt aber immer genug, um zu wissen, was gerade vor sich geht. Die Arbeit von Licht-und-Schatten beschwört zudem etwas Mystisches herauf und bringt beeindruckend gestaltete Momente hervor.
Das Meer wirkt immer nah. Oft hören wir nur das Rauschen der Wellen, den Wind, der in den Ästen rauscht, mal aufbrausend, mal hören wir nur die sanften Geräusche der Natur. Die Musikkulisse hat etwas Aufgeräumtes, wirkt nicht unnötig überladen, sondern unterstützend, nie unnötig effekthascherisch oder krampfhaft stilbrechend. Sie baut sich mal fast unmerklich bedrohlich auf oder unterstreicht die teils metaphorisch aufgeladenen Bildüberlagerungen, etwa wenn Prisca und Jasper (Emeka Amakez) zusammen ins Wasser gehen. Das Rauschen hallt nach.
Erzählerische Stolpersteine
Es braucht potenziell eine Weile, bis man in den Erzählfluss kommt, der am Anfang mit einer starken Protagonistin aufwartet. Uzoamaka Aniunoh spielt Zinwe eindrücklich. Die Figur begibt sich herausfordernd ans dunkle Ufer, um mit der gestohlenen Muschelkette ihrer Mutter die Kraft von Mami Wata zu beschwören. Die Kritik an ihrer Mutter wird immer lauter. Kann sie, Zinwe, die neue Vermittlerin der Wassergottheit werden? Wird sie die Kraft von Mami Wata sehen? Man würde gerne mehr über ihre Geschichte, ihre Reise erfahren. Der Film folgt ihr jedoch erstmal nicht weiter, sondern konzentriert sich auf ihre Schwester Prisca und den Konflikt zwischen den alten Glaubenssätzen, der Kraft von Mama Effe und den rebellischen Stimmen, die im Hintergrund laut werden. Man will Straßen bauen, Schulen und Krankenhäuser. Man will Fortschritt. Dann nimmt sich der Film Zeit die Figur Jasper einzuführen. Halbtot wird er an den Strand gespült. Die Ebbe der Geschichte geht langsam, rauschend in die Flut der Spannung über.
Der Film hält ein paar spannende Wendungen bereit. Die meisten funktionieren sehr gut, andere Pointen nicht so ganz. Das liegt unter anderem an der Figurenzeichnung. Manche Figuren sind nur schwach konturiert. Auf der Seite der Antagonisten gab es Rebellen, da wäre es sicher interessant gewesen, mehr über ihre Hintergrundgeschichten oder Motivationen zu erfahren. Auch die Frau mit dem Stab bleibt auf der Ebene des Geheimnisvollen und man fragt sich, welche Bedeutung sie für den Verlauf der Geschichte hat oder für die Mythologie. Nicht alle Fragen klären sich am Ende vollständig auf. Das ist aber Meckern auf hohem Niveau.
OT: „Mami Wata“
Jahr: 2023
Land: Nigeria, Frankreich, UK
Regie: C.J. „Fiery“ Obasi
Drehbuch: C.J. „Fiery“ Obasi
Musik: Tunde Jegede
Kamera: Lílis Soares
Besetzung: Evelyne Ily Juhen, Uzoamaka Aniunoh, Emeka Amakeze, Rita Edochie, Kelechi Udegbe, Tough Bone, Tim Ebuka, Sofiath Sanni
Sundance Film Festival 2023
Filmfest München 2023
NIFFF 2023
Fantasia Film Festival 2023
Transit Filmfest 2023
Afrikamera 2023
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