Neureiche

Youssef (Nassim Lyes) hat es nicht so mit der Wahrheit. Selbst seine Freundin lügt er unentwegt an, ob es nun seine Herkunft, seine Haarpracht oder auch seinen Beruf geht. Richtig arbeiten tut er nämlich nicht. Vielmehr hält er sich mit Betrügereien rund um falsche Handtaschen über Wasser. Als er versucht, auf die Schnelle an Geld zu kommen, indem er sich auf Kartenspiele einlässt, verliert er das letzte bisschen, das er hat. Und noch einiges mehr. Stephanie (Zoé Marchal), die am selben Spieltisch sitzt, hat dafür umso mehr Glück und nimmt ihn richtig aus. Seine Beziehung ist dadurch am Ende, dafür hat er die Leute vom Casino am Hals, denen er richtig viel Kohle schuldet. Doch dann begegnet er Stephanie wieder, die von sich sagt, über ein beträchtliches Krypto-Vermögen zu verfügen. Das lässt sich Youssef nicht zweimal sagen …

Actionkomödien aus Frankreich

In Frankreich gibt es nur romantische Komödien oder schwere Gesellschaftsdramen? Das ist ein Vorurteil, welches aktuell von den Streamingdiensten widerlegt wird. Vor allem Actionkomödien stehen gerade hoch im Kurs. So gab diesen Monat zuerst auf Netflix Diebinnen über zwei Freundinnen, die wiederholt Raubzüge ausüben. Danach wechselten wir bei Disney+ die Seiten: In Antigang: Home Run folgen wir einem Ex-Polizisten, der gemeinsam mit seiner vorlauten Tochter die Mörder seiner Frau jagt. Im Vergleich dazu ist die Netflix-Produktion Neureiche recht harmlos. Denn hier geht es „nur“ darum, wer wen um Geld betrügen kann und ob die Figuren wieder heil aus der Sache herauskommen.

Üblicherweise wählt man in Filmen dafür möglichst sympathische Leute, damit das Publikum auch ja mitfiebert. Hier hat man darauf verzichtet. Youssef ist ein schamloser Betrüger, der sogar seine eigene Freundin unentwegt anlügt. Und auch Stephanie ist nicht gerade das, was man eine Identifikationsfigur nennen würde. Das wird Neureiche aber nicht wirklich zum Nachteil. So fällt das Mitfiebern zwar weg. Aber man darf zumindest neugierig sein, worauf das alles hinausläuft. Schließlich setzt Regisseur und Co-Autor Julien Hollande von Anfang an auf Eskalation. Schon nach wenigen Minuten herrscht das Chaos. Und dieses wird auch nicht weniger werden, so viel wird schnell klar. Da überschlagen sich die Ereignisse, während die beiden Hauptfiguren mal zusammen, mal gegeneinander kämpfen.

Aus Spaß an der Lächerlichkeit

Dass Nassim Lyes Letzteres beherrscht, hat er zuvor in anderen Filmen unter Beweis gestellt. In der Action-Odyssey Farang – Schatten der Unterwelt prügelt er sich als Hauptdarsteller kompetent durch Thailand, der Tod der Frau muss schließlich gerächt werden. Ganz so eindrucksvoll ist sein Auftritt hier nicht, sieht man einmal von der Demonstration seines Sixpacks ab. Darf auch nicht, soll Youssef letztendlich jemand sein, der völlig überfordert ist von dem Leben. Dafür darf der Franzose in Neureiche unter Beweis stellen, dass er über Humor verfügt und nicht davor zurückscheut, sich auch einmal von einer unvorteilhaften Seite zu zeigen. Immer wieder macht sich seine Figur lächerlich. Und dann wären da ja noch die Szenen, die ihn mit einer eher unvorteilhaften Haarpracht zeigen.

Anspruchsvoll ist das alles nicht. Lyes und Hollande, die gemeinsam das Drehbuch geschrieben haben, zeigen weder bei der Geschichte noch dem Humor größere Ambitionen. Überraschungen sollte man bei der Actionkomödie erst gar nicht erwarten. Aber die Zusammenarbeit funktioniert. Das Nonstop-Chaos ist amüsant, gerade auch weil das Ensemble sich mit viel Spielfreude an die Arbeit gemacht hat. Man muss zwar nicht unbedingt nachvollziehen können, warum die zwei Hauptfiguren Gefühle füreinander entwickeln. Dafür sind sie nicht liebenswürdig genug. Wen das nicht stört, kann sich von Neureiche aber schon unterhalten lassen. Das Gehirn darf man ein wenig auf Durchzug schalten, danach geht es los und das Gaspedal wird richtig durchgedrückt.