Kun (You Zhou) liebt Filme. Deswegen hat er das auch studiert, in der Hoffnung, als Tontechniker an großen Werken mitzuarbeiten. Nur das mit dem Lernen liegt dem Sohn eines Polizisten nicht so, weder an der Universität noch bei der Führerscheinprüfung. Das bringt ihm regelmäßig Ärger ein, wovon er sich aber nicht abbringen lässt. Gemeinsam mit seinem besten Freund Tong (Tong Linkai) arbeitet er an einem Studentenfilm von Ming (Wang Xiaomu), während er nebenher ein bisschen Geld verdient, wenn auch nicht genug, um seiner Freundin Zhi (Zheng Yingchen) etwas bieten zu können. Aber jetzt geht es ohnehin erst einmal in die Mongolei, um dort den Film zu drehen …
Die Anfänge eines Filmemachers
Aller Anfang ist schwer, gleich ob es nun ein Beruf oder ein Hobby ist. Und das gilt natürlich auch fürs Filmemachen. Wobei Letzteres insofern etwas Besonderes ist, weil es denjenigen die Möglichkeit gibt, später Filme über diese Anfangszeit zu machen und sich selbst zu einer Erzählung. Das bekannteste Beispiel der letzten Jahre war sicherlich das autobiografisch gefärbte Die Fabelmans, wo Regie-Legende Steven Spielberg an seine Jugend zurückdachte und die ersten Gehversuche mit der Kamera. Shujun Wei ist sicherlich kein zweiter Spielberg, er hat keine beeindruckende Filmografie vorzuweisen. Tatsächlich ist Striding Into the Wind sogar sein Langfilmdebüt. Das ist ein bisschen früh, um schon mit dem Blick zurück anzufangen.
Wobei die Geschichte um den Nachwuchs-Tontechniker nur zum Teil autobiografisch ist. Zu 30 Prozent, wie Wei in einem Interview angegeben hat. Anders als Spielberg, dessen Rückblick auch von einer gewissen Wehmut und Sentimentalität geprägt war, ist dem Chinesen dieses Gefühl fremd. Er erzählt lieber mit einem gewissen Augenzwinkern, wie es war, als junger Mann mit einem alten Jeep durch die Gegend zu fahren. Dass der Protagonist in Striding Into the Wind eigentlich gar nicht fahren darf, trägt zu dieser Komik bei. So muss er immer darauf achtgeben, nicht von der Polizei erwischt zu werden, was ihm mal besser, mal schlechter gelingt. Wie vieles in seinem Leben nicht so läuft, wie es von ihm geplant wurde – sofern man von einem Plan sprechen kann.
Unterhaltsame Ziellosigkeit
Tatsächlich fällt der Film, der 2020 in Cannes Premiere gefeiert hätte, irgendwo zwischen Slacker-Komödie und Roadmovie. Ein nur wenig zielgerichteter Mann reist umher, um einen Film zu drehen. Wobei Striding Into the Wind nur gelegentlich von dem Film an sich spricht. Stattdessen wechselt die Geschichte von Thema zu Thema, ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen. Das wird manchen nicht gefallen, zumal die Laufzeit mit mehr als zwei Stunden nicht unbedingt kurz ausgefallen ist. Man muss sich schon darauf einlassen können, wie ein fahriger Typ, der zudem nicht unbedingt der ganz große Sympathieträger ist, eine Mischung aus Blödsinn und nichts macht, ohne dass man das Gefühl hätte, diese Reise würde inhaltlich irgendwo hinkommen. Von der mangelnden Entwicklung des Protagonisten ganz zu schweigen.
Und doch ist diese Chaostour sehenswert. Nicht nur dass sie gut gespielt ist: Das nur wenig bekannte Ensemble geht mit einer Spielfreude ans Werk, die einen die inhaltlichen Leerstellen vergessen lässt. Sie ist auch ansprechend bebildert: Wei, der für seinen Kurzfilm On the Border zuvor in Cannes ausgezeichnet wurde, hat einige sehr schöne Aufnahmen für die Odyssee gefunden und zeigt inszenatorisches Geschick, das auf weitere Filme des Nachwuchs-Regisseurs hoffen lässt. Sofern man sich darauf einlassen kann, ist Striding Into the Wind ein unterhaltsamer Genremix, der von einer Mischung aus Orientierungslosigkeit und Aufbruchsstimmung geprägt ist und die ein wenig Lust macht, sich wieder selbst treiben zu lassen.
OT: „Ye Ma Fen Zong“
Land: China
Jahr: 2020
Regie: Shujun Wei
Drehbuch: Shujun Wei, Gao Linyang
Musik: Emanuele Arnone
Kamera: Wang Jiehong
Besetzung: You Zhou, Zheng Ying Chen, Wang Xiaomu, Linkai Tong, Duona Zhao, Lei Liu
Cannes 2020
Chinesisches Filmfest 2023
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