Die neunjährige Cáit (Catherine Clinch) wächst als jüngste von vier Schwestern auf einer irischen Farm auf. Ihre Mutter ist erneut schwanger und die Familie sehr arm, was die Situation in der Familie sehr angespannt macht. Als Cáits Mutter von ihrer Cousine Eibhlín (Carrie Corwley) einen Brief erhält, in dem sie anbietet, ihrer jüngste Tochter könne den Sommer bei ihr und ihrem Mann Seán (Andrew Bennett) verbringen, nimmt sie das Angebot dankend an, sodass Cáit schon am nächsten Morgen auf den Weg zur irischen Küste ist. Da Eibhlín und Seán kinderlos sind und ein großes Haus besitzen, gibt es genügend Platz für Cáit, die zum ersten Mal ein eigenes Zimmer hat und nach kurzer Zeit auch eigene Kleider. In den ersten Tagen begleitet sie vor allem Eibhlín bei ihrer täglichen Arbeit im Haus und auf den Gängen zu einem Brunnen in der Nähe des Hauses. Nach einer Weile öffnet sich auch der schweigsame Seán dem Mädchen und nimmt sie ebenfalls mit zu seinen täglichen Arbeiten.
Als es im Bekanntenkreis ihrer Tante und ihres Onkels zu einem Trauerfall kommt, erfährt Cáit das Geheimnis ihrer Verwandten und woher die Kleidung kommt, die man ihr in den ersten Tagen in dem neuen Haus gab. Zudem neigt sich der Sommer dem Ende zu und damit rückt der Tag näher, an dem Cáit zurück zu ihren Eltern muss.
Der zerbrochene Kinderwagen
Seit seiner Premiere auf der Berlinale 2022 hat Colm Bairéads The Quiet Girl international viel Anerkennung erfahren, wobei die Nominierung für den Oscar in der Kategorie Bester internationaler Film sicherlich die höchste Ehre war. Da in Bairéads Film überwiegend Irisch-Gälisch gesprochen wird, ist dies für den Regisseur sehr besonders, da er in der Geschichte neben der Sprache viele Aspekte sieht, die für die kulturelle Identität Irlands essentiell sind. Eine ebenfalls besondere Entdeckung ist Catherine Clinch, die in der Hauptrolle ihr Leinwanddebüt gibt und von vielen Kritiken des Films lobend erwähnt wird. Das Familiendrama, welches auf Claire Keegans Kurzgeschichte Foster von 2010 basiert, erzählt eine berührende Geschichte von Schmerz und dessen möglicher Überwindung, sowie von einem Neuanfang in einem Jahr, dass sicherlich eines der traurigsten Jahre in der Geschichte Irlands ist.
Die kindliche Unschuld hat Cáit schon lange verloren. Die Armut ihres Elternhauses, die Vernachlässigung, die sie und ihre Schwestern erfahren haben, und die Flucht des Vaters in den Alkohol haben ihren Teil dazu beigetragen, dass sich das Mädchen immer mehr in sich selbst zurückzog und fast gänzlich verstummte. Das Verschwinden der Kindheit zeigt Bairéad in der Kargheit ihres Zuhauses, durch ihre Gestik und Mimik sowie durch subtile Dialoge wie die Unterhaltung zwischen Cáit und Eibhlín, in der das Mädchen über den zerbrochenen Kinderwagen spricht, der durch eine Unachtsamkeit ihrem Bruder, der schon bald das Licht der Welt erblickt, nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Bei ihrer Tante und ihrem Onkel erhält sie nun einen Eindruck davon, was es heißt, Kind zu sein, sich zu öffnen und gesehen zu werden, was bei ihren Eltern nicht der Fall ist, die unter der Last eines weiteren Mundes, der gefüttert werden muss, drohen zusammenzubrechen. Bairéads Inszenierung und sein Drehbuch moralisieren nicht und suchen dementsprechend auch keine Schuldigen, sondern erzählen von Menschen, die sich auf ihre Weise verschlossen haben, wie es bei der neunjährigen Cáit der Fall ist, und für einen Moment aufblühen. Wie in Keegans Kurzgeschichte ist der Sommer auf der Farm der Verwandten hell, klar und fast schon etwas unwirklich, doch immer mit der Gewissheit verbunden, dass dieser Moment flüchtig ist, sodass die Freude eines Mädchens, das zum Briefkasten rennt, von der Kamera festgehalten wird, als wolle man, dass dieser Augenblick nicht vergeht.
Keine Geheimnisse
The Quiet Girl spielt im Jahre 1981, dem Jahr des irischen Hungerstreiks, den am Ende zehn Gefangene mit ihrem Leben bezahlten und eine Welle der Gewalt nach sich zog. Es ist auch das Jahr der Hochzeit des damaligen Prince Charles mit Diana Spencer, was ebenfalls medial hohe Wellen schlug. Cáits Leben auf der Farm ihrer Verwandten wirkt wie abgeschirmt von diesen Ereignissen, und doch dringen sie subtil durch, mittels ein paar aufgeschnappter Konversationen zwischen den Gästen im Haus oder anderen Momenten. Das Verstummen über die Vernachlässigung wirkt wie ein allgemeiner Schock, in dem keiner so richtig weiß, wie man weitermachen kann und ob man dies überhaupt will. Zugleich sei es eine Schande, wie Eibhlín dem Mädchen sagt, Geheimnisse voreinander zu haben, denn gerade diese werfen einen langen Schatten. Verdrängung ist kein Weg, scheint man immer wieder zu sagen, denn zum einen macht man es sich nur selbst schwer und zum anderen bereitet man vielleicht schon die nächste Tragödie vor, weil man nichts gelernt hat aus dem, was vorher war.
OT: „An Cailín Ciúin“
Land: Irland
Jahr: 2022
Regie: Colm Bairéad
Drehbuch: Colm Bairéad
Vorlage: Claire Keegan
Musik: Stephen Rennicks
Kamera: Kate McCollough
Besetzung: Catherine Clinch, Carrie Crowley, Andrew Bennett, Michael Patric, Kate Nich Conaonaigh
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 2023 | Bester internationaler Film | nominiert | |
BAFTA | 2023 | Bestes adaptiertes Drehbuch | Colm Bairéad | nominiert |
Bester fremdsprachiger Film | nominiert | |||
Europäischer Filmpreis | 2022 | Beste Kamera | Sieg |
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