Tona (Mateo Garcia Elizondo) liebt es zu malen. Er liebt das Leben. Und er liebt seine Familie, allen voran seine Frau Lucia (Iazua Larios) und Tochter Sol (Naíma Sentíes). Diese Liebe wird von den anderen erwidert, weshalb sie von überall hergekommen sind, um mit ihm seinen Geburtstag zu feiern. Sein Freundeskreis. Die Schwestern. Bekannte und Verwandte. Und doch liegt ein großer Schatten über dem Fest. Denn Tona wird sterben. Schon jetzt ist er von seiner Krebs-Erkrankung gezeichnet, kann sich nur noch mühsam bewegen. Eine Heilung ist ausgeschlossen. Zwar versuchen die anderen, ihm einen schönen Abend zu bereiten. Gleichzeitig wissen sie, dass es wohl sein letzter Geburtstag sein wird …
Sprunghafter Abschied
In Filmen ist es ein immer wieder beliebtes Szenario: Ein geliebter Mensch ist gestorben, weshalb die Hauptfigur noch einmal in die Heimat zurückkehrt, um sich dort mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Doch was, wenn dieser Mensch noch gar nicht tot ist? Eben das ist bei Tótem der Fall. Offiziell kommen die Leute zwar zusammen, um den Geburtstag des jungen Familienvaters zu feiern. Aber es ist zugleich eine Abschiedsfeier, mit der das Geburtstagskind noch zu seinen Lebzeiten gewürdigt werden soll. Diese Situation ist besonders, so wie vieles bei dem mexikanischen Drama besonders ist – und zugleich so alltäglich, dass die Szenen ganz besonders weh tun.
Der zweite große Unterschied ist, dass Regisseurin und Drehbuchautorin Lila Avilés auf eine eindeutige Hauptfigur verzichtet. So wäre es zwar naheliegend gewesen, den Sterbenden zum Protagonisten zu machen. Tatsächlich ist der im Film aber kaum zu sehen. Über ihn gesprochen wird viel, in einem Großteil der Gespräche taucht er irgendwann auf. Aber er bleibt im Hintergrund, ist präsent und gleichzeitig wieder nicht. Wenn man von Hauptfiguren sprechen kann, dann kommt am ehesten seiner Tochter Sol und seiner Schwester Nuri (Montserrat Marañon) diese Position zu. Sie sieht man am häufigsten, während die Geschichte anderthalb Stunden lang von Figur zu Figur springt, von Ort zu Ort, von Thema zu Thema. Einige Szenen bleiben dabei dennoch stärker in Erinnerung als andere. Richtig schmerzhaft ist beispielsweise, wie sich Nuri ewig lang mit dem Dekorieren eines Kuchens aufhält, um sich nicht ihrem Bruder stellen zu müssen. Aber auch wenn Sol sich an einer Stelle wünscht, dass ihr Vater nicht sterben muss, zerreißt es einem beim bloßen Zusehen das Herz.
Lebensbejahend und schmerzhaft
Dabei muss Avilé noch nicht einmal groß zuspitzen, verzichtet auch auf plumpe Manipulationen, wie man sie bei dem Thema oft vorfindet. Stattdessen ist Tótem ein zurückhaltender Film, der möglichst unaufgeregt in den Mikrokosmos der Familie eintaucht und dabei nach und nach mehr über die Menschen und ihre Beziehungen verrät. Beispielsweise wird zunächst gar nicht gesagt, dass Tona schwer krank ist. Das stellt sich erst im weiteren Verlauf heraus und eher beiläufig. Anstatt groß Exposition zu betreiben, sollen die Gespräche und Situationen möglichst natürlich ablaufen, wie sie bei einer solchen Gelegenheit wirklich stattfinden würden. Das trägt sehr zur Identifikationsfläche bei, man hat hier tatsächlich das Gefühl, es mit realen Menschen zu tun zu haben.
Das soll nicht heißen, dass das hier alles spröde dokumentarisch ist. Tatsächlich hat das Drama, welches 2023 im Wettbewerb der Berlinale Weltpremiere hatte, auch eine poetische Ader. Dies geschieht beispielsweise durch die Tiere, die immer wieder eingebaut werden, etwa eine Gottesanbeterin. Überhaupt hat Tótem immer wieder sehr sehenswerte Bilder, wenn Avilés und ihr Kameramann Diego Tenorio das Besondere im Alltag suchen. All das macht den Film zu einem kleinen Juwel und Geheimtipp im aktuellen Kinoprogramm. Die Mischung aus Gemeinschaftlichkeit und Konflikt, aus lebensbejahender Freude und schmerzhaftem Abschied weckt auch im Publikum die unterschiedlichsten Gefühle, an deren Ende man sich selbst wie ein Familienmitglied fühlt und gemeinsam mit den anderen lacht und weint.
OT: „Tótem“
Land: Mexiko, Dänemark, Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Lila Avilés
Drehbuch: Lila Avilés
Musik: Thomas Becka
Kamera: Diego Tenorio
Besetzung: Naíma Sentíes, Montserrat Marañon, Marisol Gasé, Saori Gurza, Mateo García Elizondo, Teresita Sánchez, Juan Francisco Maldonado, Iazua Larios, Alberto Amador
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