Offensichtlich hat Philipp Jedicke eine Vorliebe für Musik abseits des Mainstreams, mag kuriose Gestalten, die sich in der Künstlerszene so herumtreiben. So gab er vor einigen Jahren mit Shut Up and Play the Piano sein Debüt. Darin stellte der deutsche Regisseur das Werk des notorisch experimentierfreudigen kanadischen Künstlers Chilly Gonzales vor. Bei seinem zweiten Film bleibt er geografisch in der Nähe, bis nach Österreich führt ihn sein Weg. Dafür gibt es diesmal eine ganze Reihe von Künstlern und Künstlerinnen, die er porträtiert. Genauer geht er in Vienna Calling der Frage nach, warum die österreichische Hauptstadt so viele ungewöhnliche Musik-Acts hervorbringt.
Mehr Musikvideo als Dokumentation
Eine Antwort, so viel vorweg, gibt es darauf nicht. Man hat auch nicht wirklich den Eindruck, dass dieser Frage überhaupt groß nachgegangen wurde. Stattdessen gibt es zahlreiche Szenen, in denen die einzelnen Musiker und Musikerinnen auftreten. Das kann manchmal ganz klassisch sein, auf einer Bühne oder so. Eine der kuriosesten Passagen ist, als sich Der Nino aus Wien die Haare schneiden lässt, er dann zu einem betont altmodischen Telefonhörer greift und im Anschluss ein Duett angestimmt wird. Die Grenze zwischen dem Dokumentarischen und dem rein Darstellenden sind da fließend. Vienna Calling gleicht zuweilen mehr einem Musikvideo als einem recherchierenden Werk.
Das wird ein Publikum, das sich von einem solchen Film tiefere Informationen erhofft, womöglich enttäuschen. Tatsächlich hat Jedicke gar nicht so wahnsinnig viel zu sagen. Und das gilt auch für die Leute, die vor die Kamera treten. Hin und wieder wird zwar schon versucht, etwas Allgemeingültigeres zu finden und über die Musik hinaus etwas aufzusagen. Beispielsweise geht es gegen Ende hin darum, Erwartungen zu erfüllen, gerade auch von Leuten, die gar nicht aus Wien sind. Was ist wahr, was ist Performance? Und wo zieht man die Grenze zwischen dem Geschwindelten und dem Realen? Vienna Calling vertieft das aber leider nicht. Gerade wenn es spannend wird, kommt wieder ein Szenenwechsel. Wie so oft in einem Film, der eine größere Anzahl an Acts zusammengebracht hat.
Vielfältige Stile
Was Jedicke hingegen gelingt, ist eine Art Gefühl auszudrücken. Zwar sind die einzelnen Acts recht unterschiedlich, schwanken zwischen Pop und Rap, zwischen humorvoll und politisch. Und doch hat man den Eindruck, dass sie alle derselben Szene entstammen. Für ein Publikum, das gern ein paar Musiker und Musikerinnen kennenlernen möchte und offen ist für Neues, der ist bei Vienna Calling an einer guten Adresse. Die Vielfalt der Stile macht es wahrscheinlich, dass man auch für sich selbst etwas findet. Aber selbst wer hier keine musikalische Heimat findet, kann zumindest Leute treffen, die alle ihren eigenen Kopf haben und sich nicht darum scheren, ob sie nun gefallen oder nicht. Das hat oft eine spöttische Note.
Der Beitrag vom DOK.fest München 2023 hat daher durchaus seine Momente. Ein Interesse für das Thema vorausgesetzt, kann man schon unterhalten werden. Dafür sorgen unter anderem Voodoo Jürgens & Ansa Panier, Lydia Haider, EsRaP und Gutlauninger. Und doch ist die im Film auftauchende Frage, wofür das alles überhaupt gedreht wird, eine, die auch so manche Zuschauer und Zuschauerinnen am Ende stellen werden. Man hat hier zwar einiges gesehen, noch mehr gehört. Aber es bleibt nicht so wahnsinnig viel nach Vienna Calling hängen als die Erkenntnis, dass es in Wien schräge Vögel gibt.
OT: „Vienna Calling“
Land: Deutschland, Österreich
Jahr: 2023
Regie: Philipp Jedicke
Drehbuch: Philipp Jedicke
Musik: Paul Gallister
Kamera: Max Berner
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