Eigentlich hatte die Umweltaktivistengruppe nur ganz friedlich vor dem Firmensitz des Entsorgungsunternehmers Daniel Noll (Jörg Schüttauf) demonstrieren wollen. Doch dann eskaliert die Lage. Luise Kogan (Lea Drinda), Vanessa Petzoldt (Mina-Giselle Rüffer), Pattie Tran (Han Nguyen), Niklas Fischer (Joshua Hupfauer), Felix Sylla (Chieloka Jairus) und andere geraten mit Hooligans aneinander, während Vanessas Bruder Dennis (Florian Geißelmann) die Gunst der Stunde anderweitig nutzt. Als dann auch noch Polizist Marco Tietze (Robin Sondermann) auftaucht, gerät die Situation völlig außer Kontrolle. Zahlreiche Menschen werden verletzt, Läden werden geplündert, die Polizei greift hart durch. Für Luise, deren Mutter Catrin (Franziska Weisz) ebenfalls bei der Polizei arbeitet, wird sich durch diese Nacht alles verändern. Und auch die anderen müssen sich entscheiden, wie weit sie für ihre Überzeugen gehen wollen …
Umstrittener Kampf um die Zukunft
Verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen, so heißt es. Und momentan sind sehr viele verzweifelt, gerade im Hinblick auf die schleppenden Klimamaßnahmen. Jahrelang begnügte man sich mit eher harmlosen Protestaktionen, die zwar viel Aufmerksamkeit erhielten, aber wenig bewirkten. Zu wenig, seit einiger Zeit macht die sogenannte Letzte Generation mit radikaleren Aktionen von sich reden und spaltet damit die Gesellschaft. Wie weit darf man gehen, um für eine bessere Zukunft zu kämpfen? Bei einem derart heftig umstrittenen Thema ist es kein Wunder, wenn sich immer mehr Filme und Serien finden, die dieses aufgreifen. Das geschieht mal etwas leichter, wie bei den Straßenklebern von Aufgestaut, während es bei den terroristischen Anschlägen in How to Blow Up a Pipeline schon etwas heftiger zur Sache geht.
Wer wir sind liegt irgendwo dazwischen. Im Gegensatz zum letztgenannten Film hat man hier eigentlich gar nicht vor, sich irgendwo gewaltsam zu betätigen. Friedlich will man protestieren, bevor Hooligans, später auch die Polizei die Gewaltspirale nach oben treiben. Zu diesem Zeitpunkt könnte man noch meinen, dass sich die Serie einseitig auf die Seite der Aktivistengruppe schlägt. Im Vergleich zu den brutalen Schlägern sowie dem rassistischen Polizisten sind sie auf jeden Fall das kleinere Übel. Doch dieses Urteil wird mit der Zeit revidiert, die Grenzen zwischen gut und böse verschwimmen, zwischen falsch und richtig. Bislang brave Jugendliche wie Luise oder Felix radikalisieren sich, als sie feststellen müssen, dass sich nichts ändert und die wahren Schuldigen keine Folgen zu befürchten haben. Das muss man nicht gutheißen. Irgendwie nachzuvollziehen ist es aber schon, dass der Systemwechsel nicht innerhalb des Systems funktionieren kann.
Viele Porträts statt durchgängiger Handlung
So richtig wird diese Frage in der ARD-Serie aber gar nicht diskutiert. Zwar werden die Figuren lose durch das Thema des Aktivismus zusammengehalten, auf welcher Seite sie auch immer gerade stehen mögen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Drama aber mehr um eine Sammlung aus Porträts. So erfahren wir im Laufe der sechs etwa 45 Minuten langen Folgen, mehr über die Hintergründe der Jugendlichen. Wir bekommen Einblicke in ihr Leben, in die jeweiligen Familienverhältnisse, auch die Dynamik innerhalb der Gruppe. Manche werden das als verpasste Chance sehen, sich wirklich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Und doch hat Wer wir sind seine stärksten Momente, wenn es direkt um die Menschen geht. Vor allem der Strang um Dennis, dessen Familie auseinanderbricht, geht zu Herzen.
Die Serie bekommt dabei eine emotionale Wucht, die imponiert, auch dank des talentierten Nachwuchs-Ensembles. Die explosive Stimmung fegt über einen hinweg, auf eine Weise, wie man es von Produktionen der öffentlich-rechtlichen Sender nicht kennt. Nicht immer überzeugt die Geschichte, wenn es beispielsweise um die zahlreichen Verwicklungen geht. Durch die große Zahl an Figuren werden manche auch nicht sonderlich vertieft. Tietze ist so ein Fall, wo man sich mehr Nuancen wünschen würde. Was mit ihm los sei, will Catrin an einer Stelle wissen. Eine Antwort gibt es nicht, so wie Wer wir sind insgesamt mit Antworten knausert. Und doch ist das hier eine der packendsten deutschen Produktionen der letzten Zeit, wenn die ohnehin schon brüchige Gesellschaft im Schnellverfahren auseinanderzubrechen droht.
OT: „Wer wir sind“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Charlotte Rolfes
Drehbuch: Christian Schiller, Marianne Wendt
Musik: Philipp Johann Thimm
Kamera: Fabian Rösler
Besetzung: Lea Drinda, Franziska Weisz, Florian Geißelmann, Shenja Lacher, Joshua Hupfauer, Chieloka Jairus, Mina-Giselle Rüffer, Han Nguyen, Robin Sondermann, Horst Kotterba, Natalia Rudziewicz, Yvon Sable Moltzen, Arsalan Naimi, Jörg Schüttauf, Jannik Hinsch, Philip Bender
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