Ganz große Kunst 75 Meisterwärke Otto Waalkes
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Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke

„Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke“ // Deutschland-Start: 4. Oktober 2023

Inhalt/Kritik

Im Oktober 2011 wurde Wolfgang Beltracchi zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der gebürtige Höxteraner hatte in den 1970er Jahren damit begonnen, Bilder anzufertigen, die von berühmten Malern hätten stammen können. Er hat also nicht schlicht ein Werk von Max Ernst oder Pablo Picasso kopiert, sondern erschuf Gemälde im Stile verschiedener Künstler, die sie tatsächlich so gemalt haben könnten. Mit dem Verkauf seiner Kreationen verdiente er mehrere Millionen, was für sich genommen vielleicht nach einer hohen Summe klingt, im Vergleich zu den Einnahmen der Zwischenhändler und Wiederverkäufer aber beinahe schon lächerlich wirkt. Der Begriff Kunstfälschung ist sehr gebräuchlich, hat strenggenommen aber nur eine geringe juristische Relevanz, wenn überhaupt. Hätte Beltracchi seine Bilder mit seinem eigenen Namen versehen, wäre er auf freiem Fuß geblieben (was zwar nicht de jure, aber de facto immerhin auch so war: Die Strafe wurde nach einer bereits abgesessenen Untersuchungshaft im offenen Vollzug verbüßt). Die Straftatbestände, welcher der heute am Vierwaldstättersee in Luzern lebende Künstler erfüllte, waren Urkundenfälschung (da er eben nicht seinen, sondern jeweils einen anderen Namen auf der Leinwand verewigte) und Betrug.

Reise durch die Kunstgeschichte

Im Oktober 2023 wurde Otto Waalkes‚ Buch Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke veröffentlicht. Der gebürtige Emder hatte in den 1970er Jahren damit begonnen, Bilder anzufertigen – im Rahmen seines Kunstpädagogikstudiums. Viele kennen Otto lediglich als Komiker, seine Begabung ist aber nicht auf diesen Bereich allein beschränkt. Der Ostfriese fühlt sich in vielen Facetten der Kunst zuhause, sei es die Malerei, die Musik, die Literatur oder der Film. Mit seinen Schallplatten und Fernsehshows gewann er in jenem Jahrzehnt bereits immens an Popularität, in den 1980ern wurde er dann national zu einem absoluten Megastar. 1980 erschien Das Buch OTTO, 1985 Otto – Der Film. Beide erhielten im Laufe der Zeit mehrere Fortsetzungen. Nach einem schier unüberschaubaren Gesamtwerk ist Otto auch heute nach wie vor präsent. Es muss niemand so tun, als wäre er immer noch so berühmt wie im letzten Jahrtausend, aber er ist weiterhin eine der beliebtesten deutschen Persönlichkeiten. Mit dem nun vorgelegten Buch begibt er sich auf eine ganz eigene Reise durch die Kunstgeschichte und zeigt seine Wertschätzung für die Großen der Zunft mit einer Hommage, die unübersehbar seine Handschrift trägt – und das nicht nur, weil er anders als Beltracchi seinen eigenen Namen auf der Leinwand verewigte.

Waalkes und Beltracchi weisen in gewissem Sinne also durch die Kunst und ihre Auseinandersetzung damit gewisse Schnittstellen miteinander auf. Es gibt aber auch eine ganz weltliche Verbindung: In einer der fünf Folgen von Der Meisterfälscher kehrt zurück (2015), der zweiten Staffel der von 3sat produzierten Dokumentationsreihe Der Meisterfälscher, trafen die beiden aufeinander. Beltracchi malte Waalkes im Stil von Anthonis van Dyck. Aufgrund von anderweitigen Verpflichtungen Ottos wurde das Bild allerdings nicht fertiggestellt. Interessanterweise überreicht das Model dem Künstler in dieser Episode eines seiner Bücher. Nun lässt sich der Titel dieses Buches nicht erkennen; eine Suche danach blieb ergebnislos. Genauso wenig konnte im Rahmen dieser Rezension erfolgreich recherchiert werden, ob Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke eine Art Neuauflage davon sein soll. Von den in der Folge gezeigten Bilder aus diesem Buch finden sich allerdings nur zwei in Ganz große Kunst wieder: An der Südseeküste nach Parau Api (1892) von Paul Gaugin auf Seite 95 und I had a Dream nach La Bohémienne endormie (1897) von Henri Rousseau auf Seite 101. Es ist natürlich klar, dass Otto diese Bilder nicht alle exklusiv für Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke gemalt hat. Wir wollen uns nun aber einmal eingehender mit dem Buch an sich befassen.

Parodien berühmter Gemälde

Für das Cover wurde The Artist in Residence ausgewählt, für welches Der arme Poet (1839) von Carl Spitzweg Pate stand, und das auch auf Seite 83 zu finden ist. Es ist ein vortrefflich ausgewähltes Bild für die Vorderseite des Buches. Wer das Original nicht kennt, wird sich hier gleich an Otto (den Protagonisten) in einem der Filme von Otto (dem Künstler) erinnert fühlen. Um das besser verstehen zu können, sollten wir erst einmal klären, wie genau die von Otto gemalten Bilder denn nun ‚funktionieren‘. Waalkes hat sich „von der Höhlenmalerei über Renaissance und Romantik bis zu den Ikonen der Moderne“ durch die Kunstgeschichte gearbeitet und berühmte Gemälde kopiert – oder besser gesagt parodiert. Seine Versionen der berühmten Vorbilder sind eine humoristische Hommage. Diese sieht im Prinzip so aus, dass Otto sich ein bekanntes Gemälde – Der arme Poet etwa – vornimmt und ihm seinen eigenen Stempel aufdrückt. Das geschieht meist in Form des Ottifanten, eines von Ottos Markenzeichen. Das possierliche Tierchen gibt es offiziell seit 1973, fand aber schon zu Ottos Schulzeiten den Weg von seinem Stift auf das Papier.

Auf dem Bild The Artist in Residence sitzt Otto mit seiner markanten Mütze auf dem Kopf also nun auf dem Boden einer kärglich eingerichteten Dachkammer, zwischen ihm und der Wand ein dickes Kissen, gegen das er sich lehnt. Er zeichnet einen Ottifanten; auf dem Kachelofen vor dem Fenster steht neben einer bauchigen Weinflasche ein Ottifant – wohl ein Plüschtier. Ohne (und selbst mit) Kenntnis des Originals weckt das Assoziationen zu Otto – Der Film, Otto – Der neue Film und Otto – Der Außerfriesische, lebt Otto (der Protagonist) dort doch zumindest zeitweise in Behausungen, die diese Räumlichkeit beherbergen könnten. Es handelt sich wirklich um ein äußerst passend ausgewähltes Motiv für den Buchdeckel.

Die „wahre“ Geschichte dahinter

Nun gibt es ja aber eine originale Vorlage für das von Otto gemalte Bild. Der arme Poet weist dabei natürlich weder den Ostfriesen noch seine erdachte comicartige Figur auf. Otto nimmt diese bekannten Werke der Kunstgeschichte und verabreicht ihnen eine Art Upgrade – denn „die wahre Geschichte der bildenden Kunst […] ist ohne den ein oder anderen Ottifanten natürlich undenkbar!“, wie der Innentext hinter dem Buchdeckel verrät. Wie das weiter oben aus selbigem übernommene Zitat schon implizierte, ist Otto chronologisch vorgegangen – zumindest was die Anordnung der Bilder angeht. Aber auch wir wollen die Dinge der Reihe nach betrachten, mit einigen Sprüngen, wenn es thematisch einmal passt.

Das Buch wurde als Paperback herausgegeben, was sich gerade an den Rändern schnell bemerkbar machen wird. Das für diese Rezension freundlicherweise zur Verfügung gestellte Exemplar wies bereits minimale Schäden am oberen Buchdeckelrand auf. Die Bindung scheint dafür ziemlich stabil zu sein, was auch bei mehrmaligem Durchblättern unschöne Knicke langfristig verhindern dürfte. Ein Hardcover wäre zwar in so mancher Hinsicht fraglos die bessere Wahl gewesen, allerdings kann der Kostenfaktor dafür nicht außer Acht gelassen werden. Der aktuelle Preis von 26 Euro ist absolut angemessen, bei einem Festeinband müsste der potenzielle Käufer natürlich deutlich tiefer in die Tasche greifen als bei der vorliegenden Klappenbroschur. Dem Impressum am Ende zufolge handelt es sich um ein Exemplar der 5. Auflage. Es ließ sich nicht feststellen, wie viele Bücher pro Auflage gedruckt wurden, aber zum Zeitpunkt des Schreibens dieser Rezension befindet sich das Werk immer noch auf Platz 4 der vom SPIEGEL veröffentlichten Paperback-Bestsellerliste für Sachbücher, nachdem es vor sieben Wochen auf der 1 einstieg.

Humor in verschiedenen Ausprägungen

Schlagen wir das Buch auf, blickt uns vom Vorsatzblatt aus Otto entgegen – als handgezeichnete, alte Version seiner selbst, Pinsel in der einen, Palette in der anderen Hand. Schräg hinter ihm links steht eine Leinwand, auf der unser Künstler eine jüngere Version seiner selbst verewigt hat. Auf einem sich daneben befindlichen Hocker steht ein Ottifant, der seine bewundernden Augen nicht von dem Kunstwerk lösen kann. Es ist eines der wenigen Bilder in Ganz große Kunst: 75 Meisterwerke, welches kein berühmtes Vorbild hat. Es kann auch sinnbildlich für die Progression der Zeit verstanden werden, welche bei der Aufarbeitung der Kunstgeschichte nachvollziehbar wird.

Nach dem Titelblatt erwartet uns ein Zitat von Voltaire: „Alle Künste sind gut, ausgenommen die langweilige Kunst.“ Dem ließe sich entgegenhalten, dass es keine langweilige Kunst, sondern nur langweilige Künstler gibt. Aber auch das kann wie die erwähnte Zeichnung als eine Art Vorausdeutung verstanden werden, da die Kunstgeschichte hier nicht nur aufgearbeitet, sondern auch humoristisch aufgepeppt wird. Es folgt ein Grußwort von Waalkes in Form eines amüsanten Gedichtes, welches die Wichtigkeit des Ottifanten in der Welt der Kunst aufzeigt und den Leser auf das Kommende einstimmt.

Ein Ottifant springt durch die Zeit

Nach einigen Fotos gibt es ein dreieinhalbseitiges, von Literaturkritiker Denis Scheck wohl durchdachtes Vorwort. Es hätte kaum ein besserer Verfasser für den Einstieg in ein solches Buch von Otto Waalkes gefunden werden können, angesichts dessen, was aktuell wieder mit seiner Kunst veranstaltet wird. Das alles ist ja schön und gut, doch nun geht es endlich an die Bilder selbst, dem Hauptgrund, wieso jemand zu diesem Werk greifen möchte.

Auf jeder Doppelseite gibt es (wie die bisherigen Seitenzahlen eventuell bereits nahelegten) rechts das jeweilige Bild und links einen informativen Begleittext – analog zum Titel wird im Buch von „Begleittäxten“ gesprochen. Wir können hier nun natürlich nicht jedes Bild im einzelnen durchgehen, wollen aber doch exemplarisch einige herausgreifen. Den Anfang macht Halalithikum, basierend auf einer paläolithischen Höhlenmalerei aus dem Jahre 20.000 vor Christus: Ein Urzeit-Ottifant (Ottimut?) ist von einigen Jägern umringt. Danach begeben wir uns über das alte Ägypten zur griechischen Antike, machen von Rom aus einen Schlenker nach Indien und besuchen die Osterinseln. Wir rasen bis ins 15. Jahrhundert, ab hier werden die Zeitsprünge dann deutlich kürzer.

Eine Frage des Geschmacks

Auf Seite 87 gibt es eine Doppel-Hommage, wenn ein Bild welches unter anderem in Bean – der ultimative Katastrophenfilm eine Rolle spielte eine schöne Anspielung auf den tollpatschigen Briten enthält. Ob ein Graffito von Banksy wirklich in so einen Band gehört, ist wohl Geschmackssache. Das letzte parodierte Werk ist von 2017. Ottos Bilder sind alle gelungen, aber eines muss doch besonders hervorgehoben werden. Was Otto aus Das Mädchen mit dem Perlenohrengehänge (1665) gemacht hat, kann wohl nur jemand richtig wertschätzen, der etwas von Kunst versteht. Aber auch Laien dürfen staunen, wenn die Dame auf Seite 61 auf den ersten flüchtigen Blick einfach dem Original entsprungen zu sein scheint. Erst bei genauerem Hinsehen fällt auf, was hier verändert wurde.

Die „Begleittäxte“ sind manchmal zwar nicht ganz ernstzunehmen, enthalten überwiegend aber doch interessante und akkurate Informationen zu den jeweiligen Originalwerken. Zum Schluss meldet sich Ottos langjähriger Kollaborateur Bernd Eilert mit einem Gedicht zu Wort, danach folgt eine Literaturliste mit 23 Einträgen, die zur weiterführenden Lektüre einladen.

Credits

OT: „Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Autor: Otto Waalkes

Bilder

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Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke
Fazit
In "Ganz große Kunst: 75 Meisterwärke" beweist Otto seine Fähigkeiten als Maler. Dass er vielseitig begabt ist, wissen seine langjährigen Fans zwar wahrscheinlich sowieso schon, aber es kann ja nicht schaden, auch die neueren davon zu unterrichten. Bei allem inhärent vorhandenen Humor ist das Buch dank chronologischer Aufarbeitung und interessanter Informationen unerwarteterweise für Laien durchaus als erste Heranführung an die Kunstgeschichte geeignet.
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4.5