Munch
Szenenbild aus dem Künstlerporträt "Munch" von Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken (© Splendid Film)

Henrik Martin Dahlsbakken [Interview]

Henrik Martin Dahlsbakken ist ein norwegischer Regisseur, Produzent und Drehbuchautor. 2013 drehte er mit Die Rückkehr seinen ersten Spielfilm, für den er in der Kategorie Bester Film bei den Nordischen Filmtagen Lübeck ausgezeichnet wurde und der auf vielen internationalen Festivals gezeigt wurde. In den darauf folgenden Jahren übernahm er die Regie bei sehr unterschiedlichen Projekten, wie beispielsweise dem Horrorthriller The Cave – Bis zum letzten Atemzug oder dem Thriller Eine Affäre – Verbotene Liebe.

Ab dem 14. Dezember 2023 ist Dahlsbakkens neuer Film in den deutschen Kinos zu sehen. Munch erzählt vom Leben des bekannten norwegischen Malers Edvard Munch sowie von den Hintergründen zu seinen Gemälden wie Der Schrei oder Vampir.

Im Gespräch mit film-rezensionen spricht Dahlsbakken über die Form des Films, die Besetzung und die Stellung der Kunst in der Welt.

Ich habe gelesen, dass du über 70 verschiedene Schnittfassungen von Munch erstellt hast, bevor du zu der jetzigen kamst. Woher wusstest du, dass diese Fassung, die wir in Deutschland bald im Kino sehen werden, die richtige ist?

Mir war von Anfang an klar, dass ich Munch nicht als ein lineares Biopic erzählen wollte, wie man es schon oft gesehen hat. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Phasen in seinem Leben war mir sehr wichtig und war damit zentral für die Erzählstruktur des Films.

Ich hatte einen Plan, worauf wir am Ende hinauswollten, doch während des Schnitts funktionierte diese Fassung einfach für mich nicht mehr. Wir verbrachten dann etwa ein halbes Jahr im Schneideraum, bis wir dann zur finalen Fassung kamen. Warum sich diese dann richtig angefühlt hat, ist schwierig zu beschreiben, aber nachdem wir sie uns zuerst im Schneideraum und dann noch einmal in einem Kino angesehen hatten, wussten wir, dass dies die richtige Fassung für Munch ist.

Eine dieser Episoden beschreibt die Hintergrundgeschichte zu Der Schrei, Munchs wohl bekanntestes Werk. Wie kamst du auf die Idee, gerade diesen Teils von Munchs Leben in der heutigen Zeit und in Berlin spielen zu lassen?

Zu der Zeit, genauer gesagt um 1892, lebte Munch in Berlin und während ich an dem Drehbuch arbeitete, stellte ich mir die Frage, wie Munch wohl im heutigen Berlin zurechtkäme, ob seine Sorgen und Konflikte immer noch dieselben wären. Zudem hat sich Berlin sehr verändert, ist aber nach wie vor in kultureller Hinsicht ein wichtiges Zentrum Europas.

Mit Munch wollte ich betonen, wie relevant Munch noch heute ist, besonders für die jüngere Generation. Ich wollte diesen Künstler und sein Werk zugänglicher machen, sodass ich mich für diese Herangehensweise für diese Phase seines Lebens und Schaffens entschied.

Im Film wird Munch von verschiedenen Schauspielern und Schauspielerinnen verkörpert, genauer gesagt von Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth und Anne Krigsvoll. Wie kam es zu dieser Besetzung und wie war die Zusammenarbeit mit diesen Darstellern?

Mit ein paar von ihnen habe ich bei vorherigen Projekten zusammengearbeitet. Ich wusste eigentlich schon recht früh, wen ich für welche Phase von Munchs Leben besetzen wollte und es war toll, als es so kam, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dass einige von ihnen rein äußerlich nicht viel mit dem realen Munch gemein haben, störte mich dabei keineswegs. Wichtig war mir, dass sie über das Talent verfügten, Munch in diesen vier Stadien seines Lebens und seiner Arbeit darzustellen.

Interessant ist natürlich Anne Krigsvoll als 80-jähriger Munch. In Norwegen ist sie eine Legende auf der Bühne und ihr Vater war ein bekannter Maler, sodass sie ein gewisses Verständnis für diese Welt mitbrachte, als ich sie besetzte. Bei der Besetzung geht es mir weniger um Aspekte wie das Geschlecht, sondern mehr darum, ob der Schauspieler oder die Schauspielerin ein Verständnis für die Rolle mitbringt, ebenso wie Lebenserfahrung, was gerade bei der Rolle eines 80-jährigen Künstlers wichtig war. Anne erfüllte in meinen Augen all diese Kriterien, weshalb sie in meinen Augen die richtige für die Rolle war.

Im Laufe deiner Karriere hast du viele verschiedene Projekte verwirklicht und dabei sehr unterschiedliche Genres bedient. Hast du bei Munch das Gefühl gehabt, dass dieses Projekt eine besondere Herausforderung darstellt, weil es die Geschichte von einem der bekanntesten und wichtigsten Malers der Moderne erzählt?

Darüber hätte ich sicherlich nachdenken sollen, tat es aber nicht, als ich mit der Arbeit an Munch begann. (lacht)

Es gibt viele verschiedene Meinungen zu Munch als Person und zu seiner Kunst, weshalb es natürlich schwierig oder unmöglich ist, es allen recht zu machen. Das Edvard Munch Museum half uns bei der Recherche, ermutigte uns aber auch, „unseren Film“ zu machen, was mir sehr wichtig war. Ich brauchte diese Freiheit, weil Munch vom Leben des Künstlers, aber vor allem von seiner Kunst inspiriert ist. Viele ästhetische oder erzählerische Entscheidungen, die mein Team und ich trafen, sind vielleicht riskant, aber ich brauchte diese Freiheit, um solche Risiken einzugehen.

Übrigens habe ich auch das Produktionsdesign bei Munch übernommen und es war toll mit meinem Team, in diese unterschiedlichen Episoden seines Lebens, diese Zeit und vor allem die Hintergründe seiner Arbeiten einzutauchen.

Ein zentraler Aspekt für Munch ist sicherlich die Filmmusik Tim Fains. Welche Vorgabe hast du ihm für die Filmmusik gegeben?

Während meiner Arbeit an Munch hörte ich immer wieder Tims Musik, besonders ein Stück mit dem Titel Freedom, was mir sehr an Herz gewachsen ist. Ein Freund von mir kannte Tim und wollte mich mit ihm bekannt machen. Als wir uns trafen, erzählte ich ihm von meinem Film und meiner Begeisterung für Freedom. Tim war sehr geschmeichelt und interessiert an Munch, sodass ich ihm wenig später das Drehbuch zukommen ließ. Als ich wenig später die ersten Stücke oder Teile von Stücken hörte, war mir klar, dass wir auf dem richtigen Weg waren.

Seine Musik ist für die Emotionen in den einzelnen Phasen des Lebens Munchs sehr wichtig und ich finde Tim findet immer den richtigen Ton. Das Projekt war für ihn sehr wichtig und er reiste eigens nach Oslo zur Premiere von Munch an, obwohl er in den USA lebt und arbeitet.

In Künstlerbiografien, in der Literatur wie auch im Film, ist das Bild des leidenden Künstlers so etwas wie ein Klischee geworden, obwohl das Leiden irgendwie Teil eines jeden Künstlerlebens ist. Worin siehst du den Wert von Leiden im Leben eines Künstlers? Ist Leiden notwendig, wenn man relevante Kunst machen möchte?

Ich finde nicht und ich denke wie du, dass es sich hierbei um ein Klischee handelt. Munch erfüllt es bis zu einem gewissen Grad, aber ich finde auch, dass wir ihn glücklich zeigen, besonders im letzten Teil seines Lebens. Natürlich gibt es Aspekte seines Lebens, die sehr dunkel sind, wie die vielen Tode in seiner Familie, die enttäuschte Liebesgeschichte in seiner Jugend oder sein Alkoholismus, aber genauso sind da sehr positive Gefühle. Für den Film müssen wir uns natürlich auf die Konflikte in seinem Leben konzentrieren, doch daneben gibt es auch Raum für diese anderen Aspekte seiner Biografie.

Dass Leiden notwendig ist, um wichtige Kunst zu kreieren, glaube ich keine Sekunde. Man muss sich für seine Mitmenschen interessieren und neugierig sein auf das Leben. Biopics, die sich nur auf dieses Klischee des leidenden Künstlers beziehen, finde ich langweilig.

Ich hatte besonders bei dem Segment, das im heutigen Berlin spielt, das Gefühl, dass du der Frage nach der Bedeutung des Künstlers und der Kunst nachgehst. Welchen Wert hat die Kunst 2023? Findest du, dass Kunst nicht mehr so wertgeschätzt wird, wie es vielleicht noch zu Munchs Lebzeiten der Fall war?

Da stimme ich zu. Kunst, egal, ob es sich dabei um einen Film, ein Gemälde oder ein Musikstück handelt, hat einen Wert und wenn man sich entscheidet, diese Kunst einem Publikum zugänglich zu machen, muss man das respektieren und unterstützen. Die Kommunikation oder vielmehr der Austausch von Erfahrung, der über Kunst abläuft, ist in meinen Augen ein zentraler Teil dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Ich glaube, die Tatsache, dass die Wahrnehmung des Künstlers und von Kunst an sich, sich verändert hat, hat mit sehr vielen Entwicklungen zu tun. Die Definition von Popkultur scheint sich immer wieder zu ändern und parallel haben verschiedene Technologien, besonders aber soziale Medien, die Welt so schnell gemacht. Ins Kino oder ins Theater zu gehen stellte noch vor vielen Jahren eine besondere Erfahrung dar, doch heutzutage werden Medien in einer solchen Quantität und Schnelligkeit konsumiert, dass dies natürlich etwas mit unserem Kunstbegriff und der Wertschätzung von Kunst gemacht hat. Sich als Künstler zu etablieren ist heutzutage genauso schwierig geworden, wie zu erkennen, was nun wirklich Kunst ist und was nicht.

Was hättest du gerne, was das Publikum aus Munch mitnimmt?

Munch ist auf der einen Seite eine Geschichte über das Leben an sich, doch auf der anderen Seite darüber, was es heißt, ein Künstler zu sein. Die einzelnen Episoden des Films sprechen Fragen an, die den Künstler Munch bewegen, die aber eine Bedeutung für uns alle haben, beispielsweise wie man mit Verlusten umgeht. Ich hoffe, dass das Publikum dies erkennt und vielleicht etwas davon mitnimmt.

Abgesehen einmal davon, hoffe ich natürlich auch, dass man die Werke Edvard Munchs mit anderen Augen sieht.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.



(Anzeige)